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Bonus verspielt

Steffen Leidel 26. Juni 2003

Nach einer wochenlangen Streikwelle ist die Regierung Perus zurückgetreten und hinterlässt einen angeschlagenen Präsidenten. Dem einstigen Hoffnungsträger der Armen, Alejandro Toledo, wächst sein Amt über den Kopf.

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In Bedrängnis: <br>Alejandro ToledoBild: AP

Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent, kleine Inflationsrate und geringes öffentliches Defizit: So könnte eine Erfolgsgeschichte beginnen. Zahlen erzählen aber nicht immer die ganze Geschichte, wie im Fall des Andenstaates Peru. Das Land wächst wirtschaftlich zwar am schnellsten in Südamerika. "Die Bevölkerung hat davon aber nicht profitiert", sagt Andreas Steinhauf vom Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg zu DW-WORLD. Im Gegenteil: in Peru werden die niedrigsten Löhne Lateinamerikas gezahlt, mehr als die Hälfte der rund 27 Millionen Peruaner lebt in Armut.

Der Rücktritt von Ministerpräsident Luis Solari und des gesamten Kabinetts am Dienstag (24. Juni 2003) kam für politische Beobachter nicht überraschend. Er könnte das politische Überleben von Präsident Alejandro Toledo vorerst gesichert haben. Durch die Ankündigung, Mitglieder der Opposition und unabhängige Politiker in die Regierungsgeschäfte einzubinden, versucht Toledo das erzürnte Volk milde zu stimmen. Schließlich ist seine Beliebtheit auf einen neuen Tiefpunkt gesunken: Nur noch zehn Prozent der Peruaner sind mit seiner Amtsführung zufrieden. Toledo schlägt nun versöhnliche Töne an. Es sei nun an der Zeit, "in den Spiegel zu schauen und aus Fehlern, Stärken und Schwächen zu lernen".

Wankelmütiger Präsident

Bis vor kurzem zeigte der Präsident noch die geballte Faust. Ende Mai hatte er den Ausnahmezustand ausgerufen. Überall im Land wurde Militär aufgestellt, Versammlungen verboten und Bürgerrechte eingeschränkt. Der Grund war eine Streikwelle, die am Ende mehr als zwei Millionen Menschen auf die Straße trieb. Zuerst hatten die Lehrer für höhere Löhne demonstriert, ihnen schlossen sich die Beschäftigten im Gesundheits- und Justizwesen an, und am Ende folgten die Bauern, die gegen die von der Weltbank empfohlene Privatisierung der Wasserversorgung demonstrierten. Es kam zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei und dem Militär. Mindestens ein Mensch starb, Hunderte wurden verletzt. In den Demonstrationen entlud sich der Zorn der Menschen auf Toledo, der seine Wahlversprechen wie mehr Arbeitsplätze, höhere Gehälter und bessere Bildung bislang schuldig geblieben ist.

Vier Wochen nach der Verhängung (26. Juni 2003) hat Toledo den Ausnahmezustand für die meisten Regionen des Landes wieder aufgehoben. Davon ausgenommen blieben einige Gebiete, in denen die maoistische Guerilla-Gruppe "Leuchtender Pfad" aktiv ist. Eine bis Freitag geplante Reise zum Gipfel der Andenstaaten nach Kolumbien sagte der Präsident wegen der innenpolitischen Krise ab.

Symbol des Widerstands gegen Fujimori

"Wir sind zum Erfolg verdammt", rief Toledo noch bei seinem Amtsantritt im Juli 2001. Der 57-Jährige verkörperte wie kein anderer den Widerstand gegen seinen Vorgänger Alberto Fujimori, der den Andenstaat heruntergewirtschaftet hatte. Fujimori, gegen den ein internationaler Haftbefehl wegen Landesverrat, Mord und Unterschlagung vorliegt, floh im November 2000 aus dem Land und lebt seitdem unbehelligt in Japan. Popularität bescherte Toledo auch seine indianische Herkunft. Seine Eltern waren Kleinbauern, von seinen 15 Geschwistern starben sieben an Unterernährung. Als Kind arbeitete Toledo als Schuhputzer und Zeitungsjunge. Nach dem Sieg bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb bekam der damals 14-Jährige ein Stipendium für die USA. Es folgte eine internationale Karriere wie im Bilderbuch: nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften wurde Toledo Professor an renommierten Universitäten und Berater bei Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Weltbank.

Keine politische Erfahrung

Das sind beste Referenzen für einen Staatschef, sollte man meinen. Doch Toledo fehlt es an Führungsstärke. "Das Amt ist ihm zwei Nummern zu groß", sagt Peru-Experte Steinhauf. Innerhalb kürzester Zeit habe Toledo es geschafft, seinen Bonus in der Bevölkerung zu verspielen. Die Liste der politischen Fehler ist lang: Kurz nach den Wahlen stattete er sich mit üppigen Bezügen aus, dann folgte eine umstrittene Kabinettsumbildung, bei der er Personen aus seiner Verwandtschaft in die Regierung holte. Außerdem soll er versucht haben, einen privaten Fernsehsender zu manipulieren.

Die Angst vor einem Machtvakuum wächst in der Bevölkerung. "Die Menschen fürchten, der Ruf nach einem starken Mann könnte wieder laut werden", so Steinhauf. Für Unruhe sorgt dabei auch das vermeintliche Wiedererstarken der Guerilla-Gruppe "Leuchtender Pfad" (Sendero Luminoso), die in den 1980er und 1990er Jahren die Regierung durch Bombenanschläge, Entführungen und Morde immer wieder in Bedrängnis gebracht hatte. Nach massiven Militäreinsätzen wurde der Gründer Abimael Guzman 1992 gefangengenommen. "Doch der Sendero Luminoso ist nie verschwunden", sagt Steinhauf. Erst vor kurzem hatte die Gruppe 71 Arbeiter einer argentinischen Firma, die an einer Gaspipline arbeiteten, entführt. Einen Tag später waren die Männer wieder freigekommen. Präsident Toledo sprach von einer "vorbildlichen" Aktion durch die Streitkräfte. Doch es bleiben Zweifel am Erfolg. Einer der Freigelassenen berichtete, die Guerilleros hätten die Geiseln einfach gehen lassen.