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Bundestag 2.0

7. Mai 2010

Sage niemand, die Politik sei nicht auf der Höhe der Zeit! Mit der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" beweist der Deutsche Bundestag das Gegenteil - hoffentlich.

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Ein Computer-Kabel vor der Weltkugel symbolisiert die globale Bedeutung des Internets. (Grafik: Deutsche Welle)
Bild: picture-alliance/dpa/DW

Es mag ja sein, dass die Deutschen mitunter Vorbehalte gegen technische Neuerungen haben. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ihre Erfindungen und Entdeckungen, beispielsweise Otto Hahns Kernspaltung, der Welt unbeabsichtigt auch manches Ungemach bescherten. Das Internet haben zwar die Amerikaner erfunden, und sind uns auf diesem Gebiet in jeder Hinsicht weit voraus. Aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass man hierzulande digital hinter dem Mond lebt?

Manche Internetler mögen das so sehen. Sie sollten aber bei allem verständlichen Enthusiasmus für die scheinbar unendlichen Möglichkeiten dieses Mediums die Risiken nicht unterschätzen. Und damit ist nicht nur das Verbreiten kinderpornografischer Bilder gemeint oder die Anleitung zum Bau von Autobomben. Denn es geht um weit mehr, als um die Frage, ob bestimmte Seiten im Netz gesperrt werden sollten. Es geht auch um soziale Netzwerke, in denen sich Junge und jung gebliebene tummeln. Es geht um Lehrer, die weniger wissen als ihre Schüler. Es geht um Datenschutz und Urheberrechte. Zugespitzt formuliert: Es geht um die virtuelle Existenz der gesamten Gesellschaft.

17 Abgeordnete, 17 Sachverständige

Portrait des Vorsitzenden der Enquete-Kommission 'Internet und digitale Gesellschaft'. (Foto: Deutscher Bundestag)
Vorsitzender der Kommission: Axel E. Fischer (CDU)Bild: DBT

Es muss diese Einsicht gewesen sein, die dazu geführt hat, dass sich der Deutsche Bundestag endlich dazu durchgerungen hat, sich des Themas grundsätzlich anzunehmen und nicht nur dann, wenn es tagespolitisch opportun erscheint, wie in der weiterhin schwelenden Debatte über die Sperrung von Internet-Seiten mit kinderpornografischem Inhalt. Im März 2010 erfolgte der Beschluss, eine Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zu gründen, deren konstituierende Sitzung inzwischen stattgefunden hat.

Vorsitzender dieses Gremium mit je 17 Abgeordneten und Sachverständigen ist der Christdemokrat Axel E. Fischer. Seine ersten Worte in der ersten Pressekonferenz lauteten: "Der Deutsche Bundestag hat, das heißt die Politik hat den Bereich Internet und digitale Gesellschaft als Thema erkannt, bei dem wir handeln müssen und über das wir reden müssen, weil es an Bedeutung in der Gesellschaft unheimlich zunimmt." Über diesen Befund werden manche milde lächeln, denen diese Erkenntnis schon vor vielen Jahren gekommen ist. Dazu gehörten in der Vergangenheit zwar auch Politiker, nur fanden diese in den eigenen Reihen wenig Gehör.

Mehr als eine Alibi-Veranstaltung

Das wird sich mit der Enquete-Kommission ändern, die mehr ist, als eine Alibi-Veranstaltung, wie die besonders internetverliebte Piraten-Partei meint. Dafür werden schon die Parlamentarier sorgen, deren Internet-Bild sich zuweilen ebenso stark unterscheidet, wie das der von ihnen berufenen Sachverständigen. Unter ihnen sind Wirtschaftsleute und Juristen vertreten, aber auch Informatiker und Netzaktivisten, wie der Blogger Markus Beckedahl. Der veranstaltet unter anderem die seit Jahren expandierende "re:publica"-Konferenz über Blogs, soziale Medien und digitale Gesellschaft.

Portrait des Sachverständigen und Bloggers Markus Beckedahl. (Foto: CC-BY-NC-SA-Lizenz / Franz Patzig)
Sachverständiger Blogger: Markus BeckedahlBild: CC-BY-NC-SA-Lizenz/Franz Patzig

Beckedahl verkörpert in gewisser Weise fast alle Aspekte, um die es in der Enquete-Kommission bis zum Sommer 2012 gehen soll. Dann will die Runde einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorlegen.

