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Der Tag der Entscheidung

Christoph Ricking, z. Zt. London23. Juni 2016

Der Regen strömt und auch die Briten strömen in die Wahllokale. Sie entscheiden über den Verbleib ihres Landes in der EU. Christoph Ricking hat ein Wahllokal im Zentrum Londons besucht.

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Wahllokal im Zentrum Londons (Foto: DW/C. Ricking)
Bild: DW/C. Ricking

An diesem Morgen zeigt sich das Londoner Wetter von seiner schlechten Seite. Kurz bevor die Wahllokale öffnen, regnet es Bindfäden. Die ganze Nacht über hatte es bereits Gewitter gegeben und auch jetzt hängen tiefgraue Wolken über der britischen Hauptstadt. Sogar einige U-Bahn-Linien fielen aus. Ausgerüstet mit Regenschirmen und Regenjacken hetzen die ersten Londoner zur Arbeit.

Trotz des Regens und der frühen Uhrzeit stehen Robin McGhee und Elizabeth Biggs an der U-Bahn-Station Pimlico im Zentrum von London und werben für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. "I'm in" steht in großen Buchstaben auf ihren blauen T-Shirts. "Wir wollen die Leute in erster Linie daran erinnern, wählen zu gehen", sagt McGhee: "Wir wollen sie erinnern, dass es besser ist, in der EU zu bleiben, damit unsere Wirtschaft in Form bleibt."

Wahlkampf bis zum Schluss

Das britische Gesetz erlaubt es, auch am Wahltag noch Wahlkampf zu machen. Bis zur Schließung der Wahllokale am Abend um 22 Uhr können beide Lager versuchen, Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

Remain-Kampagne am Wahltag in London (Foto: DW/C. Ricking)
Robin McGhee und Elizabeth Biggs kämpfen auch am Wahltag für einen Verbleib Großbritanniens in der EUBild: DW/C. Ricking

Hier im Zentrum von London seien die meisten Menschen für einen Verbleib in der EU, sagt McGhee. Was das landesweite Ergebnis betrifft, ist er weniger optimistisch: "Es ist so knapp. Es ist so wichtig, dass die EU-Befürworter raus gehen und wählen. Ich befürchte, dass viele von ihnen nicht wählen gehen." Je höher die Wahlbeteiligung ist, desto mehr Hoffnungen können sich die EU-Befürworter machen.

Abstimmen auf dem Weg zur Arbeit

Wenige hundert Meter weiter liegt die "Westminster Cathedral Roman Catholic Primary School". Ein Schild mit einem Pfeil und der Aufschrift "Polling Station" weist darauf hin, dass man hier seine Stimme abgeben kann. Um Punkt 7.00 Uhr haben die Wahlhelfer die Tür geöffnet. Interviews dürfen sie nicht geben.

Viele Wähler kommen hier auf dem Weg zur Arbeit kurz vorbei, um ihr Kreuz zu machen. So auch David Sivior: "Es ist sehr wichtig zu wählen, nicht nur für uns, sondern auch für die nächste Generation." Er selbst stimmt für einen Verbleib in der EU: "Wenn wir rausgehen, könnten viele Arbeitsplätze verloren gehen." Der Wahlkampf habe das Land stark polarisiert, sagt er.

Aber egal wie das Referendum ausgehe:"Ich glaube, wir kommen schnell darüber hinweg. Wir hatten schon öfter ähnliche Situationen. Ich bin sicher, wir treffen jetzt die richtige Entscheidung und dann geht das Leben weiter."

"Short term pain, long term gain"

Obwohl es noch früh ist und der Wahltag gerade erst begonnen hat, ist der Andrang relativ groß. Im Abstand von wenigen Minuten betreten Wähler das Wahllokal, oft auch mehrere gleichzeitig. Ein älterer Herr, der sich als Richard vorstellt, seinen Nachnamen jedoch nicht nennen will, hat für einen Austritt gestimmt. "Es geht um Demokratie", sagt er: "Die EU ist undemokratisch. Es ist in diesem Land alle fünf Jahre üblich, Politiker loszuwerden, die wir nicht mögen. In Brüssel gibt es keine Möglichkeit das zu tun."

Auf die Frage, ob er sich nicht um die Konsequenzen eines Brexits sorge, sagt er: "Ich halte es da mit Mick Jagger: Short term pain, long term gain (kurzfristiger Schmerz, langfristiger Gewinn)." Dennoch rechnet er mit einem Sieg der EU-Befürworter: "Ich denke es wird 55 zu 45 Prozent für die EU ausgehen."

Ein Mann im T-Shirt mit europäischen Flaggen (Foto: Reuters/N. Hall)
Die Briten und ihr Bild von Europa - vor den Wahlbüros gehen die Meinungen auseinanderBild: Reuters/N. Hall

Kimberly Moore bringt gerade ihre zwei Kinder zu Schule und will noch schnell ihre Stimme abgeben. Sie stimmt für "Remain". "Das macht einfach am meisten Sinn", sagt sie: "Ob freier Markt oder Freizügigkeit in Europa: Es ist einfach richtig, für die EU zu stimmen."

Die Atmosphäre im Land sei in den letzten Wochen sehr emotional gewesen. "Es wird Zeit, sich wieder um die wichtigen Probleme zu kümmern. Und wenn wir in einer Gruppe zusammenarbeiten wollen, müssen wir Teil dieser Gruppe sein", sagt sie, für sie ist das ein klares Argument für die EU.

Mimi Raffles sieht das anders. Sie hat für einen Brexit gestimmt: "Einer meiner Hauptgründe ist die Einwanderung", sagt die zierliche blonde Frau. "Unser Land ist zu klein dafür." Offenbar ist die EU für sie der Sündenbock für die Verfehlungen der britischen Politik: "Unsere Politiker, ob Labour oder die Konservativen, lügen uns an." Premierminister David Cameron habe viel versprochen und nichts geliefert, sagt Mimi Raffles.

"Besser miteinander als gegeneinander"

Richard Robinson hat wie viele andere noch kurz vor der Arbeit sein Kreuz gemacht. Auch er ist für die EU. "Was es auch immer für Probleme mit der europäischen Wirtschaft oder mit der Einwanderung gibt, es ist einfach wichtig, dass die großen Nationen Europas zusammenarbeiten, anstatt gegeneinander arbeiten", begründet er seine Wahl: "Das passiert zwar schon bis zu einem gewissen Grad in der EU, aber für den Fortschritt Europas ist es besser, dass wir zusammenbleiben."

Bis zum Abend können die 46,5 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Die jüngsten Umfragen deuten auf ein äußerst knappes Ergebnis hin.