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Politik

Bulgariens Satiriker und die Medienfreiheit

Diljana Lambreva | Mirko Schwanitz
23. Mai 2017

Mit spitzer Feder wehren sich Bulgariens Satiriker gegen Demokratiedefizite. Die Oligarchen, die nahezu alle Medien im Land unter ihre Kontrolle gebracht haben, reagieren mit einem Vertriebsboykott.

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Bulgarische Tageszeitungen
Bild: DW

Hristo Komarnizky steigt aus einem Lieferwagen, öffnet die Heckklappe und stopft Zeitungspakete in eine riesige Tasche. Dann macht sich der große Mann mit der blauen Baseballkappe auf den Weg zu zwei kleinen Buchhandlungen. Nein, Komarnizky ist kein Zeitungsausträger - er ist ein sehr beliebter bulgarischer Satiriker. Seit März ist er gemeinsam mit drei anderen Kollegen zudem Herausgeber der ersten bulgarischen Satirezeitung "Prass-Press". Passanten, die den schwer beladenen Autor sehen, nehmen ihm sofort ein Heft ab - die Begeisterung für das unabhängige Blatt ist groß.

Die Idee, politische Satire wie "Charlie Hebdo" an die Kioske zu bringen, entstand vor einem Jahr bei einer Karikaturenausstellung zur dramatischen Lage der Medienfreiheit in Bulgarien. Unklare Besitzverhältnisse und oligarchische Strukturen mit direktem Einfluss auf die journalistische Arbeit ließen Bulgarien in den vergangenen zehn Jahren von Platz 35 auf Platz 109 auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reportern ohne Grenzen" abrutschen, und hinter Ländern wie Uganda landen. Laut einer Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, finden gar 80 Prozent der Bulgaren, dass die Medien im Land nicht frei sind.

Bulgarische Satiriker
Drei bulgarische Karikaturisten (von links): Tschavdar Georgiev, Tschavdar Nikolov, Hristo Komarnitky Bild: Hristo Komarnitzky

Zensur gehört zum Alltag

"Das Maß war schon lange voll und es war Motivation genug, ein regierungskritisches Blatt herauszubringen", erinnert sich Komarnizky. Der Fernsehsender Nova-TV hatte einem Kollegen von Komarnizky, Tschavdar Nikolov, gekündigt, vermutlich aus politischen Gründen. In einem Cartoon hatte Nikolov kurz zuvor Ministerpräsident Borissov als Anführer einer Parade gezeichnet, der hinter einer Fahne mit einem Ringelschwanz-Emblem selbsternannte Flüchtlingsjäger um sich schart. Das Ringelschwänzchen stand für die Kabelbinder, mit denen selbsternannte bulgarische Bürgerwehren an der Grenze Asylsuchenden die Hände fesseln. Der Premier habe sich persönlich eingeschaltet, damit Nikolovs Cartoons nicht mehr die Zuschauer belustigen können, erzählt Komarnizky. Und dieser Fall sei nur einer von vielen, die vom direkten Einfluss von Politikern auf große Medien zeugen.

Viele Medienmacher sind von der Regierung abhängig, weil sie nur über die Regierung Gelder aus Medienprogrammen der EU erhalten können. Recherchen zu Korruption, fehlender Rechtsstaatlichkeit oder der engen Verbindungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten finden deshalb selten statt. Obwohl diese Verquickung die Demokratie in Bulgarien in den letzten Jahren zunehmend aushöhlt. Ein Klima der Angst führe zur Selbstzensur, sagt Komarnizky. "Eine SMS von einem der starken Männer reicht und dein Thema ist erledigt. In Bulgarien ist alles so leicht zu organisieren", so der Satiriker.