Beim ersten Treffen wunderte sich Beckedahl, mit 33 Jahren der Jüngste unter den Sachverständigen zu sein. Wahrscheinlich hat er die anderen ein wenig im Verdacht, noch zu sehr den aus seiner Sicht alten Medien verhaftet zu sein. "Natürlich habe ich auch Radio und Fernsehen mitbekommen, aber seit mehr als einem Jahrzehnt sind diese sogenannten Leitmedien für mich eigentlich obsolet."

Leitmedium Internet?

Beckedahls Kolleginnen und Kollegen in der Enquete-Kommission werden darauf zu kontern wissen, wenn sich die Runde Mitte Mai zu einer zweitägigen Klausur in Berlin trifft. Jens Koeppen von der CDU will auch künftig nicht auf seine Zeitung verzichten und freut sich schon auf die Diskussion. Sein Motto: Wir alle sind das Internet! "Das Internet ist genauso die Oma wie der Manager oder der Blogger oder Twitterer. Also keine virtuelle Welt, sondern eine ganz reale! Das ist nicht nur eine Community, sondern das ist unsere Gesellschaft!"

Portrait des SPD-Abgeordneten Lars Klingbeil. Foto: Lars Klingbeil/Marco Urban
Für die SPD online: Lars KlingbeilBild: Lars Klingbeil/Marco Urban

Was der Christdemokrat Koeppen so erfrischend salopp formuliert, klingt beim Sozialdemokraten Lars Klingbeil ganz nüchtern. "Wir müssen darauf dringen, dass Netzpolitik als Gesellschaftspolitik begriffen wird, die Auswirkungen auf das Arbeits- und Erwerbsleben hat sowie auf die Wirtschafts- und Bildungspolitik."

Einig sind sich alle Abgeordneten, dass die von ihnen einberufene Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" weit über den Tag hinaus denken und handeln muss. Man werde einen Platz im Parlament finden müssen, wo dieses Thema dauerhaft berücksichtigt wird, fordert der Freidemokrat Jimmy Schulz. "Wir können nicht nach zwei, drei Jahren einen Bericht vorlegen und dann einen Haken ranmachen. Das wird nicht funktionieren."

"Produkte entwickeln und vermarkten"

Parteipolitische Auseinandersetzungen sollten in der Kommission bitte schön außen vor bleiben, wünscht sich der Rechtswissenschaftler Hubertus Gersdorf, der von der FDP als Sachverständiger berufen wurde. Der Hamburger erhofft sich von der Arbeit des Gremiums einen wirtschaftlichen Impuls für den Standort Deutschland. "Es ist sehr wichtig, dass wir Produkte entwickeln im Zusammenhang mit dem Internet und die dann auch vermarkten." In den USA würde man den Kopf darüber schütteln, wie viele Chancen hier oft vertan würden, sagt Gersdorf.

Portrait der Sachverständigerin und Informatikerin Constanze Kurz. Foto: Kurz
Sachverständige Informatikerin: Constanze KurzBild: Kurz

Über ungenutzte Potenziale ärgert sich gelegentlich auch die von der Linken berufene Sachverständige Constanze Kurz. Als Informatikerin sind ihr technische Belange des Internets und der digitalen Gesellschaft sehr vertraut. Dennoch warnt die ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs davor, den Auftrag der Enquete-Kommission einzuengen: "Wir sollten nicht primär Wirtschaftsinteressen verfolgen, sondern das Internet breiter sehen, als Chance für die ganze Gesellschaft."

Übertragungen im Web-TV

Ein Blick in den Antragstext der Abgeordneten für die Enquete-Kommission dürfte Kurz beruhigen. Darin heißt es unter anderem, das Internet sei das "freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum" und trage maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei. Ganz in diesem Sinne soll sich die interessierte Öffentlichkeit an der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" beteiligen können. Die Sitzungen und Anhörungen werden natürlich öffentlich sein und nach Möglichkeit im Web-TV des Bundestages übertragen.

Auf der Homepage ist bereits ein Forum zum Mitdiskutieren eingerichtet. User "Christian Treczoks" wünscht dem Projekt viel Erfolg und antwortet auf die Frage, wo die Grenzen der Partizipation in einer repräsentativen Demokratie lägen, mit der wenig schmeichelhaften Bemerkung: "Die modernen Grenzen sind in den Köpfen der Regierenden, die aufgrund ihres Internet-Analphabetismus noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind."

Es liegt nun an der Enquete-Kommission, diesen weit verbreiteten Eindruck zu korrigieren - frei nach dem Motto "Bundestag 2.0".

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Kay-Alexander Scholz