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"Es ist kein schneller Tod"

Interview: Brigitte Osterath31. Januar 2014

Die Delfinjagd in Taiji sei Tradition, heißt es. Meeresbiologe Karsten Brensing widerspricht. Es gehe hauptsächlich darum, lebende Tiere für Delfinarien zu fangen - und für Delfintherapien.

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Karsten Brensing von der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (Foto: WDC)
Karsten Brensing von der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin ConservationBild: WDC

Deutsche Welle: Jedes Jahr, wenn die Treibjagden auf Delfine im japanischen Taiji wieder in Gang sind, schwappt eine Welle der Empörung durchs Internet. Ist die Empörung berechtigt?

Brensing: Ja, ich denke schon. Mit unserer Vorstellung von Ethik ist das schwer zu vereinbaren. Natürlich sind wir ein anderer Kulturkreis, aber für die Tiere ist das, was da passiert, in jedem Fall eine Qual, unabhängig von der Kultur.

Was ist denn das Schlimme daran?

Delfine sind Tiere, die sich genauso bewusst als lebende Wesen und Personen wahrnehmen wie wir. Man kann sich vorstellen, wie man selbst das empfinden würde, wenn die ganze Familie zusammengetrieben würde und einer nach dem anderen sterben müsste und man im Blut von seinen Freunden und Verwandten tappen würde, bis man dann auch irgendwann mit einer Stahlstange durchbohrt würde.

Haben Delfine wirklich diese Art von Bewusstsein?

Die Projekt-Zukunft-Zuschauerfrage

Es gibt gute verhaltensbiologische Gründe, zu dieser Schlussfolgerung zu kommen. Delfine erkennen sich wie wir selbst im Spiegel und haben eine Vorstellung von der Existenz von anderen. Sie können das Verhalten von anderen voraussehen. Sie haben eine Vorstellung von Raum und Zeit und sie können sich auch noch an andere Delfine erinnern, die sie vor Jahrzehnten gekannt haben.

Wie genau sterben die Delfine in Taiji?

Es ist kein schneller Tod. Die dünnen Stahlrohre sorgen dafür, dass die Delfine innerlich verbluten. Aber das passiert nicht sofort. Wenn jemand uns ins Gehirn schießt und die Kugel trifft das Kleinhirn, dann sind wir von einer Sekunde auf die andere tot. Die Stange sorgt aber dafür, dass Gefäße zerreißen. Dann wird das Gehirn durch den hohen Innendruck zerstört. Das kann Minuten dauern.

Warum töten die Fischer die Delfine denn überhaupt? Es heißt, das sei Tradition...

Es geht nur um Geld. Es gibt eine gewisse Tradition, die ist aber nicht besonders alt. Zu Zeiten des zweiten Weltkriegs gab es in Japan eine Lebensmittelknappheit, da hat man begonnnen, auch Delfine zu jagen - man hat aus dem Meer gezogen, was man kriegen konnte. Das wird jetzt als Tradition bezeichnet, ist es aber nicht im Sinne der Definition der Walfangkommission: Da geht es um indigenen Walfang, also um Völker, die als Nahrungsquelle darauf angewiesen sind.

Aber das Delfinfleisch wird gegessen?

Delfinfleisch hat in Japan keinen hohen Stellenwert. Auch die Japaner wissen, dass Delfinfleisch mit Schwermetallen belastet ist. Wir von der Whale and Dolphin Conservation haben aber in Japan einen kleinen Skandal aufgedeckt: Delfinfleisch wurde umdeklariert und als Walfleisch verkauft. Denn Walfleisch kommt meist aus der Antarktis mit seinen sauberen Meeren. Aber der Fleischverkauf ist nicht das eigentliche Geschäft.

Fischer jagend Delfine in der Bucht von Taiji (Foto: REUTERS/Adrian Mylne)
Die Fischer treiben Delfine in eine Bucht und töten sieBild: Reuters

Sondern?

Fänge von lebenden Tieren für Delfinarien. Das hält die Treibjagd am Leben. So ein Tier ist bis zu 100.000 Euro wert.

Brauchen Delfinarien denn noch Wildfänge? Delfine kann man doch in Gefangenheit nachzüchten, oder nicht?

Das geht leider nicht so gut. Es gibt große Probleme bei der Aufzucht der Jungen: Die überleben meist die ersten Wochen in Gefangenschaft nicht. Einige Delfinarien behandeln die Muttertiere mit Psychopharmaka, damit die ihre Jungen nicht verletzen oder töten. Das ist nicht unüblich. Es überleben einige, aber das reicht nicht aus, um die Population in Gefangenschaft zu erhalten. Außerdem muss man sehr große Meerwassergehege haben - es ist preiswerter, die Tiere unter Bedingungen zu halten, wo es keine Chance auf Nachzucht gibt.

Landen Delfine aus Taiji auch in europäischen Delfinarien?

Nach Europa dürfen keine Delfine importiert werden. Auch nicht in die USA. Die Gesetze lassen das nicht zu. Die Delfine aus Japan gehen beispielsweise nach Ägypten, in die Ukraine, nach Thailand, Saudi-Arabien, in die Türkei. Gerade die Türkei ist für mich ein komisches Gefühl, denn viele Deutsche gehen zur Delfintherapie in die Türkei. Das heißt, die machen mit diesen gequälten Tieren aus Japan dann Delfintherapie.

Kinder und Trainer bei der Therapie mit einem Beluga-Wal (Foto: ITAR-TASS/ Alexandra Mudrats)
Das gemeinsame Schwimmen mit Delfinen - oder wie hier mit einem Beluga-Wal - soll Kindern mit körperlichen und vor allem seelischen Behinderungen helfenBild: picture-alliance/dpa

Was kann man denn als Einzelner machen, um die Treibjagden in Japan zu beenden?

Man kann einen Brief an den japanischen Botschafter schicken. Damit die Vertreter Japans sehen, dass das in unserem Kulturkreis etwas sehr Schlimmes ist.

Aber unsere Massentierhaltung ist ja auch nicht gerade löblich...

Man muss das etwas differenzierter sehen. Selbst in unserer Massentierhaltung müssen die Tiere so getötet werden, dass sie nicht leiden. Man hat in der Industrie viele Gedanken reingesteckt, wie man Tiere besonders schnell und schmerzlos töten kann. Dass das in der Realität nicht immer und hundertprozentig funktioniert, sei mal dahingestellt. Aber immerhin gibt es Gesetze - in Japan aber nicht. Es ist ganz legal, was in Taiji passiert.

Karsten Brensing ist promovierter Meeresbiologe. Er ist wissenschaftlicher Leiter bei der WDC (Whale and Dolphin Conservation) und vertritt die Organisation in internationalen Beratungsgremien und in der politischen Arbeit. Er hat ein Buch über die Persönlichkeitsrechte von Walen und Delfinen verfasst.