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Brüssel ratlos

Alexander Kudascheff22. September 2005

So ratlos wie Deutschland über den Ausgang der Wahl ist - so ratlos ist auch Brüssel. Wie geht es weiter im größten Land der europäischen Union?

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Wann kommt es zu einer stabilen Regierung? Und wer wird sie bestimmen? Ein sozialdemokratischer Kanzler Schröder wie bisher oder die Christdemokratin Merkel? Die Frage, die Deutschland umtreibt, die treibt auch Brüssel um.

Alexander Kudascheff

Denn eins ist klar: Ist Deutschland handlungsunfähig, dann ist auch die EU handlungsunfähig. Sie ist nicht ganz paralysiert, denn natürlich geht der politische Alltag im gewohnten Trott weiter. Die Kommission arbeitet, das Parlament auch und natürlich auch der Rat unter britischer Ägide. Aber: Auf die Deutschen kommt es immer wieder an. Nicht unbedingt bei den Kleinigkeiten, aber doch bei den großen Entscheidungen. Zum Beispiel: bei den Haushaltsverhandlungen über den Etat der EU von 2007 bis 2013. Sie liegen auf Eis seit der Brüsseler Gipfel dramatisch im Juni scheiterte. So lange die Deutschen nicht mitentscheiden können, so lange wird Tony Blair gar nichts auf den Tisch legen (wenn er es überhaupt vorhat), ja legen können. Eine Übergangsregierung in Berlin kann weder handlungsfähig noch kompromissbereit sein.

Platz am Katzentisch

Ein zweites Thema: der nächste Gipfel der EU Ende Oktober nahe bei London. Da sollte es mal grundsätzlich - so die Idee Blairs - um die Zukunft des europäischen Sozialmodells gehen. Da sollte mal wirklich nachgedacht werden, wie es aussieht? Wie angelsächsisch liberal, wie staatsnahe deutsch/französisch oder wie gemischt skandinavisch/niederländisch? Erst dann - so die Überlegung Blairs - könne man auch sagen, wieviel Geld die EU für welche Aufgaben überhaupt aufbringen wolle? Wieviel Geld zentral in Brüssel verwaltet werden solle und wieviel nicht? Ein vernünftiger Ansatz - doch die Deutschen könnten am Katzentisch der Diskussion sitzen, wenn sie bis dahin keine Regierung haben. Schlechte Aussichten also für die EU.

Das Thema der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei allerdings ist von der deutschen Ratlosigkeit nicht betroffen. Sie werden am 3. Oktober aller Voraussicht aufgenommen - wenn es nicht zu dramatischen Paukenschlägen aus Nikosia, Ankara oder Athen kommt, an die niemand zur Zeit glaubt.

Vorsichtig bis zweifelnd

Das deutsche Patt, die Berliner Sackgasse trifft die EU in einem schlechten Moment. Die EU ist durch den Haushaltsstreit wie gelähmt. Frankreich ist nach dem gescheiterten Referendum europapolitisch geschwächt. Die Niederlande als Gründungsland der EU auch. Luxemburgs Juncker ein ebenso gewiefter wie erfahrener Vermittler nach dem Gipfelfiasko enttäuscht und resigniert. Und Deutschland kann keine Rolle spielen - weil niemand weiß, wer sie spielen soll. Die Schwäche der EU aufzubrechen, das ist für die bis jetzt schwache britische Ratspräsidentschaft eine politische Herkulesaufgabe. Ob sie sie stemmen kann? Da ist man in Brüssel zurückhaltend, vorsichtig - bis zweifelnd.