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Brasilien nicht reif für Führungsrolle

Das Gespräch führte Geraldo Hoffmann5. November 2005

Nach dem Amerikagipfel trifft US-Präsident Bush seinen brasilianischen Amtskollegen Lula. DW-WORLD sprach mit dem Lateinamerika-Experten Hartmut Sangmeister über Brasiliens Versuch, sich als Regionalmacht zu profilieren.

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Lula: innenpolitisch unter DruckBild: dpa - Bildfunk

DW-WORLD: Brasilien versucht sich als Regionalmacht zu profilieren und sucht neue Partner - wie Indien, China oder Russland. Das wird von den USA mit Misstrauen beäugt. Wie beurteilen Sie diese Umorientierung der brasilianischen Außenpolitik?

Hartmut Sangmeister
Prof. Dr. Hartmut SangmeisterBild: PLA

Hartmut Sangmeister: Die brasilianische Regierung hat im Moment enorme innenpolitische Probleme und es ist ein bekanntes Politikmuster, dass man - um von solchen Problemen abzulenken - außenpolitische Aktivitäten startet. Brasilien hatte ja einige Erfolge bei den letzten WTO-Verhandlungen, in dem es sich kurzfristig mit anderen Entwicklungs- und Schwellenländern koordiniert hat und dann letztendlich die Verhandlungen hat scheitern lassen. Aber das ist langfristig gesehen keine erfolgreiche Strategie.

Brasilien hat weder das politische noch das ökonomische Potenzial um sich als Akteur auf der Weltbühne alleine zu behaupten und als regionale Mittelmacht die anderen lateinamerikanischen Staaten hinter sich zu scharen. Die kurzfristigen Versuche, mit Chávez in Venezuela eine Koalition zu bilden sind relativ schnell abgebrochen worden, aus guten Gründen, und bei anderen lateinamerikanischen Staaten stehen gewisse Vorbehalte gegen die von Brasilien intendierte Führungsrolle.

Also wird sich Brasilien auch nicht als regionale Macht, als Gegenpol zu den USA, behaupten können?

Nein. Lula verweist natürlich immer gerne auf die Goldman-Sachs Studie zu den berühmten BRICs-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), wonach diese Staaten zukünftig auf der Weltbühne agieren würden. Ich bin da skeptisch. Wir hatten schon solche Ankündigungen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahren. Doch nach nur einer Dekade ist die Blase geplatzt und Brasilien war wieder ziemlich weit unten.

Damit Brasilien sich als Mittelmacht langfristig behaupten kann braucht es nicht nur wirtschaftliche Erfolge - die sind im Moment sehr stark rohstoffbasiert - und das kann sich, wie die Erfahrung zeigt, sehr schnell ändern. Vor allen Dingen muss das Land seine internen Probleme lösen. Ein Land mit solchen sozialen Gegensätzen wird nie eine Führungsrolle übernehmen können, weil immer wieder die innenpolitischen Probleme den außenpolitischen Spielraum einengen werden.

Es ist auffällig, dass sich Brasilien zunehmend nach China orientiert. Sind die Chinesen denn auf dem Weg, Brasiliens wichtigster Handelspartner vor Europa und den USA zu werden?

Noch ist die Europäische Union der wichtigste Außenhandelspartner. Auch bei den Investitionen spielt die EU eine ganz wichtige Rolle in Brasilien. China hat im Außenhandel mit Brasilien erstaunliche Wachstumsraten, aber das geht von einem vergleichsweise niedrigen Niveau aus. Wenn man sich die Struktur des Außenhandels Brasilien-China anschaut, dann sieht man das alte Kolonialzeitmuster. Das ist aber nicht zukunftsfähig, zumindest nicht für Brasilien. Brasilien exportiert überwiegend Rohstoffe und Agrarprodukte, aber kaum wissensbasierte Produkte, in denen die höchsten Wertschöpfungszuwächse zu erwarten sind.

Noch mal zu den US-brasilianischen Beziehungen: Wem steht Lula eigentlich näher: Bush oder dem venezolanischen Präsidenten Chávez?

Venezuelas Präsident Hugo Chavez mit Kubas Präsident Fidel Castro
Venezuelas Präsident Hugo Chávez mit Fidel CastroBild: AP

Bush steht er sicherlich nicht näher als Chávez. Gleichzeitig hat er auch zu Recht ziemliche Vorbehalte gegen Chávez. Aber die USA sind ein wichtiger Wirtschaftspartner für Brasilien, wesentlich wichtiger als Venezuela. Keine brasilianische Regierung kann die wirtschaftlichen Gegebenheiten einfach überspielen und sagen, wir suchen uns jetzt etwa einen Chávez als wichtigsten Partner. Das ist völlig unrealistisch.

Venezuela und Brasilien wollen eigener Wege in Sachen Atomprogramm gehen, was auch für Irritationen sorgt. Werde die USA das verhindern wollen?

Zunächst zum brasilianischen Atomprogramm: Das hat eine sehr lange Geschichte und zwar eine lange deutsch-brasilianische Geschichte. Deutschland war ja immer sozusagen unter der Beobachtung der USA wegen der Lieferung bestimmter Komponenten für das brasilianische Atomprogramm während der Militärdiktatur. Dann gab es ja, wie man heute weiß, ein geheimes Atomprogramm der brasilianischen Militärs, bei dem auch Deutsche direkt und indirekt beteiligt waren. Nun ist die Militärstrategie Brasiliens heute eine ganz andere. Brasilien wird sich sicherlich die Option der energetischen Nutzung des Atomprogramms offen halten wollen, sie braucht es auch, denn das Hydropotenzial Brasiliens ist weitgehend ausgeschöpft.

Bei Chávez sehe hier überhaupt keine Möglichkeiten. Die wissenschaftliche und technologische Landschaft Venezuelas lässt kaum erkennen, wie aus eigener Kraft ein Atomprogramm umgesetzt werden könnte, das auch nur annährend an das brasilianische herankommt. Da brauchen sich die USA überhaupt keine Sorgen zu machen.

Hartmut Sangmeister arbeitet am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Heidelberg.