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Bloß keine Hektik: Merkels neuer Regierungsstil

Bernd Gräßler14. September 2006

Regieren ist nicht leicht. Und wenn es in einem Staat zusätzlich eine Koalition fast gleichstarker Partner gibt, wird's noch etwas schwieriger. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat da ihren ganz eigenen Stil gefunden.

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Abtauchen unmöglich: Angela Merkel muss zwei oftmals sture Koalitionspartner managenBild: AP

Huch, was war denn das? "Die Bundesregierung ist morgen genau neun Jahre ... neun Monate, neun Monate im Amt ... da haben wir schon den ersten Lacher." Mit diesem kleinen Fauxpas leitete Angela Merkel die erste Bundespressekonferenz nach der Sommerpause ein. Aber mal im Ernst: Neun Jahre Schwarz-Rot sind eher unwahrscheinlich. Denn die Fliehkräfte in der Koalition werden größer, die sorgsam ausgehandelte Koalitionsvereinbarung von 2005 reicht hinten und vorn nicht mehr.

Und das führt dazu, dass Angela Merkels Alltag vor allem aus zwei Dingen besteht: Ringen und Feilschen um Entscheidungen mit der fast gleichstarken SPD. Das wiederum ist zeitraubend und vermittelt das Bild von Zögerlichkeit. Prompt wirft ihr der einstige liberale Wunschpartner Guido Westerwelle im Bundestag mangelnden Reformeifer vor: "Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Das Schlimme ist, Sie handeln auch so. Und das ist viel gefährlicher."

Solche Kritik der kleinen Opposition mag Angela Merkel leicht verschmerzen, doch im Kräftevieleck zwischen Regierung, CDU-Ministerpräsidenten, bayerischer CSU, SPD-Fraktion und SPD-Basis muss sie aufpassen: Einmal ist es die SPD, die von Merkel ein Machtwort gegen die CDU-Ministerpräsidenten verlangt, ein anderes Mal kritisieren die CDU-Landesfürsten eine zunehmende "Sozialdemokratisierung" der Regierungspolitik.

Nix "Basta": Nachdenken, beraten, entscheiden

Symbolbild Große Koalition
Schwarz-rot ist die Herausforderung: CDU und SPD haben die RegierungsverantwortungBild: bilderbox

Im Kabinett ist die SPD mit Schwergewichten wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier vertreten und besetzt Schlüsselressorts wie Finanzen, Arbeit und Gesundheit. Da bleibt für Merkel keine Alternative zu einer argumentativen Auseinandersetzung. "Also, ich habe meinen Stil", sagt sie. Wohin das Schrödersche "Basta" geführt habe, das habe man ja auch gesehen. "Deshalb sage ich: nachdenken, beraten, entscheiden."

"Gründlichkeit vor Schnelligkeit", das ist Merkels neueste Devise. Allein schon aus Angst vor Fehlern beim Entwerfen von Gesetzen. "Denn von solchen Fehlern hat es schon unter Rot-Grün zu viele gegeben", argumentierte die Kanzlerin, als es um die Verschiebung der komplizierten Gesundheitsreform ging. Diese Verschiebung hat sie selbst angeregt - und in einer schwarz-roten Siebenerrunde aus den Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD plus Vizekanzler Müntefering absegnen lassen.

Auch hier gab es im Anschluss Vorwürfe von der Opposition, der Regierung mangele es an Reformfähigkeit. "Sie spielen nicht den Klinsmann-Fußball, den erfrischenden nach vorn", bemühte Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn einen Fußball-Vergleich. "Sondern Sie machen Querpässe, Rückpässe, hauen den Ball ins Aus, und gelegentlich gibt es auch ein Eigentor - wie beim Gesundheitsfonds."

Merkel und Müntefering: "Traumpaar der deutschen Politik"?

Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Lernfähigkeit der Kanzlerin. Nachdem sie in der Diskussion über den Libanon-Einsatz der Bundeswehr viel zu lange mit einer klaren Stellungnahme gezögert hatte, fand sie zu einem möglichen Auslandseinsatz im Sudan rechtzeitig deutliche Worte: "Kommt derzeit nicht in Frage."

Dass sie an der Mehrwertsteuererhöhung festhalten und zusätzliche Steuereinnahmen für die Haushaltssanierung einsetzen wolle: ebenfalls klare Ansagen. Möglich sind sie aber nur, wenn Vizekanzler Müntefering mit ihr an einem Strang zieht - und mit ihm wiederum die SPD. Denn nicht Angela Merkel allein, sondern das Duo CDU-Kanzlerin und SPD-Vizekanzler - von Oppositionsführer Westerwelle als "neues Traumpaar der deutschen Politik" verspottet - bestimmt die Politik der Großen Koalition. Und diese Politik sieht ganz anders aus, als beide jeweils ihren Wählern versprochen hatten.