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Boulevardnahrung für die Masse

Oliver Schilling25. Juni 2002

Vom Land des Wirtschaftswunders zur 'Bild-Republik Deutschland'. Die Bild-Zeitung ist Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. An diesem Montag (24.6.) wird das Massenblatt 50.

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Bild-Zeitung:<br>Mediale Seifenblase

Die Zeiten des heimlichen Boulevardlesens sind vorbei. Die Bild-Zeitung ist in und wer mitreden will, muss sie lesen. An diesem Montag (24. Juni) vor fünfzig Jahren erschien die Bild-Zeitung zum ersten Mal in einer vierseitigen Ausgabe. Der erste Titel: "Grenze bei Helmstedt wieder gesichert!". Als Pendant zum aufkommenden Fernsehen schuf Axel Springer im zerrütteten Nachkriegsdeutschland eine Pressebildröhre, auf der sich allmorgendlich die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes wiederspiegeln sollten. Bilder, Bewegung, Schlagzeilen. Bild – der Name war für Springer Auftrag und Programm zugleich. Den grauen Alltag aufhellen, ein Tor zur Welt schaffen und die Menschen dort abholen, wo man sie vermutete: im konservativ-liberalen Kleinbürgertum. – All das wollte Bild und hat es wohl geschafft.

Größte Zeitung Europas

Mit einer anfänglichen Auflage von 200.000 ist Bild gestartet. Heute gehen 4,4 Millionen Exemplare über bundesdeutsche Kiosktheken. Rund 14 Millionen Menschen lesen die Schlagzeilen Tag für Tag. Auch im europäischen Vergleich ist sie die Nummer eins, noch vor Blutblättern wie der britischen Sun, der französischen France-Soir oder der österreichischen Kronenzeitung. Sie ist das Flagschiff des Axel Springer Verlages und bringt viel Geld in die Kassen des Unternehmens, das ohne die Einnahmen aus Bild vermutlich schon längst finanziell ruiniert wäre.

Borderline Journalismus

Bilds Stil blieb nicht unkritisiert. Erfindung und Wirklichkeit gehen eine wundersame Symbiose ein. Die leiseste Vermutung, das kleinste Gerücht reicht, um eine Schlagzeile zu produzieren. Allein 73 Rügen des Deutschen Presserates verdiente sich das Blatt seit seinem Enstehen. Auch zur Politik unterhält man beste Verbindungen: Chefredakteur Kai Dieckmann dürfte als Kohl-Biograph keine Probleme haben, Termine in höchsten Unionsetagen zu bekommen. Seine Vorgänger finden sich in hochdotierten Beraterposten wieder: Ex-Bild Chef Bela Anda ist als stellvertretender Regierungssprecher unter Gerhard Schröder untergekommen. Sein Vorgänger Peter Boenisch durfte für Helmut Kohl die Pressegeschäfte leiten. Anne-Kathrin Berger, frühere Bild-Chefin in Hannover, ist Pressesprecherin der CDU-Regierung in Sachsen-Anhalt. Bild braucht die Politik und die Politik braucht Bild – auch in personeller Hinsicht.

Grundnahrung fürs Volk

Das Selbstverständnis der Zeitung ist indes schnell erklärt: Bild versteht sich als das zu Papier gewordene nationale Bewußtsein, das kollektive Selbst einer Nation. "Yes, wir sind im Halbfinale", "Wie viele Ausländer kommen jetzt zu uns" – wir, das ist die Summe der deutschen Seelen, ich, Du, der Nachbar, die ganz Großen wie der kleine Mann. Bild spricht alle an, ist für alle da, will journalistische Grundnahrung fürs Volk bieten.

Ihre Überschriften sind gern gelesen und wer glaubt, etwas von Medien zu verstehen, bekundet beflissentlich, dass man der Bild-Zeitung nicht glauben könne, sie aber zweifelsohne gut gemacht sei. Jede anderslautende Einschätzung gilt als nicht-fachkundig und unzeitgemäß. Rechtschreibfehler findet man im übrigen kaum auf den bunten Seiten.