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Bundesrat stoppt Kürzung der Solarstrom-Förderung

Bernd Gräßler11. Mai 2012

Der Bundesrat hat die drastische Kürzung der Einspeisevergütung von Sonnenstrom vorerst gestoppt. Das Tauziehen um die Solarförderung geht in eine neue Runde. Die Unternehmen schöpfen neue Hoffnung.

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Mit Solarzellen bestückte Wohnhäuser, aufgenommen in Holzkirchen (Unterfranken) Foto: Karl-Josef Hildenbrand dpa/lby
Bild: picture-alliance/dpa

Die umstrittene Kürzung der Einspeisevergütung für Solarstrom in Deutschland wird im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat grundlegend überarbeitet. Die Länderkammer lehnte das bereits vom Bundestag beschlossene Gesetz von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ab, mit dem die Einspeisevergütung bei neuen Solaranlagen rückwirkend zum 1. April  um bis zu 30 Prozent gesenkt wird. Außerdem sollte es laut Roettgens Gesetz umso weniger Vergütung für jede einzelne Anlage geben, je mehr  Solardächer und -parks in Deutschland entstehen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach im Bundesrat am Freitag (11.05.2012) von einer "hochgradigen Gefährdung" für die Zukunft der Solarbranche in Deutschland.

Mit dramatischen Worten beschwören seit Wochen auch die Vertreter der ostdeutschen Länder die Folgen der drastischen Kürzungen und fordern eine behutsamere Absenkung. Denn im Osten kreist über der einst hoch gelobten Branche seit Monaten der Pleitegeier. Unter anderem traf es den einst weltgrößten Solarzellenhersteller Q-Cells im anhaltinischen Bitterfeld, vor allem aber die brandenburgische "Solar City"  Frankfurt an der Oder, wo mehrere Unternehmen vor dem Aus stehen.

Vorzeigebranche droht wie ein Kartenhaus zusammenzufallen

Der zweitgrößte Solarnmodulhersteller der Welt, First Solar, begründet die für Herbst angekündigte Schließung seines Werkes in Frankfurt (Oder) mit 1200 Angestellten damit, dass Solarstrom aus Großanlagen über 10 MW  überhaupt nicht mehr staatlich subventioniert werden soll. First Solar stellt vor allem Dünnschicht-Solarmodule für solche großen Anlagen her, die unter anderem auf ehemalige Militärgeländen oder stillgelegte Mülldeponien entstehen.

Bitter für den Steuerzahler: Die Solarunternehmen  profitierten jahrelang nicht nur indirekt von der subventionierten Vergütung für Solarstrom, sondern auch direkt von den Sonderhilfen für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region Ostdeutschland.  Die mit Milliardenaufwand aufgebaute Branche drohe "wie ein Kartenhaus zusammenzufallen", warnt die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Die Wut der vor allem betroffenen ostdeutschen Bundesländer darüber entlädt sich derzeit über der Bundesregierung, weil sie die Förderung zu drastisch absenke.

Karte mit den Standorten der deutschen Solarunternehmen psd

Regierung will Milliardenkosten für Stromkunden eindämmen

Die Bundesregierung versucht, die längst aus dem Ruder gelaufenen Kosten der deutschen Solarförderung einzudämmen. Allein im Jahr 2011 zahlten die deutschen Stromkunden insgesamt Aufschläge von sieben Milliarden Euro, um die Produktion von Solarstrom zu subventionieren. Nirgendwo auf der Welt sind so viele Solaranlagen entstanden wie im eher sonnenarmen Deutschland, besonders viele übrigens in den ersten drei Monaten dieses Jahres – mit Blick auf die ab 1. April drohende Kürzung der Förderung. 

Vom anhaltenden Solarboom auf deutschen Dächern und Wiesen profitieren die hiesigen Unternehmen allerdings immer weniger, weil vor allem die asiatische Konkurrenz auf den deutschen Markt drängt. Laut Bundeswirtschaftsministerium kamen im ersten Halbjahr 2011 nur noch 15 Prozent aller in Deutschland verkauften Solarzellen und -module aus einheimischer Produktion, der Rest aus dem Ausland. Vor allem chinesische Unternehmen wie der Weltmarktführer Suntech Power profitieren damit indirekt von den Preisaufschlägen, die deutsche Stromkunden für die Sonnenstromförderung zahlen.

Deutschlands "Geschenk an die Welt"

Der internationale Boom der Solarindustrie "war ein Geschenk der deutschen Stromkunden an die Welt" zitierte die Zeitung "NZZ am Sonntag" kürzlich den Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St. Gallen, Rolf Wüstenhagen. Mittlerweile würden manche Politiker aus den Bundesländern die Förderung von Solarstrom am liebsten an die einheimische oder wenigstens europäische Herkunft der Anlagen binden. Ein entsprechender Vorschlag aus dem Umweltausschuss des Bundesrates löst allerdings wegen des voraussehbaren Konflikts mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO bei Experten eher Kopfschütteln aus.

Das Bundeswirtschaftsministerium kontert die anhaltende Kritik an den gekürzten Vergütungen mit dem Hinweis, trotz "hohen Zubaus in Deutschland und ohne dass es eine Veränderung der Vergütung gegeben hätte", seien bereits ab Mitte 2011 viele deutsche Unternehmen ins Schlingern geraten. So steht es in einem wenige Tage alten Bericht aus dem Wirtschaftsministerium zur Lage der deutschen Photovoltaikindustrie.

Glaubt man der Solarbranche, dann redet die Regierung die Bedeutung der Solarförderung für die Zukunft der einheimischen Unternehmen bewusst klein. Immer noch kommt laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) bei der Installation von Solaranlagen in Deutschland der überwiegende Teil der Wertschöpfung aus dem Inland. Und zwar auch, wenn die Solarzelle selbst "Made in China" ist: Sie macht laut DGS nur etwa ein Drittel der Kosten aus.

Wenig tröstlich ist es für die Branche, dass der Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums vermerkt, inzwischen sei in Deutschland ein weltweit führender und exportintensiver Maschinenbau für die Photovoltaikindustrie entstanden. Denn auf diesen Maschinen werden in China jene Solarzellen produziert, die den deutschen Markt überschwemmen.

Solarunternehmen investieren zu wenig In Forschung

Viele Experten sehen deshalb, unabhängig von der Höhe der Einspeisevergütung für Sonnenstrom, besonders für Solarmodul- und Solarzellhersteller in Deutschland schlechte Zukunftsaussichten. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsministerin Birgitta Wolf (CDU) räumt ein, die deutsche Solarindustrie habe im harten internationalen Wettbewerb nur dann eine Zukunft, "wenn sie sich vom schlichten Zellen- und Modulbau abhebt". Es gehe um neue weltweit einzigartige Produkte, beispielsweise zur kombinierten Nutzung von Sonne und Wind, um autarke Energiesysteme für Haushalte oder Dörfer zu schaffen.

Aber dafür liegen die Investitionen der deutschen Solarindustrie in die Forschung und Entwicklung mit 2,5 Prozent Anteil am Umsatz seit langem zu niedrig. Die Elektroindustrie investiert fast das Dreifache, die Medizintechnik das Vierfache, um international konkurrenzfähig zu bleiben.