Vertriebsmarkt in einer Hand

Ursprünglich wollten die Medienmacher "Prass-Press" über Crowdfunding finanzieren. Als das nicht gelang, nahmen die drei Satiriker schließlich einen Kredit auf und schlossen einen Vertriebsvertrag mit der einzigen Firma ab, mit "Nazionalna distributorska mresha". Was dann folgte, war gelebte Satire, erinnert sich Komarnizky. "Am Erscheinungstag war nirgendwo in der Innenstadt von Sofia unsere Zeitung zu finden. Nicht mal ein Exemplar! Zuerst dachten wir, alle Zeitungen seien vergriffen. Doch dann merkten wir, dass etwas nicht stimmte." Im ganzen Land waren gerade einmal 1000 bis 2000 Hefte im Verkauf.

Vielen Zeitungszustellern war verboten worden, "Prass-Press" auszuliefern, erfährt man auch von einer Verkäuferin in der kleinen Stadt Trojan in Zentralbulgarien. Kiosk-Besitzer, die "Prass-Press" dennoch anzubieten versuchten, wurden auf subtile Weise unter Druck gesetzt. "Als ich beim Vertrieb anrief und um weitere Ausgaben bat, wurde das harsch abgelehnt: Es gibt keine weiteren Exemplare! Schluss mit der Diskussion!" Zu insistieren wagte die Frau nicht. Die Angst, dann vom Vertriebsmonopolisten überhaupt nicht mehr beliefert zu werden war zu groß.

Als die Satiriker versuchten, die Situation mit der Vertriebsfirma zu klären, war plötzlich niemand mehr zu erreichen. Alle Zuständigen waren spurlos verschwunden. Telefone waren dauernd besetzt, auf Mails reagierte keiner. "Das ist ein Machtspiel wie mit einer Mafia in unserem angeblich doch demokratischen Land", kommentiert verbittert der Karikaturist. "Sie hätten über uns gutes Geld verdienen können - doch sie waren daran nicht interessiert. Ihnen ging es darum, uns die Münder zu schließen". 

Bulgarien Boyko Borissov, Premierminister
Besser nicht kritiseren: Bulgariens Premierminister Boiko BorissovBild: BGNES

Als Besitzer der Vertriebsfirma stehen zwar andere Namen im Firmenregister. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass sie vom Abgeordneten und einflussreichsten Medienmogul Bulgariens, Deljan Peevski, kontrolliert wird. Peevski gehören die meisten nationalen und regionalen Zeitungen, einige der meistgelesenen Nachrichten-Webseiten sowie der landesweite Fernsehsender TV 3. Als Besitzer großer Konzerne ist er zudem der zahlungskräftigste Werbekunde im Land.

Der Versuch, Humor zu verbieten

Durch das stillschweigende Vertriebsverbot muss die Satirezeitung nun andere Wege zu ihren Kundinnen und Kunden finden. Die Autoren bieten ihr Blatt nun auch online an und tragen viele Exemplare selbst zu ihren Kunden. Viele Buch- und Kleinhändler im Land lassen sich nämlich nicht unter Druck setzen. Die Nachfrage sei riesig, erklärt der Zeitungsverkäufer Traitscho Malinow, der seit der Wende auf dem Buchmarkt am Slavejkov Platz steht und sich bei der Posse um die Satirezeitung an die Aufbruchsjahre in den 1990er-Jahre erinnert fühlt.

Deljan Peevski Politiker aus Bulgarien
Kontrolle und Diktat: Bulgarischer Medienmogul Deljan PeevskiBild: BGNES

Es gehe hier nicht ums Geschäft, sagt Malinow. Es gehe vielmehr um den gemeinsamen Kampf für die Demokratie. "Das Geschäftsmodell der Karikaturisten hängt am Ende von Menschen wie mir ab", ist er sich bewusst. Damit haben Bulgariens Machthaber nicht gerechnet. Der Versuch, den Bulgaren nun auch noch den Humor zu verbieten, hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen den Satirikern nun ihre Hilfe beim Vertrieb von "Prass-Press" anbieten. "Haben wir eine Alternative? Schweigen? Resignieren? Das geht doch nicht! Auch wenn man dauernd das Gefühl hat, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen", lacht Komernizky und stapft entschlossen in eine der Buchhandlungen, die sich nicht weigert, die "Prass-Press" zu verkaufen.