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Zustimmung für Gauck

20. Februar 2012

Die Kandidatur von Joachim Gauck für die Nachfolge des zurückgetretenen Christian Wulff wird allgemein begrüßt. Eine Partei aber fühlt sich ausgegrenzt und denkt über einen Gegenkandidaten nach.

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Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck, aufgenommen am 28.04.2011 während der TV-Talksendung "Maybrit Illner". (Foto: Karlheinz Schindler)
Deutschland Bundespräsident Kandidat Joachim GauckBild: picture-alliance/dpa

Die Kandidatensuche ist zwar beendet, aber der Streit über die Kandidatenkür geht aus mehreren Gründen weiter. Nachdem Angela Merkels Christdemokraten (CDU) Joachim Gauck zunächst abgelehnt hatten, akzeptierten sie den Vorschlag der oppositionellen Soziademokraten (SPD) und Grünen am späten Sonntagabend (19. Februar 2012) schließlich doch. Verärgert sind sie über ihre freidemokratische Koalitionspartnerin (FDP), die sich ohne Absprache ebenfalls für Gauck ausgesprochen und damit die Konservativen unter Zugzwang gesetzt hatte.

Der einflussreiche CDU-Politiker Wolfgang Bosbach kritisierte in mehreren Interviews das Vorpreschen der FDP. Es sei ihr Recht, sich zu positionieren, "ob es klug ist, ist eine andere Frage", sagte er dem Sender "n-tv". Die zunächst ablehnende Haltung Angela Merkels gegenüber Gauck, will Bosbach nicht als Misstrauensvotum gegen den evangelischen Theologen verstanden wissen, der wie die Kanzlerin aus Ostdeutschland stammt. Sollte Gauck zum Nachfolger des am Freitag zurückgetretenen Christian Wulff gewählt werden, woran aufgrund der Mehrheitsverhältnisse kein Zweifel besteht, würden 22 Jahre nach der deutschen Vereinigung erstmals zwei ehemalige DDR-Bürger die beiden höchsten politischen Ämter im Staat bekleiden.

Linke: Gauck ist Kandidat des Finanzmarktkapitalismus

Heftige Kritik an der Auswahl des Kandidaten Gauck übte die Linke, die als einzige im Bundestag vertretene Partei nicht in die Gespräche einbezogen worden war. Regierungssprecher Steffen Seibert rechtfertigte dieses Vorgehen. Bundeskanzlerin Merkel und die Koalitionsparteien seien auf jene Parteien zugegangen, "mit denen es die größte Übereinstimmung an grundsätzlichen politischen Überzeugungen gibt". Dass die Linke einer Kandidatur Gaucks nicht zugestimmt hätte und ihn also auch nicht wählen wird, daran ließ die Parteispitze keinen Zweifel.

Klaus Ernst, Vorsitzender der Partei "Die Linke", gestikuliert während seiner Rede auf einer Veranstaltung seiner Partei im Januar 2012. (Foto: Maja Hitij / dapd)
Linken-Chef Klaus Ernst kritisiert die Kandidaten-Kür als "Verfahren der Ausgrenzung"Bild: dapd

Er sei der "Kandidat des Finanzmarktkapitalismus" sagte Linken-Chef Klaus Ernst unter Hinweis auf Gaucks Haltung zu bestimmten gesellschaftspolitischen Themen. So lehne er die von New York ausgehende "Occupy"-Bewegung ab, die weltweit durch symbolische Besetzungen gegen die aus ihrer Sicht zu große Macht der Finanzmärkte protestieren. Auch habe Gauck den SPD-Politiker Thilo Sarrazin in Schutz genommen, der wegen umstrittener Thesen zur angeblich minderwertigen Rolle von Muslimen in Deutschland kurz vor einem Parteiausschluss stand.

