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Ausgang unklar

3. Mai 2010

Die meisten britischen Wahlexperten wagen noch immer keine Prognose darüber, wie die Regierung nach Abschluss der Unterhauswahl aussehen wird. Grund: das britische Wahlsystem und das Wahlverhalten der Briten.

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Blick von einer Brücke auf das Westminster in London (Foto: AP)
Wer macht das Rennen?Bild: AP

Es sei die aufregendste Wahl seit Jahrzehnten, hört man von vielen Briten in diesen Tagen. Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wählt am 6. Mai ein neues Parlament. Es ist unwahrscheinlich, dass die Labour-Partei von Premierminister Gordon Brown diesmal eine Regierungsmehrheit bekommen wird. Labour setzt auf die Erfahrung des Premiers vor allem in der schwierigen Wirtschaftssituation. Die Sympathiewerte für Brown sind allerdings im Keller, kein Wunder, da er von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt.

Aber auch die oppositionellen Konservativen unter dem jüngeren und moderner wirkenden David Cameron haben Umfragen zufolge wenig Aussicht auf eine absolute Mehrheit. Nach vielen Skandalen um Spesen und Spenden sind die meisten Wähler von beiden großen Parteien enttäuscht. Mit den von Nick Clegg angeführten Liberal-Demokraten hat eine dritte Partei in den letzten Wochen stark an Popularität gewonnen - und die Karten für den Wahlausgang neu gemischt.

Parteiverbundenheit gehört der Vergangenheit an

Britischer Politologe Professor Justin Fisher (Foto: DW)
Aufregende Wahl für Politologe Justin FisherBild: DW

Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass die Möglichkeit einer Pattsituation in Großbritannien besteht. Die Tatsache, dass statt der üblichen zwei nun drei Parteien "im Rennen" sind, und damit auch kleinere Parteien Chancen für sich sehen, durch Vereinbarungen mit einer der großen mehr Einfluss zu erzielen, macht die Wahl besonders aufregend. Professor Justin Fischer, Politikprofessor an der Brunel-Universität in London, hat das Wahlverhalten der Briten von 1945 bis zur letzten Wahl 2005 untersucht. Die britischen Wähler seien heutzutage nicht mehr an eine Partei gebunden, sagt er. Die meisten seien auch bereit, kurzfristig eine andere Partei zu wählen.

Das erklärt zum Teil den rasanten Popularitätsanstieg, den die Liberal-Demokraten nach dem Auftritt ihres charismatischen jungen Führers Nick Clegg vor einigen Wochen in der ersten von drei TV-Debatten vor den Wahlen verbucht haben. Seitdem variieren die Umfragen nur wenig. Die Konservativen sind meist leicht in Führung, bei maximal 34 Prozent, während Labour und die so genannten LibDems bei 27 bis 29 Prozent um den zweiten Platz kämpfen. Aber wie aussagekräftig sind solche Umfragewerte in Großbritannien?

Brown, Cameron, Clegg beim TV-Duell vor den Wahlen in Großbritannien (Foto: AP)
Politisches Trio für Großbritannien: Brown (rechts), Cameron (links) und Clegg (Mitte)Bild: AP


Das britische Wahlsystem - wie eine Fußballmeisterschaft?

Für Wahlforscher Fischer sagen Umfragen nicht allzu viel über den wahrscheinlichen Wahlausgang aus, und vor allem nicht über die Sitzverteilung im Parlament. Die Liberal-Demokraten würden nicht so viele Stimmen bekommen, wie die Umfragen zurzeit vorhersagen, prophezeit der Politologe. Der Grund ist das britische Wahlsystem, das kein Verhältniswahlrecht vorsieht. Es gibt 650 Wahlkreise in Großbritannien. Und jeder, sagt Fischer, sei wie eine eigene kleine Wahl. Ein Wahlkreis geht an den Kandidaten, der eine einfache Mehrheit gewinnt. Fischer vergleicht das mit einem Fußballspiel: "Man kann eins zu null, zwei zu null oder drei zu null gewinnen", erklärt der englische Sportsfreund. "Aber es gibt trotzdem nur einen Gewinner und drei Punkte pro Spiel."

