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Bundestag beschließt "Trauma-Zentrum"

12. Februar 2009

Immer mehr Bundeswehrsoldaten, die aus Kriegsgebieten heimkehren, leiden unter dem "Rückkehrer-Trauma" PTBS. Verteidigungsminister Jung kündigte im Bundestag die Einrichtung eines Forschungszentrums in Berlin an.

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Symbolbild: Ein Bundeswehrsoldat mit Gewehr und ein Beratungsraum eines Psychologen. (Fotomontage: DW)
Der Gang zum Psychologen soll auch für traumatisierte Kriegsheimkehrer normal werdenBild: picture-alliance/ dpa / Fotomontage: DW

Das Forschungs- und Kompetenzzentrum soll ab Mitte des Jahres beim Institut für den medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr in Berlin angesiedelt werden. Auch eine Telefon-Hotline soll Soldaten unter Wahrung ihrer Anonymität Hilfe bieten. Beides waren Kernforderungen eines gemeinsamen Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zur Verbesserung der Hilfsangebote für betroffene Soldaten. Die seelischen Verwundungen von Soldaten seien genauso ernst zu nehmen wie körperliche, sagte Minister Franz-Josef Jung am Donnerstag (12.02.2009) in der Debatte. Die Zahl der an der so genannten "Posttraumatischen Belastungsstörung" erkrankten Soldaten habe sich von 121 im Jahr 2005 auf 245 im vergangenen Jahr verdoppelt.

Jung: Soldaten sollen Hilfsangebote annehmen

Feierliche Übergabe eines Sanitätszentrums in Geltow in Brandenburg (Foto: dpa)
In Sanitätszentren werden bisher hauptsächlich körperliche Krankheiten behandeltBild: picture-alliance/ dpa

Vor allem Rückkehrer aus dem Afghanistan-Einsatz seien betroffen. Er begründete die hohe Zahl zum Einen mit der "Einsatzintensität", zum Anderen aber auch mit der erhöhten Bereitschaft der Soldaten, sich behandeln zu lassen. "Die Sensibilität für die Erkrankung", so Jung, "hat zugenommen". Er ermutigte Soldaten, Hilfsangebote anzunehmen, wenn sie unter einem "Rückkehrer-Trauma" litten. Dies sei keine Schwäche.

Laut Jung steht die Bundeswehr mit einem Anteil der PTBS-Erkrankten von etwa einem Prozent der Gesamtstärke der Streitkräfte international vergleichsweise gut da. Unter den Afghanistan-Heimkehrern seien es aber mehr. Dennoch nehme man den Anstieg der Zahlen sehr ernst. Für die Heimkehrer sei inzwischen ein psychosoziales Netzwerk aufgebaut worden. Standortnah könnten die Soldaten rund um die Uhr kompetente Hilfe in Anspruch nehmen. Jung verwies ferner auf das Angebot des Bundeswehrkrankenhauses im Internet. Auf der entsprechenden Seite könnten sich Betroffene austauschen.

Kein Alibi-Zentrum

In der Debatte beklagten mehrere Abgeordnete, dass sich die Bundeswehr erst jetzt, etliche Jahre nach ihrem ersten Auslandseinsatz Anfang der 1990er Jahre diesem Thema stelle. Der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei und der SPD-Politiker Jörn Thießen begrüßten zwar die Ankündigung Jungs, ein Forschungszentrum einzurichten. Dieses müsse aber, so Nachtwei, ein "echtes Forschungszentrum" sein, das auch finanziell und personell entsprechend ausgestattet sei. Es dürfe nicht nur eine Alibifunktion haben.

Bundeswehrsoldat in einem Transporthubschrauber (Foto: dpa)
Mit den seelischen Belastungen während ihrer Kriegseinsätze werden viele Soldaten nicht fertigBild: picture-alliance/ dpa

Ähnlich äußerte sich Thießen. Er forderte von der Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen konkreten Zeit- und Handlungsplan. Er bemängelte, dass von 42 Dienstposten in der Bundeswehr nur 21 für Psychiater besetzt seien. Von diesen seien fünf speziell in Traumatherapie ausgebildet.

Hohe Dunkelziffer bei der Zahl der Betroffenen

Thematisiert wurden auch die Ängste der Soldaten, einen Psychiater aufzusuchen. Der SPD-Politiker Thießen räumte ein, dass Soldaten sich häufig nichtan einen Psychiater oder Seelsorger wendeten, weil sich das nicht mit ihrem Selbstbild von Stärke vereinbaren ließe. Dies führe zu einer hohen Dunkelziffer. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), hatte das am Donnerstag in einem Interview des Deutschlandradio Kultur unter anderem darauf zurückgeführt, wie in der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen umgegangen werde. Der Gang zum Psychiater sei stigmatisiert. "Das muss sich ändern, insbesondere in der Bundeswehr", so Robbe.

Rund 7200 Soldaten der Bundeswehr sind derzeit im Ausland im Einsatz. Die Bundespsychotherapeutenkammer vermutet, dass die Dunkelziffer der Erkrankten beim Militär wegen des "inneren Ehrenkodexes" außerordentlich hoch ist. Gründe für das Verschweigen der Krankheit seien die Angst, als Soldat versagt zu haben, aber auch Nachteile für die Karriere.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten nötig

Grünen-Politiker Nachtwei (vorne) beim Besuch in Kundus im Oktober 2008 (Foto: dpa)
Winfried Nachtwei bei einem Besuch in Afghanistan 2008Bild: picture-alliance/ dpa

Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hatten ihren Antrag damit begründet, dass die Bundeswehr bisher zwar mit einem Mix an internen und externen Behandlungsmöglichkeiten gute Erfahrungen gemacht habe. "Angesichts steigender Fallzahlen und absehbarer zukünftiger Einsatzszenarien" müssten aber weitere Behandlungsmöglichkeiten geschaffen werden - darunter Anlaufstellen, an die man sich auch anonym und telefonisch wenden könne. Die mittel- und langfristigen Folgen einer "Posttraumatischen Belastungsstörung" seien oftmals Depressionen, Gereiztheit, Verschlossenheit oder auch Suchtprobleme. "Je nach Ausmaß der Beschwerden kann dies auch bis zur Dienstunfähigkeit führen", heißt es in dem Antrag. Dieser wurde am Donnerstag mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. (bea)