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Blutige Nasen in Moskau

Markus Reher30. Mai 2007

Wieder haben Homosexuelle in Moskau Prügel bekommen. Dabei wollten sie dem Bürgermeister nur einen Protestbrief überreichen gegen das erneute Verbot einer Schwulen- und Lesben-Parade in der Hauptstadt.

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Bild: DW

Schlag zwölf in Russlands Hauptstadt, und es passiert erst mal nichts. Hunderte Polizisten und dutzende Journalisten warten in der sengenden Sonne. Für mittags hatten Aktivisten der Homosexuellenszene vor dem Bürgermeisteramt ein Meeting angekündigt. Autos rauschen vorbei, Passanten eilen vorüber, an große Polizeiaufgebote hat man sich in Moskau längst gewöhnt. Nur hier und da stehen ein paar junge Männer zu zweit oder zu dritt beisammen, betont unauffällig, fast gelangweilt, wie fehl am Platze.

Dann geht alles ganz schnell: Ein Handgemenge auf der anderen Straßenseite, direkt vor dem Rathaus. Polizisten und Kamerateams stürmen hinzu. Im Zentrum des Tumults: Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Er ist aus Solidarität mit den russischen Aktivisten angereist. Zwei Uniformierte führen ihn ab - zu seinem eigenen Schutz, wie es später heißt. Zuvor waren Eier und Tomaten auf Beck und andere Gay-Aktivisten geflogen.

Verachtung sexueller Minderheiten

"Moskau ist nicht Sodom" - "verjagt diese Missgeburten" und: "die Polizei muss das Volk schützen", brüllen die Jungen, die eben noch gelangweilt herumstanden. Sie haben inzwischen Verstärkung bekommen von einigen Hundert Nationalisten und Hardlinern der orthodoxen Kirche. Bärtige mit schwarzer Kluft und Kampfstiefeln tragen Kreuze und Ikonen, einige stimmen Kirchengesänge an. "So etwas gehört nicht auf die Straße", sagt einer von ihnen. "Das ist doch intim, selbst wenn es zwischen Männern und Frauen wäre, aber erst recht bei denen, das ist Sünde!" Immer wieder ziehen die Ordnungshüter Schwule und Lesben aus der Menge, teilweise mit massiver Gewalt. Viele von ihnen haben da aber längst Schläge bekommen und blutige Nasen.

Die Verachtung sexueller Minderheiten sitzt in Russland tief und geht zurück auf Sowjet- und Zarenzeiten. Bis zur Oktoberrevolution drohte gleichgeschlechtlich Liebenden Zwangsarbeit in Sibirien. Nach 1917 landeten Homosexuelle mehrere Jahre hinter Gittern und verschwanden schließlich in geschlossenen Psychiatrien. Erst 1993 hob die Russische Föderation die Strafverfolgung auf. Das Misstrauen in de Bevölkerung blieb. Zwar gibt es in Metropolen wie Moskau oder Petersburg längst eine lebhafte Szene mit Bars und Nachtclubs. Doch deren Besucher müssen auf ihrem Heimweg stets mit Anfeindungen und Angriffen rechnen. Homosexuelle verkörperten für viele Russen nach dem Zerfall des Sowjetimperiums alles, was Angst macht: Freiheit, Mobilität, Bruch mit vertrauten Lebensmustern und Traditionen, vermuten Soziologen der amerikanischen "Soros Foundation".

Harsche Töne des Bürgermeisters

Als "satanistischen Akt" bezeichnet Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow dementsprechend die geplante Gay-Parade und hat sie, wie schon im letzten Jahr, verboten. Zu Unrecht, wie die Homosexuellen meinen. Auch Russland habe die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben, und die garantiere Versammlungsfreiheit, ungeachtet politischer Anschauung oder Lebensauffassung, so der Grünen-Abgeordnete.

Volker Beck ist in Moskau nach einer Stunde wieder frei. Anders als der Organisator der Veranstaltung, Nikolaj Aleksejew, der 24 Stunden in Haft bleibt. Ihm soll nun wegen Verstoß gegen das Versammlungsverbot der Prozess gemacht werden. Doch den Juristen schreckt das nicht. Er wolle auch im nächsten Jahr wieder für seine Rechte und die der anderen Schwulen und Lesben auf die Straße gehen. Und bis zu den Parlamentswahlen im Herbst eine Partei gründen und für einen Sitz in der Duma kandidieren. Er wolle für mehr Freiheit in Russland kämpfen, nicht nur für Homosexuelle.