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Brüssel ist Mekka für Lobbyisten

Bernd Riegert28. Juli 2006

Dürfen Abgeordnete politisch wirken und gleichzeitig noch Lobbyarbeit betreiben? Zu dieser Frage gab es in Deutschland jüngst aufgeregte Debatten. In Brüssel gehört das zum guten Ton.

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Braucht Brüssel mehr Kontrolle?Bild: AP

Im politischen Sommerloch hat der Fall Schlagzeilen gemacht: der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen sollte Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) werden. Gleichzeitig wollte Röttgen aber sein Abgeordnetenmandat behalten. Lobbyarbeit für einen Verband und politische Arbeit im Parlament? Das passe nicht zusammen, sagte die Opposition und bekam dabei Unterstützung von zwei ehemaligen BDI-Vorsitzenden. Röttgen entschied sich am Ende für die Arbeit als Abgeordneter, doch die Debatte über Lobbyismus ist damit in Deutschland noch nicht verstummt.

In Brüssel dagegen, Sitz vieler EU-Institutionen und Büros, haben Lobbyisten nicht das schlechte Image, das ihnen teilweise in Deutschland anhaftet. Rund 15.000 professionelle Einflussnehmer, Vertreter von Firmen, Verbänden, Standesorganisationen, Kirchen, Umweltgruppen, Bundesländern rangeln um die politische Einflussnahme. Offiziell sind sogar 4.500 von ihnen beim Europäischen Parlament registriert, ausgestattet mit Ausweis und Verhaltenskodex.

Hans-Peter Martin
Der österreichische EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin prangert das System anBild: dpa

Lobbyisten liefern Fachwissen

Sie dürfen einen Parlamentarier natürlich nicht bestechen, aber unter Umständen seinen Mitarbeiter bezahlen, wenn der Parlamentarier das in seiner jährlichen Erklärung zu seinen finanziellen Interessen offen legt. Abgeordnete und auch die Beamten der EU-Kommission machen keinen Hehl daraus, dass sie die Zusammenarbeit mit den Lobbyisten schätzen, um möglichst schnell und einfach Fachwissen aus den jeweiligen Branchen einzuholen.

Das Europäische Parlament hat nämlich im Gegensatz zum Deutschen Bundestag keinen vergleichbaren wissenschaftlichen Mitarbeiterstab. Das führe dazu, dass sich Abgeordnete und Beamte der Kommission ihre Gesetzesentwürfe und Stellungnahmen gleich von den Lobbyisten schreiben ließen, behauptet der Abgeordnete Hans-Peter Martin aus Österreich. Der in Brüssel als Nestbeschmutzer geschmähte Martin hat vor zwei Jahren einen Bericht über das Lobby-System für das Parlament angefertigt und sieht Gefahren in der engen Verflechtung: "Lobbyisten intervenieren hintenherum bevor überhaupt etwas auf dem Papier ist. Es gibt viele faule und überforderte Beamte, die sich die Arbeit gerne abnehmen lassen. Und es gibt sogar Abgeordnete, die sich damit brüsten, dass ihnen Lobbyisten die Änderungsanträge schreiben", sagt Martin.

Mandat und Nebentätigkeit keine Seltenheit

Dass einer der 732 Parlamentarier gleichzeitig einen Spitzenjob in einer Lobbyfirma oder einem Industrieverband inne hätte, ist nicht bekannt. Aber die Abgeordneten üben teilweise Berufe neben ihrem Mandat aus: So ist Elmar Brok von der CDU Vizepräsident der Medienentwicklung beim Konzern Bertelsmann. Cem Özedmir von den Grünen tritt laut Selbstauskunft bei kommerziellen Veranstaltungen als Gastredner gegen Honorar auf. Silvana Koch-Mehrin von der FDP kassiert ebenfalls für Gastvorträge und Vural Öger von der SPD ist geschäftsführender Gesellschafter seines Hamburger Reiseunternehmens. Andere Abgeordnete arbeiten als Landwirte oder Anwälte. Der Abgeordnete Martin, der den kritischen Bericht über Lobbyismus geschrieben hat, hat gegen Nebentätigkeiten offenbar nichts einzuwenden. Der ehemalige SPIEGEL-Korrespondent arbeitet selbst weiter als Journalist und Geschäftsführer eines Informationsdienstes.

Die Berufsfelder sind übrigens durchlässig. Viele EU-Abgeordnete waren zuvor Lobbyisten, Journalisten wechseln in die Lobbyistensparte, ehemalige Abgeordnete wandern ab in die Verwaltung oder werden Verbandsfunktionäre. - In Brüssel kennt man sich und Geschäftsessen gelten als harte Arbeit während der üblichen 60-Stunden-Woche.

Gebäude EU Kommission in Brüssel p178
Die EU-Kommission: Magnet für LobbyistenBild: AP