1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Brandherd Kaschmir

Günter Knabe27. Dezember 2001

Flammen des Krieges züngeln empor an der pakistanisch-indischen Grenze, Löschaktionen sind dringendst vonnöten. Ein Kommentar von Günter Knabe.

https://p.dw.com/p/1Ylt

Die akute Krise ist noch gefährlicher als alle bisherigen indisch-pakistanischen Auseinandersetzungen, weil beide Staaten mittlerweile Atomsprengköpfe getestet haben. Angeblich haben beide mehrere Dutzend einsatzfähige Atomwaffen. Deswegen guckt die Welt besorgter noch als in der Vergangenheit auf den Brandherd Kaschmir.

Ausgelöst wurden die jetzigen gefährlichen Spannungen durch den Terror-Angriff auf das indische Parlament am 13. Dezember. Fünf mutmaßliche Kaschmiri-Terroristen versuchten mit Sprengstoff und Maschinenpistolen, das Gebäude der Volksversammlung in Neu Delhi zu stürmen. Sie und neun indische Sicherheitskräfte starben. Dieser Angriff traf die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt ins politische Herz. Indien musste entschlossen und hart auf diese Tat reagieren. Das wird jeder, auch die pakistanische Regierung, nachvollziehen können.

Separatisten-Gruppen

Tatsächlich hat Pakistan den Angriff auf das indische Parlament umgehend verurteilt. Die Regierung unter Präsident General Musharaf erklärte auch, sie werde gegen solche Gruppen vorgehen, die dafür verantwortlich seien - vorausgesetzt, ihre Verwicklung in diesen Terror-Angriff werde bewiesen.

Für die Inder scheint die Sache klar: Indiens Regierung beschuldigte sofort kaschmirische Kämpfer der Tat und machte Pakistan dafür verantwortlich. Neu Delhi behauptet, dass die Angreifer zu den beiden kaschmirischen Separatistengruppen - Jaish-e-Mohammad und Lashkar-e-Taiba - gehören. Pakistan solle die Führer beider Muslim-Milizen verhaften. Seiner Forderung verlieh Indien starken Nachdruck: Es berief seinen Botschafter aus Islamabad ab und kündigte die Schließung des einzigen offenen Grenzüberganges für Pakistan an.

Druck und Gegendruck

Pakistans Präsident bezeichnete auf einer China-Reise diese ersten Maßnahmen als überzogen. Schon hatte der übliche unheilvolle Mechanismus von Druck und Gegendruck, von Drohung und Gegendrohung, eingesetzt. Truppen werden von beiden Seiten an die Grenze verlegt. Indien bringt dort Mittelstreckenraketen vom Typ Agni II in Stellung. Sie können Atomsprengköpfe transportieren.

Pakistan ist Indien zahlenmäßig in allen militärischen Bereichen unterlegen und weiß das auch. Sein Präsident Pervez Musharaf ist nicht nur militärisch in einer schwierigen Lage. Auch politisch muss er sich in die Ecke gedrängt fühlen. Nicht umsonst signalisiert seine Regierung Richtung Indien immer wieder Bereitschaft, über die Konflikte zu reden. Nach dem Ende der Sowjetunion wechselte Washington abrupt die Partner auf dem Subkontinent. Pakistan wurde wegen der Atomversuche von der Regierung Clinton viel schärfer kritisiert als Indien. Islamabad wurde abrupt vom Hätschelkind zum Prügelknaben der USA; Indien wurde als Gegengewicht zu China genau so plötzlich hofiert.

Zulauf für Terroristen?

Spätestens seit dem Krieg gegen Osama Bin Laden, seine Al-Qaida-Bewegung und das Taliban-Regime in Afghanistan werden die muslimischen Unabhängigkeitskämpfer in Kaschmir eindeutig als Terroristen eingestuft. Indien befürchtet nicht ohne Grund, dass sie nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes und dem Sieg über die Al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan starken Zulauf bekommen von jenen Kämpfern, die Amerikas Militärschläge überlebt haben und sich nach Pakistan und Kaschmir absetzen konnten. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass Teile des pakistanischen Militärs und vor allem seines Geheimdienstes ISI noch immer starke Sympathien für die muslimischen Fundamentalisten aus Afghanistan hegen. Für Präsident Musharraf ist es nicht leicht, in dieser Situation die Emotionen unter Kontrolle zu halten, die bei allen Pakistani sofort aufflammen, vor allem, wenn es um Kaschmir geht. Aber auch für die Inder ist dieses Kaschmir ein Objekt von höchstem politischen Wert, für den man jeden Preis zu zahlen bereit ist.

Es fällt auf, dass Pakistan in der jetzigen aufgeputschten Stimmung deutlich und wiederholt erklärt, es sei zu Gesprächen mit Indien bereit. Dabei weist Präsident Musharraf aber auch darauf hin, dass sein Land ebenfalls Atomwaffen zur Verfügung habe. Immerhin hat die pakistanische Regierung den Chef der Jaish-e-Mohammad, den Geistlichen Maulana Azhar Masood, festgesetzt. Die Geste allein reicht Indien nicht. Die militärischen Spannungen steigen weiter, die Flammen des Krieges züngeln ungelöscht.

Falsche Richtung

Gefordert sind nun die USA und China, alles zu tun, um den Ausbruch eines Krieges mit diplomatischen und politischen Mitteln zu verhindern. Washington macht dies aus eigenem Interesse. Ein Krieg der Nachbarn würde vom Kampf gegen den Terrorismus in eine ganz falsche Richtung ablenken. Die Kaschmir-Separatisten kämpfen nicht als muslimische Terroristen gegen Amerika oder den Westen insgesamt. Sie wollen mit blutigen Mitteln muslimische Selbstbestimmung für die Kaschmir-Bevölkerung. China als enger und beständiger politischer Verbündeter Pakistans muss alles daran setzen, dass dieser Rivale Indiens nicht untergeht. Den Verbündeten Pakistan braucht Peking gegen seinen Konkurrenten Indien.

Bei den starken Emotionen und dem heftigen Nationalstolz, die sowohl Pakistani als auch Inder mit Kaschmir verknüpfen, besteht durchaus die Gefahr, dass beide Länder als letztes schreckliches Mittel ihre Atomwaffen einsetzen. Den meisten Menschen in beiden Staaten sind die verheerenden Folgen nicht bewusst. Man kann nur auf die Vernunft der Regierenden hoffen.

Die Gefahr eines Krieges kann nur durch massiven Druck der Weltgemeinschaft und vor allem der USA und Chinas auf beide Staaten gebannt werden. Selbst wenn dieser Krieg in letzter Minute verhindert wird, so ist das noch längst keine Lösung des Kaschmir-Konflikts. Er muss durch lange zähe Gespräche und Verhandlungen beigelegt werden, damit der Brandherd Kaschmir endlich auf Dauer gelöscht wird. Die Politiker Indiens und Pakistans brauchen nur ihre Vernunft walten zu lassen und die Größe zu Kompromissen zu zeigen.