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Brexit-Wetten sprengen Rekorde

Christoph Ricking, z.Zt. London21. Juni 2016

Kurz vor dem EU-Referendum schauen Medien und Finanzmärkte gebannt auf ein Orakel, das Wahlergebnisse meist viel besser voraussagt als Demoskopen: die Buchmacher. Christoph Ricking berichtet aus London.

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William Hill Wettbüro, Außenansicht (Foto: DW/C.Ricking)
Bild: DW/C.Ricking

Ein paar ältere Herren starren auf die großen Flachbildfernseher, daneben zockt ein Mann mit grellgelber Schutzweste und Helm auf dem Kopf an einem Glückspielautomaten. In dem kleinen Wettbüro des Anbieters William Hill, ganz in der Nähe der Londoner Waterloo Station, wetten die meisten Kunden auf Fußball oder Pferderennen. Wie bei vielen anderen Buchmachern kann man hier auch auf politische Ereignisse wetten. Das größte politische Ereignis steht kurz bevor: Das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU.

Callum Gardener arbeitet im Wettbüro: "So viele wetten nicht auf das Referendum, bislang waren es vielleicht drei oder vier", sagt er. "Aber viele interessieren sich für die Quote." Im Vergleich zu den Unterhauswahlen im vergangenen Jahr oder zum Schottland-Referendum vor zwei Jahren sei das Interesse sehr groß: "Das ist vermutlich die wichtigste Entscheidung für die Zukunft Großbritanniens."

Momentan kann man bei William Hill mit neun britischen Pfund Einsatz zwei Pfund gewinnen, wenn Großbritannien in der EU bleibt. Bei einem Brexit könnte man drei Pfund bei einem Einsatz von einem Pfund gewinnen. "Die Quoten sind relativ schlecht, man kann nicht viel Geld damit gewinnen", sagt Gardener. Das sei auch ein Grund dafür, warum Sportwetten besser liefen.

Wachsender Markt für Politik-Wetten

Insgesamt setzt die Wettbranche in Großbritannien neun Milliarden Euro pro Jahr um. Politische Wetten bei Buchmachern wie Ladbrokes, Betfred oder William Hill sind da nur ein Nischenmarkt. "Es gibt jeden Tag viele Pferderennen und Fußballspiele auf der ganzen Welt. Dagegen haben wir nur fünf oder sechs wirklich große politische Ereignisse im Jahr", sagt Graham Sharpe, Pressesprecher bei William Hill. Dennoch wachse der Markt rapide: "Die Leute wollen das, also bieten wir das an."

Beim Schottland-Referendum seien bei William Hill rund drei Millionen Pfund gewettet worden, berichtet Sharpe. Beim EU-Referendum rechnet er mit 20 Millionen Pfund bis zur Schließung der Wahllokale am Donnerstag um 22 Uhr.

Nicht nur bei William Hill, auch bei anderen Anbietern wird das EU-Referendum alle Rekorde sprengen, so viel ist jetzt schon sicher. "Schauen Sie sich nur den Anbieter Betfair an", sagt Leighton Vaughan Williams, Experte für den Wettmarkt an der Universität Nottingham: "Bis jetzt sind dort allein 35 Millionen Pfund auf das EU-Referendum gesetzt worden." Bis zur Schließung der Wahllokale werden die Briten rund 75 Millionen Pfund gesetzt haben, schätzt Vaughan Willams.

Besser als Demoskopen

Das Wetten auf politische Ereignisse interessiert jedoch nicht nur Leute, die gerne zocken. Mittlerweile schauen auch Journalisten oder Finanzmarktanalysten auf die Buchmacher, denn deren Vorhersage-Quoten waren bei politischen Ereignissen zuletzt besser als die Umfragen der Meinungsforscher.

Vor knapp zwei Jahren sagten die Demoskopen eine Abspaltung Schottlands bevor. Kurz vor dem Wahltag lag das Lager der schottischen Nationalisten in einigen Umfragen knapp vorn. Die Quoten der Wettanbieter hingegen sahen das anders - und behielten recht. Schottland blieb britisch.

Brexit-Kampagne mit "Vote Leave"-Schildern (Foto: DW/J. Macfarlane)
Brexit-Befürworter könnten enttäuscht werden: Die Buchmacher sagen den Verbleib Großbritanniens in der EU vorausBild: DW/J. Macfarlane

Bei den letzten Unterhauswahlen im Mai 2015 sagten die Meinungsforscher ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Premierminister David Cameron und Herausforderer Ed Miliband voraus. Für die Buchmacher war die Sache klar: Cameron bleibt im Amt. Tatsächlich gewann der Amtsinhaber die Wahlen haushoch.

Seit den 1980er Jahren können die Briten auf das Ergebnis der Unterhauswahlen Wetten abgeben. Seitdem haben die Buchmacher jede Wahl korrekt vorhergesagt.

Trendumkehr nach dem Mord an Jo Cox

Für Leighton Vaughan Williams, Experte für den Wettmarkt an der Universität Nottingham, liegt das daran, dass Politik-Wetter meist sehr gut informiert sind. "Sie stützen sich auch auf Umfragen, aber sie kalkulieren auch andere Informationen in ihre Entscheidung mit ein", sagt Vaughan Williams. "Sie denken etwa an die Unentschlossenen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass diese eher zur schon existierenden Situation tendieren."

Auch Nachrichten sowie Bekanntmachungen der Regierung oder der Opposition fließen nahezu in Echtzeit in die Wettquoten mit ein. Als vergangene Woche die Labour-Abgeordnete und Brexit-Gegnerin Jo Cox erschossen wurde, wirkte sich das sofort auf den Wettmarkt aus: Zuvor waren die Quoten für einen Verbleib in der EU stetig schlechter geworden, der tragische Tod der Parlamentarierin bewirkte eine Trendumkehr.

Mittlerweile veranschlagt der Buchmacher William Hill die Wahrscheinlichkeit eines britischen Verbleibs in der EU auf 83 Prozent, der Wettanbieter Betfair kommt auf 78 Prozent. Ob die Buchmacher diesmal wieder Recht behalten, das entscheiden die Briten am Donnerstag.