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Politik

Die etwas andere Wertsteigerung

Manuel Rueda Cucuta, Kolumbien (sam)
18. Mai 2018

Taschen aus Geld statt Taschen voller Geld: Die Hyperinflation in Venezuela hat den Bolivar so sehr entwertet, dass einige ihn aus purer Not lieber zu Kunst verarbeiten als mit ihm zu bezahlen. Manuel Rueda aus Cucuta.

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Curcuta, Kolumbien - Folgen der Hyperinflation in Venezuela (Foto: DW/Manuel Rueda)
Kunstwerke in Taschenformat: Zehn Dollar möchte Campos für seine handgefertigten Taschen habenBild: DW/Manuel Rueda

Als die Sonne in der brodelnden Grenzstadt Cucuta in Kolumbien untergeht, verlassen Jesus Campos und seine Frau Gabriela ihr bescheidenes Appartement mit mehreren um den Hals geschlungenen Handtaschen und Portemonnaies. Das Paar aus dem benachbarten Venezuela geht durch einen lokalen Markt und einen öffentlichen Platz und versucht, einen Haufen farbenfroher Handtaschen und Brieftaschen zu verkaufen, die sie den ganzen Tag sorgfältig zusammengenäht haben.

Aber das sind nicht irgendwelche Accessoires: Jede Tasche besteht aus 800 venezolanischen Bolivar-Scheinen, die eng gefaltet und zu einem großen, rechteckigen Beutel verwoben sind. Jede Geldbörse wurde aus 200 Scheinen der zunehmend wertlosen venezolanischen Währung zusammengenäht. 

Curcuta, Kolumbien - Folgen der Hyperinflation in Venezuela
Gabriela und Jesus Campos bieten ihre Taschen abends auf Märkten und Plätzen anBild: DW/Manuel Rueda

Campos sagt, dass er mit den Bolivar-Scheinen, die er für die Herstellung einer Geldbörse verwendet, in Venezuela nicht einmal mehr einen großen Softdrink kaufen könnte.

In Kolumbien verkauft er seine großen Handtaschen für etwa zehn US-Dollar (umgerechnet rund 8,40 Euro). Das sei genug, um ein Kilo Rindfleisch, einen Laib Brot, etwas Gemüse und die Limo-Flasche zu kaufen, die er sich zuhause nicht leisten konnte, erzählt er.

"Manchmal fragen mich Leute, ob diese mit Fotokopien von Bolivares gemacht werden", sagt Campos und hält eine seiner Taschen. "Das würde sich aber gar nicht lohnen. Es ist preiswerter, echte Scheine zu verwenden."

Ein Monatslohn für ein Kilo Rindfleisch

Die Bolivar-Taschen zeigen, wie kreativ einige venezolanische Immigranten geworden sind, wenn es darum geht, wie sie ihren Lebensunterhalt im Ausland verdienen können. Laut Steve Hanke, Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der John Hopkins Universität in den Vereinigten Staaten, stieg die Inflation in Venezuela in den letzten 12 Monaten um 16.000 Prozent. Offizielle Quellen gibt es nicht. Seit 2015 hat die venezolanische Zentralbank keine Statistiken über die Inflation des Landes veröffentlicht. Kritiker meinen, dies sei ein Versuch, den Ernst der Lage zu verbergen. Aber die zunehmende Entwertung des Bolivars wird jedem klar, der auch nur einen Blick in die Supermarktregale des südamerikanischen Landes wirft.

Curcuta, Kolumbien - Folgen der Hyperinflation in Venezuela (Foto: DW/Manuel Rueda)
Geldverwendung statt Geldverschwendung: Die kleinen Bolivar-Scheine nimmt keine Wechselstube an - Campos Familie schonBild: DW/Manuel Rueda

Ein Kilo Rindfleisch wird derzeit für 2,7 Millionen Bolivar verkauft. Das entspricht in etwa dem monatlichen Mindestlohn des Landes. Eine Tasse Kaffee, die vor einem Jahr noch rund 2.000 Bolivar kostete, wird jetzt für 200.000 Bolivar verkauft. Venezuelas Bolivar-Scheine sind mittlerweile so wertlos geworden, dass die Kritiker von Präsident Nicolas Maduro bei der Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahlen am 20. Mai bei Protestkundgebungen 50- und 100 Bolivar-Scheine auf die Demonstranten regnen ließen, um zu zeigen, wie Maduro die Währung des Landes "zerstört" hat.

Diese Hyperinflation führt zusammen mit der Nahrungsmittelknappheit und der steigenden Kriminalität dazu, dass die Menschen in nahe gelegenen Länder wie Kolumbien, Ecuador, Brasilien oder Peru fliehen, was mittlerweile zu einer große Teile Südamerikas betreffenden Flüchtlingskrise geführt hat: Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration haben seit 2015 mehr als eine Million Venezolaner ihr Land verlassen.

Taschen aus Bolivares

Als Jesus Campos vor vier Monaten nach Kolumbien auswanderte, verkaufte er Milchreis an seine Landsleute, die jeden Tag die Grenze nach Kolumbien überquerten, um dort Nahrung, Medikamente und Arbeit zu suchen. Campos bot das Dessert für 45.000 Bolivares an. Aber manchmal bezahlten seine Kunden mit Taschen voller 100 Bolivar-Scheinen. "Viele Wechselstuben akzeptierten diese Scheine nicht. So hatte ich die Idee, sie in etwas Nützlicheres zu verwandeln", erklärt Campos.

Curcuta, Kolumbien - Folgen der Hyperinflation in Venezuela (Foto: DW/Manuel Rueda)
Jose Luis Leon verwandelt die Bolivars mit Filzstift und Nagellack in kleine Kunstwerke Bild: DW/Manuel Rueda

Er wusste bereits, wie man Handtaschen aus weggeworfenen Zigarettenschachteln und Zeitungspapier näht. Also nutze er stattdessen die Bolivars. "Wir arbeiten hart, um diese Taschen herzustellen", sagt er in seinem Appartement, als er die letzten Stiche auf einen seiner Geldbeutel nähte. "Aber jetzt haben wir genug Geld, um uns zu ernähren und die Miete zu zahlen."

Schönes in Krisenzeiten

Campos ist nicht der einzige Künstler, der Bolivar-Scheine als Stoff für sein Handwerk verwendet. In der venezolanischen Stadt San Cristobal dienen sie dem Grafikdesigner Jose Luis Leon als Leinwand. Seine Filzstift- und Nagellack-Zeichnungen auf den Geldscheinen zeigen aktuelle Ereignisse, venezolanische Touristenattraktionen und populäre japanische Cartoons.

Seine fertigen Arbeiten postet er auf Instagram, um sie der ganzen Welt zu zeigen. Der 25-jährige Künstler hat seine Stücke für bis zu 100 US-Dollar an Kunden verkauft, die in den USA leben. Seine Werke verkauft er aber auch in Venezuela für Beträge zwischen 2 und 20 US-Dollar. Eines seiner Stücke hat er sogar in einer Kunstgalerie in Caracas ausgestellt.

"Diese Zeichnungen zeigen einen kritischen Moment in Venezuelas Geschichte", sagt Leon selber über seine Leinwandzeichnungen. "Sie zeigen dir auch, dass du aus etwas, das jetzt wertlos erscheint, etwas Schönes machen kannst."