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Bundespräsident klärt mögliche Auflösung des Bundestages

Wolter von Tiesenhausen21. Juni 2005

Sollte Gerhard Schröder die Vertrauensfrage verlieren, muss der Bundespräsident entscheiden, ob er das Parlament auflöst. Eine schwere Entscheidung. Dafür sucht Köhler den Rat führender Staatsrechtler.

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Bundespräsident Horst Köhler vor der Vertrauensfrage des KanzlersBild: AP

Die Verfassung setzt dem Bundespräsidenten enge Grenzen. Das deutsche Staatsoberhaupt ist in erster Linie Repräsentant aller Deutschen. Er wacht über den ordentlichen Gang der Gesetzgebung und ist so etwas wie der oberste Notar des Landes. Entscheidenden Einfluss jedoch kann er in Krisensituationen ausüben. Zum Beispiel wenn eine Vertrauensfrage des Kanzlers vom Bundestag abschlägig beschieden werden sollte. Dann hat der Bundespräsident nach Artikel 68 des Grundgesetzes die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Und genau diese Abwägungen könnten bald auf Bundespräsident Horst Köhler zukommen. Zurzeit klärt Köhler die juristischen Aspekte der absehbaren Entwicklung.

Kein Königsweg

Gerhard Schröder Pressekonferenz
Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündet am 9. Juni 2005, dass er die Vertrauensfrage am 1. Juli stellen wirdBild: AP

Die Staatsrechtkommentatoren sind sich darin einig, dass in diesem Fall der Bundespräsident über einen breiten Ermessenspielraum verfügt. Er kann, aber er muss den Bundestag nicht auflösen. Er kann den "vertrauenslosen" Kanzler auch dazu zwingen, weiter zu regieren. Er kann abwarten, ob nicht der Bundestag selber einen anderen Bundeskanzler wählt. Sollte der Bundeskanzler von sich aus zurücktreten, so kann der Bundespräsident einen neuen Kandidaten zur Wahl vorschlagen.

Bildergalerie Gerhard Schröder 13
Vertrauensfrage Willy BrandtBild: AP

Deshalb ist es nachzuvollziehen, dass sich Bundespräsident Horst Köhler sehr sorgfältig auf diese schwierige Entscheidung vorbereitet. Er hat bereits ausführliche Gespräche mit zahlreichen Staatsrechtlern und erfahrenen Politikern geführt, darunter auch mit Roman Herzog, früher selber Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Herzogs Grundgesetzkommentare unterstreichen den Ermessensspielraum des Bundespräsidenten, der sich auch weitgehend einer Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht entzieht.

Verfassungsgericht lässt unechte Vertrauensfrage zu

Vertrauensfrage Helmut Schmidt
Gewonnene Vetrauensfrage von Helmut SchmidtBild: AP

Das höchste deutsche Gericht hatte schon 1983 entschieden, dass der Bundespräsident den Bundestag auch dann auflösen kann, wenn trotz einer eindeutigen Regierungsmehrheit dem Kanzler das Vertrauen verweigert wurde. Ein solches künstlich herbeigeführtes Misstrauen sei statthaft, wenn Koalition und Opposition Neuwahlen wünschen und wenn nur so das Land aus einer Krise herausgeführt werden könne.

Fraktionen sollen zustimmen

Vertrauensfrage Helmut Kohl
Helmut Kohl nach der verlorenen VertrauensfrageBild: AP

Um genau darüber Klarheit zu bekommen, hatte Bundespräsident Horst Köhler die Vorsitzenden der Bundestagsparteien und ihrer Fraktionen am Dienstag (21.6.2005) zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Er wollte wissen, wie groß die Entschlossenheit ist, zu Neuwahlen zu kommen. Darüber wollte er sich über die Handlungsfähigkeit der Regierung vor dem Hintergrund einer gewachsenen Mehrheit der christdemokratischen Opposition in der zweiten Kammer, dem Bundesrat, informieren. Vor allem aber wird er das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern SPD und Grünen ausloten. Dort - so soll der Kanzler dem Bundespräsidenten geklagt haben - wachse das Erpressungspotential und destabilisiere die Regierungsmehrheit.