SPD: "Kein Repräsentant der Parteipolitik"

Gauck kommt für die Linke aber auch deshalb nicht als Bundespräsident infrage, weil er den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zwar "nicht gut, aber erträglich und gerechtfertigt" findet. Ausdrücklich will sich die Linke die Möglichkeit offen halten, eine eigene Kandidatin oder einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Bis Donnerstag will sie ihre Entscheidung bekannt geben. Bei der Bundespräsidentenwahl 2010, die der nun zurückgetretene Christian Wulff im dritten und letzten Wahlgang für sich entschied, erhielt die von der Linken aufgestellte Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen sogar mehr Stimmen, als die Linken selbst hatten.

Beschreibung:   Der Kandidat der Union und FDP, Christian Wulff (r), und der Kandidat von SPD und Grünen, Joachim Gauck mit seiner Freundin Daniela Schadt laufen am Mittwoch (30.06.2010) durch die St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Politiker aus Bund und Ländern hatten sich vor der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten zu einem festlichen ökumenischen Gottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale versammelt. Foto: Andreas Schoelzel dpa
Beim ersten Anlauf 2010 unterlag der designierte Bundespräsident Joachim Gauck (l.) Christian WulffBild: picture alliance/dpa

Für den parteilosen Joachim Gauck ist es die zweite und dieses Mal absehbar erfolgreiche Kandidatur für das protokollarisch höchste Amt im Staat. Vor zwei Jahren scheiterte der damals von SPD und Grünen aufgestellte Kandidat noch knapp am CDU-Politiker Wulff, der zuvor Ministerpräsident in Niedersachsen gewesen war. Die von Angela Merkel geführte Regierung war seinerzeit erkennbar überrascht, dass die Opposition mit Gauck einen Mann ins Rennen schickte, der sich selbst als "linksliberalen Konservativen" bezeichnet. Dass Gaucks Positionen, unter anderen in der Sozialpolitik, im Gegensatz zu denen von SPD und Grünen stehen, halten beide Parteien für unerheblich.

Wahl an einem historisch bedeutenden Tag

Gauck habe einen "eigenen Kopf, eine eigene Wahrnehmung und ist nicht Repräsentant von Parteipolitik", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Von Anfang an sei klar gewesen, dass man einen Kandidaten unterstütze, mit dem es Kontroversen geben könne. Ähnlich äußerte sich die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die Gauck zutraut, gegebenenfalls seine Meinung auch mal zu ändern. Sie sei aber sehr davon überzeugt, dass der designierte Bundespräsident die Fähigkeit habe, "Gräben zu überwinden und Mauern einzureißen".

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel gestikuliert während einer Rede auf einer Veranstaltung seiner Partei in Berlin. (Foto: Clemens Bilan / dapd)
SPD-Chef Sigmar Gabriel war schon 2010 für Joachim GauckBild: dapd

Die Wahl des neuen Saatsoberhaupts wird am 18. März in Berlin stattfinden. Das teilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am Montag mit. An diesem Tag wird die 15. Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude zusammenkommen. Der 18. März ist der letztmögliche Termin, weil der Bundespräsident bei vorzeitiger Beendigung einer Amtszeit gemäß Grundgesetz spätestens 30 Tage danach von der Bundesversammlung gewählt werden muss. Dieses Gremium besteht aus den 620 Bundestagsabgeordneten und ebenso vielen von den 16 Bundesländern entsandten Wahlfrauen und Männern. Der 18. März ist in Deutschland ein historisch bedeutendes Datum. Im Revolutionsjahr 1848 mussten an diesem Tag in Berlin die königlichen Truppen vor Aufständischen zurückweichen, mehrere Hundert Menschen kamen ums Leben. Letztlich scheiterte die erste deutsche Demokratiebewegung.

Eine andere Demokratiebewegung war 1990 erfolgreicher. Nach dem Fall der Berliner Mauer fanden wiederum an einem 18. März die ersten und einzigen freien Wahlen zum DDR-Parlament, der sogenannten Volkskammer, statt. Wenige Monate später beschlossen die Abgeordneten den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Bettina Marx