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Britische Farbenlehre

Kersten Knipp2. Februar 2016

Nach den vorläufigen Zusagen der EU an die Briten geht die Diskussion auf der Insel weiter. Die Zugestandnisse seien nur symbolisch, monieren Kritiker. Doch symbolisch ist im britisch-europäischen Verhältnis manches.

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Britische Flaggen (Foto: EPA/LAURENT DUBRULE)
Bild: picture-alliance/dpa/L. Dubrule

Theoretisch haben die Mitglieder der EU-Kommission Angst vor der sogenannten Gelben Karte. Denn mit dieser können die Nationalstaaten auf den Weg gebrachte Gesetzesvorhaben noch einmal auf den Prüfstand stellen. Die Karte greift allerdings nur, wenn - je nach Inhalt des Gesetzes - ein Drittel bis ein Viertel der nationalen Kammern diese in die Höhe hält. Das ist aber bislang noch nie der Fall gewesen.

Nun soll es nach dem Willen des britischen Premiers David Cameron zusätzlich zur Gelben auch eine Rote Karte geben. Diese stärkt nach Lesart der britischen Regierung fortan die nationalen Parlamente. Finden sich nämlich innerhalb von zwölf Wochen ein wenig mehr als die Hälfte - genauer gesagt 55 Prozent - der Volksvertretungen zusammen, sollen sie ein Gesetzvorhaben blockieren können.

Ist die Rote Karte ein verschärftes Disziplinierungsinstrument oder bloß eine folgenlose Erweiterung eines belanglosen Farbenspiels, das ohnehin nie zum Einsatz kommt? Auf diese Frage konzentriert sich nun die britische Diskussion, seit David Cameron und EU-Ratspräsident Donald Tusk verkündeten, sie hätten sich auf ein Reformpaket (inklusive der Roten Karte) geeinigt, das den EU-Austritt der Briten verhindern soll.

Viel Lärm um nichts?

Die Vereinbarung, kommentierte der Kolumnist Daniel Hannan in der Zeitung "The Guardian", sei vor allem eines: viel Lärm um nichts. Auch mit der Roten Karte lasse sich auf die EU kein Druck ausüben. Schließlich würden die Volksvertreter nicht gegen ihre jeweiligen Regierungen stimmen.

David Cameron in Brüssel, 17.12.2015 (Foto: Getty Images)
Die Insel und der Kontinent: David Cameron in BrüsselBild: Getty Images/D. Mouhtaropoulos

Darum seien die nun erzielten Ergebnisse nicht der Rede wert. "Könnten wir mit unseren Verbündeten nicht besser zusammenarbeiten und Handel treiben, wenn wir unsere eigenen Gesetze machten? Und unser Recht, unsere eigenen Führer zu wählen, das wir von den Bürgerkriegen bis zum Zweiten Weltkrieg immer wieder verteidigt haben: Verdient es nicht weiterhin, dass wir uns für es einsetzen?", fragt Hannan.

Die Kraft der Karte

Hannans Kollege Mathew d´Ancona, auch er Journalist des Guardian, vertritt die entgegengesetzte Position. Er erklärt, er glaube an die Kraft der Roten Karte. Allerdings müsse Cameron nun darauf hinarbeiten, dass sie auch gezückt werde. Die Vereinbarung nach Art konservativer EU-Gegner bloß zynisch zu belächeln, führe nicht weiter.

Das von Konservativen geäußerte Urteil, Tusk habe sich gegen Cameron durchgesetzt und die EU erfolgreich gegen britische Reformen verteidigt, sei vorschnell. Allerdings komme es nun darauf an, das Ergebnis mit Leben zu füllen. "Cameron hat nun eine einmalige Gelegenheit, den Briten zu geben, was sie immer vermissten: das Gefühl, in der EU eine gewichtige Stimme zu haben", schreibt d´Ancona.

Ukip gegen Labour

Wie Cameron allerdings die in Straßburg versammelten europäischen Volksvertreter dazu bringen will, immer in seinem Sinn oder dem Großbritanniens zu stimmen, ist weiter unklar. Die Vorstellung, die Rote Karte als eine Art Sieg verkaufen zu wollen, sei darum "einfach lächerlich", erklärte Nigel Farage, der Vorsitzende der rechtspopulistischen Ukip-Partei.

Zustimmend äußerte sich hingegen Alan Johnson, Vorsitzender der EU-freundlichen Kampagne "Labour In For Britain". Er erklärte, Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU umfasse viel mehr als jene Veränderungen, die Cameron nun habe durchsetzen können. Allerdings seien sie für sein Land ein wichtiges Zeichen: "Je rascher die Reformen nun Zustimmung erfahren, desto rascher können wir die Kampagne für den weiteren Verbleib Großbritanniens in der EU starten und die Unsicherheit um unsere Mitgliedschaft beenden."

Alan Johnson, Leiter der Kampagne "Labour In for Britain", 1.12.2015 (Foto: picture alliance)
Für Großbritannien als EU-Mitglied: Alan JohnsonBild: picture-alliance/dpa/J. Giddens

Die Nation und die Insel

Jenseits aller Fragen zu den Umsetzungsmöglichkeiten der nun ausgehandelten Ergebnisse bleibt der symbolische Charakter der britisch-europäischen Beziehungen weiter erhalten. "Wir haben den Charakter einer Insel-Nation: unabhängig, aufrecht, hingebungsvoll unsere Souveränität verteidigend", erklärte Cameron. "Wir können diesen unseren britischen Charakter ebenso wenig ändern, wie wir den Ärmelkanal trockenlegen können."

Das war auf die Pathetiker unter den Briten gemünzt, von denen es offenbar nicht wenige gibt. Sie, erklärt der in Oxford lehrende Historiker Timothy Garton Ash der Nachrichtenagentur Reuters, gründeten ihr Europabild noch immer auf den britischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs, als Großbritannien von den Flugzeugen des NS-Regimes angegriffen wurde.

"Unser nationales Selbstverständnis ist immer noch von jenem Churchill-Moment des Jahres 1940 geprägt", so Garton Ash. "Damals standen wir als einzige Garanten der Freiheit, während der übrige Kontinent entweder besiegt, besetzt oder faschistisch war." Dieses Selbstbild habe sich erhalten: "Es geht um Selbstregierung, darum, dass Großbritannien seine Grenzen selbst regiert."

Blick auf die Klippen von Dover
Insel-Identität: Blick auf die Klippen von DoverBild: picture-alliance/DUMONT

Symbolisches und Konkretes

Bei den Zusagen von Tusk an Cameron standen allerdings wesentlich konkretere Themen im Vordergrund. So etwa bei den Sozialleistungen für EU-Ausländer. Den Zugang zu den Leistungen des Sozialstaats darf Großbritannien ihnen nun vier Jahre lang verweigern. Dies ist allerdings nur unter einer Voraussetzung möglich: Die Sozialsysteme müssen überlastet sein. Dass das in Großbritannien der Fall sei, hat die EU-Kommission den Dokumenten zufolge den Briten bereits signalisiert.

Fürs Erste ist den Briten der weitere Aufenthalt in der EU offenbar nicht völlig vergällt worden. Im Gegenteil: Nun könnten sie die Bürger der übrigen EU-Staaten inspirieren - insbesondere, was den Stopp von Sozialleistungen angeht. Das allerdings, sorgt man sich in Brüssel, ist ein Modell, das in der EU mehrere interessierte Nachahmer finden könnte.