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Musik

Interview mit Bruno Berger-Gorski

Rick Fulker
2. Dezember 2016

Zwei israelische Kammeropern spannen einen Bogen zur israelischen Kulturgeschichte - und haben gleichzeitig universelle Aussagekraft.

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Uta C.Georg singt in der Kammeroper "Gespräch mit einem Stein"
Bild: Christophe Olinger

Die deutsch-israelische Dichterin Else Lasker-Schüler ist heute Kultfigur, verstarb aber - missverstanden und verarmt - im israelischen Exil. Ein Mädchen, das eine Generation später geboren wurde, konfrontiert uns mit einem Tabuthema: mit der Vorgeschichte ihres Vaters. Das sind Themen der beiden Kammeropern "Else" und "Gespräch mit einem Stein". DW-Redakteur Rick Fulker hat mit dem Regisseur Bruno Berger-Gorski gesprochen.

Deutsche Welle: Was in den Dramen hat Ihre Fantasie angeregt, und welche darstellerischen und bildsymbolischen Ausdrucksmittel haben Sie dafür gefunden?

Bruno Berger-Gorski: Als Person, die der hebräischen Sprache nicht mächtig war, musste Else Lasker-Schüler in Israel überleben. Sie schrieb dort ihr letztes Werk "Ich und Ich", was auf eine Art Schizophrenie hindeutet. Sie sprach in einer Sprache, die niemand dort verstand, wurde in Israel nicht akzeptiert und dort ausgelacht. Sie flüchtete sich in ihre Fantasiegestalten hinein. Und diese Fantasiegestalten nehmen wir in "Gespräch mit einem Stein" auf. Diese Symbole des Todes zeigen wir durch die Projektionen einer Skulptur von Daniel Spoerri. Außerdem zeigen wir durch weiße Kleidungsstücke im Bühnenbild von Christoph Rasche die Unaussprechlichkeit des Todes. Aufgrund dieser Symbolik durchzieht das Symbol des Todes und die Unaussprechlichkeit der Vergangenheit beide Stücke. 

Dann gehören die beiden Stücke eigentlich zusammen…

Ursprünglich haben wir "Gespräch mit einem Stein" zusammen mit einem anderen Werk aufgeführt - aber es stimmt, dieses Werk passt ideal zu "Else".

Bruno Berger-Gorski
Der Regisseur Bruno Berger-GorskiBild: privat

War Else Lasker-Schüler in ihren späten Jahren tatsächlich schizophren? Was hat es mit ihrem Spätwerk auf sich? Ist es mit ihrem Frühwerk vergleichbar?

Für mich sind Künstler wie Lasker-Schüler, da sie in ihrer Fantasiewelt überleben mussten, durchaus prädestiniert dafür, mit Lichtgestalten Kontakt aufzunehmen, also mit ihrer Fantasie und mit Symbolfiguren. Die Mehrheit des israelischen Volkes konnte sich mit ihren Werken in der deutschen Sprache nicht auseinandersetzen, sie nicht würdigen. Heutzutage weiß man, dass sie sich für die jüdische Kultur einsetzte und auch freidenkend war. In ihrem Privatleben nahm sie sich Freiheiten heraus, die der damaligen Zeit weit voraus waren. Sie war eigentlich eine vorkämpfende Feministin. Das hatte mit Schizophrenie nichts zu tun, sondern mit einem frei denkenden, offenen Leben.

Erzählt die Komponistin Ella Milch-Sheriff in "Gespräch mit einem Stein" eine persönliche Geschichte?

Das ist auf jeden Fall autobiographisch. Ella Milch-Sheriff hat durch das Tagebuch ihres verstorbenen Vaters erfahren, dass er den Holocaust in Polen überlebt hatte. Sie musste aufgrund dessen eine harte Kindheit durchmachen, weil er kaum liebesfähig war. Er konnte ihr als zweitgeborener Tochter nie sagen, dass er vor ihr schon einen Sohn hatte und eine andere Frau, die die Shoa nicht überlebt haben. Das Thema war für ihn tabu, er fühlte sich schuldig. So habe ich dieses Werk als Familienaufstellung inszeniert, in dessen Verlauf sie auch ihrem Vater verzeihen konnte. Im Stück fragt das Mädchen auf Hebräisch und erhält Antworten auf Polnisch. Am Ende sieht man, wie das Mädchen selbst wie versteinert dasteht. Das Schicksal der Überlebenden ist mit dem Schicksal der Nicht-Überlebenden verbunden. Auch sie wird zur Sprachlosigkeit verdammt sein - wie ihr Volk. 

Musiktheater aus Israel "Gespräch mit einem Stein"
Der Tod und das MädchenBild: Christophe Olinger

Sind diese beiden Stücke spezifisch israelisch oder deuten sie etwas Universelles an? Etwa: Die Suche nach der Wahrheit - und wenn es das ist, mündet diese Suche in Erfolg oder ist sie zum Scheitern verurteilt?

In "Gespräch mit einem Stein" geht das Mädchen soweit, dass sie zumindest das Schicksal des Volkes wahrnimmt und auch akzeptieren lernt, ihr eigenes Schicksal zu konfrontieren und damit weiterzuleben. Insofern ist ein Schritt der Erkenntnis wichtig. Wenn wir diese Thematik der Vergangenheit nicht erkennen, können wir auch nicht lernen, uns gegenseitig zu verzeihen. Insofern ist dieser Brückenbau so wichtig. Das betrifft alle Geschichten: sowohl im kleinen, privaten wie auch im politischen Bereich.

Wie reflektieren Sie jetzt über die Aufführung der israelischen Kammeroper in der Synagoge in Breslau?

Für mich als in Deutschland Geborener mit polnischen Wurzeln - meine Familie ist auch geflüchtet - ist es eine besondere Ehre, dass wir die Stücke hier aufführen dürfen. Und die Besetzung ist interessant, mit einer jungen israelischen Sängerin und einer jungen Türkin aus Köln, multikulturell aufgewachsen, die völlig unbekümmert in der Synagoge auftritt. Die Türkin singt Hebräisch, ein Latino spielt hebräische Musik. Wir repräsentieren die neue Generation. Es ist für uns ein wunderbares Gefühl.