1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Von den Alten überstimmt

Christoph Ricking, z. Zt. London25. Juni 2016

Junge Briten haben mehrheitlich für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt. Doch die älteren Wähler waren in der Mehrheit. Bei den Jungen ist die Enttäuschung groß. Von Christoph Ricking, London.

https://p.dw.com/p/1JDYC
Anti-Brexit Protest in London - Foto Tolga Akmen (ZUMA Press)
Bild: picture alliance/ZUMA Press/T. Akmen

Es ist früher Mittag. Holly McCarthy und Rosie Beard sitzen draußen vor einer Bar in der Nähe der University of London. Beide haben am Donnerstag für einen EU-Verbleib gestimmt, beide sind enttäuscht über das Ergebnis. "Das bricht mir das Herz", sagt Beard. Die 24-Jährige hat gegen den Brexit votiert, weil sie der konservativen Regierung nicht traut. Die EU verbindet sie mit Menschenrechten.

"Aber das ist Demokratie", wendet Holly McCarthy ein. "Wir können uns jetzt ärgern, wie wir wollen, aber die Bevölkerung hat gesprochen und wir müssen jetzt damit leben", so die 22-Jährige.

Wie McCarthy und Beard hat sich der Großteil der jungen Briten gewünscht, dass Großbritannien in der EU bleibt. In den Londoner Stadtteilen Hackney, Herringey oder Lambeth liegt das Durchschnittsalter bei 31 bis 33 Jahren, hier stimmten mehr als 75 Prozent der Wähler gegen einen Brexit. Ähnlich sind die Ergebnisse des Referendums in den Universitätsstädten Oxford und Cambridge.

"Ihnen wurde die Zukunft genommen"

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov votierten landesweit 64 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für den EU-Verbleib. Bei den Wählern im Alter von über 65 Jahren ist es genau anders herum. Rund 60 Prozent von ihnen wählten den EU-Austritt.

Rosie Beard und Holly McCarthy - Foto: Christoph Ricking (DW)
"So ist eben Demokratie", meinen Rosie Beard (24, l.) und Holly McCarthy (22)Bild: DW/C. Ricking

So mancher in Großbritannien zieht bereits die bittere Erkenntnis: Die Alten haben über Großbritanniens wirtschaftliche und politische Zukunft entschieden, in der die jüngere Generation leben muss.

"Ein bedeutender Anteil junger Menschen wollte den Verbleib", betonte der Chef der Liberaldemokraten, Tim Farron. "Sie haben für ihre Zukunft gestimmt, die ihnen dann genommen wurde." Der britische TV-Moderator James Corden grämt sich: "Ich bekomme nicht aus dem Kopf, was in Großbritannien passiert. Mir tut es leid für die Jungen. Ich fürchte, man hat euch heute in Stich gelassen."

Spaltung zwischen den Generationen

"Es stimmt schon, es gibt da eine Spaltung zwischen den Generationen", glaubt Anthony Wong, der in der Werbebranche arbeitet. "Es ist beinahe unfair, dass die Alten für den Brexit gestimmt haben und die jüngere Generation die Konsequenzen tragen muss." Aber das sei eben auch das Wesen der Demokratie. "Manchmal sind die Entscheidungen nicht immer die besten."

Großbritannien Brexit Junger Mann in einem Cafe in London
"Es gibt eine Spaltung zwischen den Generationen", sagt der 30-jährige Anthony WongBild: DW/C. Ricking

Er selbst hatte sich für den EU-Verbleib entschieden und ist enttäuscht. "Nur wenn wir mit am Tisch sitzen, können wir etwas verändern", findet der 30-Jährige. "Es ist schade, dass das vorbei ist, zumindest für Großbritannien."

Niedrige Wahlbeteiligung bei Jüngeren

Zum gesamten Bild gehört allerdings auch, dass viele junge Briten gar nicht am Referendum teilgenommen haben. In Gegenden mit junger Bevölkerung gingen weniger Menschen zur Wahl als in Wahlkeisen, in denen viele ältere Menschen leben. Die Zeitung "Times" machte eine Umfrage unter jungen Besuchern des Glastonbury Musikfestivals. 22 Prozent der Befragten gaben an, nicht gewählt zu haben - wenn doch, hätten 65 Prozent von ihnen gegen den Brexit gestimmt. Sie allein hätten 15.000 Stimmen ausgemacht.

"Ich denke, es gibt da auch eine gewisse Selbstzufriedenheit", beurteilt Anthony Wong das Wahlverhalten seiner Generation. "Ich weiß von einigen, dass sie nicht gewählt haben, weil sie davon ausgegangen sind, dass wir sowieso drin bleiben. Ich würde gerne sagen, dass meine Generation nicht so blöd ist, aber vielleicht ist sie es doch."

"Viele fühlen sich entmächtigt", sagt Johnny Seymore. Er selbst hat gegen den Brexit gestimmt und ist enttäuscht über das Ergebnis. "Viele glauben, ihre Stimme bringt nichts", begründet der 26-jährige Toningenieur die geringere Wahlbeteiligung der jungen Briten. Oft herrsche die Meinung, man habe nur die Wahl zwischen zwei Übeln, glaubt er. "Viele sind auch mit der EU nicht zufrieden, aus verschiedenen Gründen."

Großbritannien Brexit Junger Mann auf der Straße in London (Foto: DW/C.Ricking)
"Viele fühlen sich entmächtigt", sagt Johnny Seymore (26)Bild: DW/C. Ricking

"Es hilft ja nichts, dass wir jetzt auf die Alten wütend sind", sagt Holly McCarthy. Die hätten schließlich genau das gleiche Wahlrecht wie Junge. "Wir warten einfach, bis sie weg sind, und dann ändern wir sie Welt so, wie wir wollen", resümiert sie augenzwinkernd.

Nach Daten des Nationalen Statistikbüros muss sie darauf noch geschätzte 16 Jahre warten. So lange müssen die über 65-Jährigen durchschnittlich mit den Folgen des Brexits leben. Holly McCarthy und ihre Altersgenossen dagegen im Durchschnitt 69 Jahre.