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Brzoska: Irak will Aufmerksamkeit

Stephanie Höppner 11. Juli 2014

Aufständische haben im Irak Nuklearmaterial gestohlen - Experten geben jedoch Entwarnung. Für Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung will der Irak mit solchen Meldungen international Aufmerksamkeit erzeugen.

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Professor Michael Brzoska. (Foto: privat)
Bild: privat

DW: Die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS, vormals ISIS, "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien", genannt) hat nach Regierungsangaben nukleares Material in die Hände bekommen. Es soll zu Forschungszwecken an der Universität Mossul im Norden des Landes gelagert worden sein, hieß es. Wie kann es sein, dass in einem derart instabilen Land so gefährliche Materialien nicht besser gesichert werden?

Michael Brzoska: Wahrscheinlich handelte es sich nicht um besonders gefährliches Material, sondern um möglicherweise leicht angereichertes Uran. Als Strahlquelle ist es zwar etwas gefährlich, es ist aber für terroristische Anschläge nicht wirklich einsetzbar. Andererseits muss man sagen: Die irakische Regierung hat insgesamt im Umgang mit der Gruppe "Islamischer Staat" offensichtlich nicht die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Man hätte dieses Material sicherlich auch schon aus Mossul schaffen können, als man wusste, dass es da eine Gefahr gibt.

Hat die Regierung das einfach verschlafen?

Sie war überrascht von dem raschen Vormarsch. Und dann waren ihr vermutlich andere Dinge wichtiger. Zum Beispiel das Problem, wie sie die Armee, die zum großen Teil übergelaufen ist, neu organisieren kann.

Wieso ist das Material überhaupt im Irak vorhanden? Die USA haben immerhin ihre Invasion im Irak 2003 mit dem Vorhandensein von Nuklearwaffen begründet - die dann aber nie gefunden wurden.

Es gibt keine avancierten nuklearen Aktivitäten im Irak, also Atomkraftwerke oder ähnliches. Aber es gibt Forschungsaktivitäten in verschiedenen Bereichen. Das heißt, auch im Irak werden Leute im Bereich der Nuklearphysik ausgebildet - und entsprechende Materialien werden in der Lehre verwendet. Auch das entwendete Uran ist vermutlich benutzt worden, um zum Beispiel Messungen von Strahlungen zu machen. Außerdem wird im medizinischen Bereich mit nuklearen Radioisotopen gearbeitet. Das ist international in der Krebsbekämpfung üblich. Insofern ist der Irak jetzt nicht völlig frei von derartigen Materialien. Aber es sind keine Materialien, über die man sagen kann: Da ist der Schritt zu einer Atomwaffe nicht mehr weit. Zum Teil sind diese medizinischen Isotope sicherlich einsetzbar, um kleinräumige Verstrahlungen herbeizuführen - und insofern auch nutzbar für terroristische Anschläge. Aber gerade dieses leicht angereicherte Material aus Mossul ist dafür wohl eher nicht geeignet.

Können Aufständische überhaupt etwas mit dem Material anfangen?

Wahrscheinlich nicht. Natürlich kann man das Uran noch irgendwie weiter anreichern. Das erfordert aber bestimmte technische Anlagen: Man müsste das Uran erstmal gasförmig machen und dann in den Zentrifugen die Isotope trennen. Es gibt auch andere Verfahren, aber die sind noch komplizierter. Ich glaube nicht, dass der "Islamische Staat" hat, die das für sie übernehmen könnten. Beziehungen zu Staaten, die eine entsprechende technische Infrastruktur haben könnten, sind einfach nicht da. Die Gruppe ist ja auch beispielsweise mit dem Iran verfeindet. Die iranische Regierung unterstützt die irakische Regierung im Kampf gegen ISIS. Und auch sonst sehe ich eigentlich keinen Partner, bei dem sie dieses Uran loswerden könnte und dafür im Austausch radioaktive Materialien oder sogar atomwaffenfähiges Uran bekommen könnte.

Der Irak hatte erst vor wenigen Tagen eingeräumt, er habe die Kontrolle über ein Chemiewaffenlager an die sunnitischen Rebellen verloren. Ein Chemiewaffenexperte warnte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass Tonnen hochgiftiger Chemikalien wie Cyanid, im Volksmund Zyankali genannt, dort lagern könnten. Könnte nun eine neue Eskalationsstufe erreicht werden?

Der Irak verfügt seit einiger Zeit nicht mehr über Chemiewaffen im engeren Sinne. Die mussten schon nach dem Krieg 1990/91 zerstört werden. Das hat der Irak auch gemacht - obwohl es dann von der internationalen Gemeinschaft als nicht ausreichend angesehen wurde. Was es im Irak immer noch gibt, sind bestimmte Grundstoffe, die man für Chemiewaffen verwenden kann. Und jetzt sind möglicherweise bestimmte Grundstoffe auch in die Hände des "Islamischen Staates" gelangt. Auch da ist es im Moment zumindest unklar, ob sie wirklich eine Gefährdung darstellen. Man muss auch sehen, dass die irakische Regierung ein großes Interesse daran hat, international Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen zu bekommen. Bei dem Nuklearraub kann man ziemlich sagen, dass davon keine größere Gefahr ausgeht. Bei den Chemiewaffen muss man zunächst einmal skeptisch beurteilen, ob das wirklich gefährlich ist - und ob das nicht eher ein Versuch der irakischen Regierung ist, internationale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Regierung in Bagdad wird mitverantwortlich gemacht, dass diese Gruppe so erfolgreich sein konnte. Wenn die Regierung erreichen kann, dass international die Kritik weniger wird, weil mehr über den "Islamischen Staat" als über sie gesprochen wird, dann ist das natürlich auch ein Propagandaerfolg.

Michael Brzoska ist Professor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Das Gespräch führte Stephanie Höppner.