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Bosnier in Deutschland: Eine zweite Heimat

Belma Fazlagic-Sestic12. Januar 2013

In Deutschland leben rund 240.000 Menschen, die aus Bosnien und Herzegowina stammen. Zum Beispiel Irma Stöckigt, die 2006 ihren Chefsessel gegen ein Leben in der Bundesrepublik eintauschte.

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--- DW-Grafik: Peter Steinmetz

Die Liebe hat sie nach Deutschland gebracht: Als die bosnische Managerin Irma Stöckigt ihren Bruder in der Bundesrepublik besuchte, lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen. "Mein Bruder lebt schon seit 20 Jahren hier. Ich habe ihn oft besucht, Deutschland fand ich schon immer toll, doch ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages hier leben würde", erinnert sich die Wirtschaftswissenschaftlerin. Anfang 2006 zog sie nach Deutschland und lebt jetzt in der Nähe von Wuppertal.  
 
Irma Stöckigt ist 1970 in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Travnik geboren und hat in der kroatischen Hauptstadt Zagreb studiert. Später arbeitete sie in Sarajevo in einem international tätigen Unternehmen: "Ich habe ein Team von 50 Mitarbeitern geleitet. Beruflicher Aufstieg war mir wichtig." Doch dann gab sie diese Stelle auf, um mit ihrem zukünftigen Mann in Deutschland zu leben.  

Die meisten Menschen, die aus Bosnien und Herzegowina in die Bundesrepublik ziehen, tun das aber aus ganz anderen Gründen. Während des Bürgerkriegs (1992-1995) suchten 350.000 Flüchtlinge Zuflucht in Deutschland. Viele von ihnen kehrten später aber zurück oder wanderten in andere Länder aus. Nach Angaben der Agentur für Statistik in Bosnien und Herzegowina lebten schon vor dem Zerfall Jugoslawiens (1991) rund 113.000 Bürger aus Bosnien und Herzegowina in Deutschland.

Einwanderer und ihre Migrationsgründe

Das Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina verfügt nicht über genaue Angaben, wie viele Bürger nach dem Krieg nach Deutschland ausgewandert sind. Die stellvertretende Ministerin Ruzmira Tihic-Kadric sagte, Bosnien und Herzegowina verfüge nur über die Zahl der abgemeldeten Personen: "Da aber im Land keine Abmeldepflicht herrscht, berufen wir uns immer auf die Angaben des deutschen Bundesamtes für Statistik. Die sind sehr verlässlich."

Laut diesen Daten leben in Deutschland rund 240.000 Menschen, die aus Bosnien und Herzegowina stammen. Etwa 80.000 haben die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. „Nach dem Krieg wurde die Emigration fortgesetzt, hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, aber es gab auch viele Familienzusammenführungen. Außerdem sind in den letzten Jahren viele junge Menschen nach Deutschland gegangen, um dort zu studieren“, sagt Ruzmira Tihic-Kadric. Auch Bosnien und Herzegowina verliert Fachkräfte, insbesondere Ärzte, weil Deutschland, aber auch die gesamte EU, um junge, gut ausgebildete Migranten werben.

Ihre gute Ausbildung möchte auch Irma Stöckigt in Deutschland einbringen. Zur Zeit arbeitet die zweifache Mutter in einer Grundschule als Integrationshelferin. Sie unterstützt Kinder mit besonderem Förderbedarf dabei, den schulischen Alltag zu meistern. Die Rückkehr in den alten Beruf war der ehemaligen Managerin aber nicht möglich: "Am Anfang habe ich mich komplett der Familie gewidmet und nicht über die Fortsetzung meiner Karriere nachgedacht. Doch als ich später versuchte, ins Berufsleben zurückzukehren, stieß ich auf zahlreiche Hindernisse."

Familie und Beruf – eine schwierige Mission

Eines davon sei der harte Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt: "Außerdem sind fast alle Stellen in der betriebswirtschaftlichen Branche auf Vollzeit ausgelegt. Ich würde mir wünschen, dass man in den Firmen ein bisschen mehr Verständnis für Mütter mit kleinen Kindern zeigt, dass sie ihre Arbeitszeit flexibel gestalten können." Sie habe viele Bewerbungen geschrieben und sich auch auf Stellenausschreibungen mit geringeren Qualifikationsanforderungen beworben – doch der Erfolg blieb aus: "Ich wollte halbtags arbeiten und habe nicht einmal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommen."

In Deutschland sei es besonders schwierig, Familie und Beruf zu vereinbaren, meint die 42-jährige Irma Stöckigt. "In Bosnien und Herzegowina ist es anders. Viele junge Mütter arbeiten in Vollzeit, sie  haben in ihrem sozialen Umfeld mehr Unterstützung." Großmütter, Tanten oder Geschwister seien oft da, um für ein paar Stunden auf die Kinder aufzupassen.

Trotzdem gibt Irma die Hoffnung nicht auf, eines Tages in Deutschland  als Managerin zu arbeiten – am liebsten in einem international tätigen Unternehmen. Ihre Entscheidung, das vertraute Umfeld zu verlassen und nach Deutschland auszuwandern, habe sie nie bereut: "Ich habe hier - im Großen und Ganzen - nur positive Erfahrungen gemacht."

Bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in einer deutschen Notunterkunft (Foto: Waltraud Grubitzsch)
Bosnische Flüchtlinge in einer deutschen NotunterkunftBild: picture alliance/dpa
Porträt Irma Stöckigt (Foto: Belma Fazlagic)
Irma Stöckigt: "Beruflicher Aufstieg war wichtig"Bild: DW