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Razzien in Bulgarien

27. Januar 2011

In Bulgarien haben im vergangenen Jahr Razzien bei Vertretern der islamischen Gemeinde stattgefunden, überwiegend waren es Türken. Minderheitenforscherin Antonina Zheliaskova verteidigt insbesondere die Geistlichen.

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Foto von Antonina Zheliaskova (Foto: Privat)
Minderheitenforscherin Antonina ZheliaskovaBild: privat

Die staatliche Agentur für Nationale Sicherheit, das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft haben Anfang Oktober 2010 Razzien in Dörfern in den westlichen Rhodopen durchgeführt. Dabei wurden 30 Säcke mit Büchern, einige Computer, Handys, USB-Sticks und Geld beschlagnahmt. Bei den Razzien wurden ausschließlich die muslimischen Dorfbewohner aufgesucht. So wurde der Imam im Dorf Sarnitsa beschuldigt, der Kopf einer islamistischen Organisation zu sein.

DW-WORLD.DE: Haben sich die Vermutungen bestätigt, dass sich in diesen Dörfern der "radikale Islam" breit macht?

Antonina Zheliaskova: Meiner Meinung nach handeln die Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) und die regionalen Staatsanwaltschaften ohne jegliche Kontrolle. Sie haben die Imame öffentlich beschuldigt - und das nicht nur in den Dörfern Sarnitsa und Lazhnitsa. Die Razzien wurden im ganzen Land durchgeführt. Es wurden Bücher und Computer beschlagnahmt, ohne jeglichen Beweis. Inzwischen sind fast vier Monate vergangen. Es ist empörend, dass es keine Information gibt, ob die Betroffenen nun schuldig sind oder nicht. Noch erschütternder ist, dass die beschlagnahmten Gegenstände bislang nicht zurückgegeben wurden. Es ist in einem demokratischen Land wie Bulgarien, wo es kein gesetzliches Bücherverbot gibt, einfach unmöglich, Bücher zu beschlagnahmen.

Nicht zu vergessen ist auch der Fall eines Imams aus Lazhnitsa: Als er vor einem Jahr seine Bücher aus Medina, wo er seine Ausbildung abgeschlossen hatte, zugeschickt bekam, wurden diese vom Zoll kontrolliert und für sechs Monate beschlagnahmt. Ein halbes Jahr später hat er seine Bücher zurückbekommen, weil es sich um unbedenkliche Literatur handle. Aber nur vier Monate später hat man diese Bücher wieder beschlagnahmt.

Haben die Behörden, und insbesondere die Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit, die Kapazitäten, um den Inhalt der beschlagnahmten Bücher zu analysieren?

DANS ist ein undurchlässiges System. Ich habe keine Ahnung, in welchem Ausmaß das Parlament die Handlungen dieser Behörde kontrolliert. Deshalb habe ich neulich verlangt, dass die Agentur auf irgendeine Art von der Zivilgesellschaft kontrolliert wird, wenn das überhaupt möglich ist. Wir vermuten, dass DANS die notwendigen Kapazitäten zur Analyse der Bücher und der Predigten oder der anderen Texte der Imame fehlen. Ich kann aber nicht verstehen, warum die Computer, die das Werkzeug eines modernen Geistlichen sind, noch nicht zurückgegeben wurden. Der Inhalt einer Festplatte kann doch innerhalb weniger Minuten kopiert werden. In Bulgarien gibt es einige gute Fachleute in arabischer Philologie und Islamwissenschaften. Soweit ich weiß, wurde keiner dieser Spezialisten beauftragt, ein Gutachten zu erstellen.

Sie kennen die muslimische Bevölkerung in Bulgarien gut. Glauben Sie, dass von ihr eine Bedrohung für die nationale Sicherheit ausgeht?

Bulgarien schätzt die eigenen Muslime nicht. Dabei haben wir Glück mit unseren Muslimen. Wenn wir bedenken, was in anderen Balkan-Ländern passiert: Dort kann man überall Herde der Radikalisierung, fundamentalistische Strömungen oder Stimmungen finden. Wir schätzen unsere Muslime nicht, die äußerst loyal sind, Bulgarien lieben und das Land schätzen. Außerdem haben sie eigene Mechanismen zum Schutz vor radikalen Geistlichen entwickelt, die ins Land kommen könnten. Die Gewalt, die auf die Geistlichen seit zwei Jahren ausgeübt wird, beunruhigt alle Muslime. Sie können es nicht ertragen, dass ihre Geistlichen beleidigt werden. Die Imame sind sehr kompetente, intelligente und gut ausgebildete Menschen, die nichts Böses im Schilde führen. Mit diesen Handlungen radikalisieren wir - die Politiker und die Sicherheitsdienste - die Muslime in Bulgarien.

Autor: Georgi Papakochev

Redaktion: Mirjana Dikic