Das heißt, egal wie viele Tore in einem Spiel geschossen werden oder wie haushoch man einen Wahlkreis gewinnt, wichtig ist nur, wie viele Spiele man insgesamt gewinnt. Und eine Stimme an die Liberal-Demokraten in einem Wahlkreis, wo der Kandidat keine Chance hat, gilt für die meisten als eine verschenkte Stimme. Deshalb glaubt Fischer, dass viele Wähler, die jetzt von Clegg und seiner Partei angetan sind, ihre Präferenz bis zum Wahltag ändern werden.

Regierungsmehrheit mit kleinem Stimmenanteil

Das britische Parlament (Foto: AP)
Volles Haus im Parlament in LondonBild: AP

Dieses Wahlsystem erklärt auch, warum die Labour-Partei zurzeit die Mehrheit der Sitze im Londoner Parlament hat, obwohl sie bei der Wahl 2005 nur knapp 35 Prozent der Stimmen erhielt. Labour-Wähler sind günstig über das Land verteilt, sagen die Wahlexperten, so dass man auch mit einem niedrigeren Gesamtstimmenanteil Wahlkreise gewinnen kann.

Aus dem Grund wird sich der Wahlausgang in den knapp 150 Wahlkreisen entscheiden, wo die zwei aussichtsreichsten Kandidaten mit weniger als zehn Prozent Abstand in der Wählergunst gegeneinander antreten. Um eine absolute Mehrheit von nur einer Stimme in Westminster zu erzielen, müssten die Konservativen 116 Sitze dazugewinnen, rechnet Wahlexperte Fisher - die drittgrößte Anzahl seit dem zweiten Weltkrieg. Den Umfragen nach ist es unwahrscheinlich, dass die das schaffen werden.

Pattsituation als Chance für die Kleinen?

Falls es zu der von den meisten Experten erwarteten Pattsituation kommt, könnten die Liberal-Demokraten mit einer der großen Parteien eine Koalition bilden oder aber eine Minderheitsregierung der Partei unterstützen, die ihnen und ihrer Politik am meisten entgegenkommt.

Es gibt aber auch andere kleine Parteien, die sich bei einer Pattsituation mehr Einfluss im Parlament erhoffen. Eberhard Bort ist Professor für Politik und Regierungswissenschaft an der Universität Edinburgh. Er glaubt, dass sowohl die schottischen Nationalisten (SNP) als auch die walisischen Nationalisten Plaid Cymru unter bestimmten Umständen eine wichtigere Rolle spielen könnten als bisher. Während diese Parteien in ihren Heimatländern Schottland und Wales jeweils die Regierung stellen (die SNP in Schottland als Minderheitsregierung, Plaid Cymru in Wales in einer Koalition mit Labour), zögen viele Wähler es oft vor, bei den Wahlen für Unterhauswahlen aufgrund des Wahlsystems eine der "großen Parteien" zu wählen, sagt Bort.

Für Justin Fisher hängen die Chancen der kleinen Parteien, beim Regierungsgeschäft mitzureden, vor allem davon ab, wie nah die Konservativen oder Labour an eine Mehrheit herankommen. Fehlen der größten Partei viele Sitze, müssen sie die Unterstützung der Liberal-Demokraten gewinnen. Fehlen aber nur wenige Sitze, könnten sie unter Umständen eine Vereinbarung mit den kleinen Parteien bevorzugen.

Die Wahllokale schließen am 6. Mai um 22 Uhr. Bis zu einem Drittel der Wähler gelten noch als unentschieden. Und in einigen der auf der Kippe stehenden Wahlkreise ist der Abstand zwischen den Konkurrenten extrem gering. Deshalb bleibt die britische Wahl voraussichtlich bis zum Schluss die aufregendste Wahl seit Jahrzehnten.

Autor: Irene Quaile
Redaktion: Nicole Scherschun

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