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Bundestag billigt Reform von Hartz IV

3. Dezember 2010

Der Bundestag hat beschlossen, dass so genannte Hartz-IV-Empfänger künftig monatlich fünf Euro mehr bekommen. Der Bundesrat muss der Reform noch zustimmen - dort hat die schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit.

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Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) (Foto: Berthold Stadler/dapd)
Ursula von der Leyen verteidigt Hartz IVBild: dapd

Mit den Stimmen der Regierungs-Koalition aus Union und FDP hat der Bundestag am Freitag (03.12.2010) die so genannte Hartz-IV-Reform verabschiedet. Danach sollen erwachsene Langzeitarbeitslose monatlich fünf Euro mehr bekommen. Die Regelsätze für Kinder und Jugendliche steigen nicht, werden aber durch ein Bildungspaket ergänzt.

Der Bundesrat muss dem Gesetz am 17. Dezember noch zustimmen. Da die Koalition in der Länderkammer aber keine Mehrheit hat, wird mit einer langwierigen Suche nach einem Kompromiss gerechnet. Denn wenn der Bundesrat das Gesetz ablehnt, muss der Vermittlungsausschuss aus beiden parlamentarischen Kammern eine Lösung finden.

Verfassungsrichter forderten Neuregelung ein

Die Neuregelung des Sozialgesetzes war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die geltenden Regelsätze für verfassungswidrig erklärt hatte. Deshalb werden die neuen Regelsätze sowie das Bildungspaket - auf die ein Rechtsanspruch gilt - in jedem Fall zum 1. Januar 2011 eingeführt, selbst wenn das Gesetz im Bundesrat keine Mehrheit findet. Die Bescheide werden bis zum Inkrafttreten der Reform unter Vorbehalt gestellt.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht am Freitag (03.12.2010) im Deutschen Bundestag in Berlin (Foto: dpa)
SPD-Chef Gabriel fordert mehr Geld für SchulenBild: picture alliance/dpa

Der Abstimmung ging eine hitzige Debatte voraus. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die Regierung auf, mehr Geld in Schulen zu stecken und nicht "in Bildungspäckchen zu verkleckern". Es gehe um eine Richtungsentscheidung, wie und wo Geld für benachteiligte Kinder investiert werden solle. Die SPD wolle Ganztagsschulen, Familienzentren, mehr Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter.

Ministerin wirbt um Zustimmung

Von der Leyen warb um Zustimmung für ihr Bildungspaket im Umfang von 740 Millionen Euro. "Wir laden Sie ein, machen Sie mit, packen wir es an", rief sie der Opposition unter Tumulten und demonstrativem, lang anhaltendem Beifall der Regierungsfraktionen zu.

Die CDU-Politikerin verteidigte die Reform des Sozialgesetzes. Erstmals werde etwas für die Bildung von Kindern aus armen Familien getan, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt habe. Dies hätten SPD und Grüne versäumt, als sie 2005 die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Hilfen für Langszeitarbeitslose auf den Weg gebracht hätten. Die Vorbereitungen für die Umsetzung liefen bereits, sagte von der Leyen.

Die wesentlichen Regelungen im Einzelnen:

- Alleinstehende Erwachsene erhalten von Januar 2011 an pro Monat 364 statt bisher 359 Euro. Hinzu kommen, wie bisher, die Kosten für Miete und Heizung. Ehe- oder Lebenspartner bekommen je 90 Prozent des Regelsatzes, das sind 328 Euro.

- Die Hartz-IV-Sätze für Kinder werden nicht erhöht. Sie betragen 215 Euro für Kinder unter sechs Jahren, 251 Euro für Kinder von sechs bis 13 Jahren und 287 Euro für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren. Junge Erwachsene bis 25 Jahre erhalten 291 Euro, sofern sie noch bei den Eltern leben. Gründen sie einen eigenen Haushalt, bekommen sie 364 Euro plus Miete und Heizung.

- Die Regelsätze werden in den nächsten Jahren anhand der Preis- und der Nettolohnentwicklung erhöht. Bisher richten sich die Anpassungen nach der Rentenentwicklung. Alle fünf Jahre werden die Regelsätze neu berechnet.

- Die Zusammensetzung der Ausgabenposten, aus denen der Regelsatz errechnet wird, ist geändert worden. Tabak und Alkohol sind gestrichen, ebenso Ausgaben für die chemische Reinigung oder Gartengeräte. Für Internet und Nahverkehr wurden höhere Ausgaben als bisher berücksichtigt.

- Ein Bildungspaket im Umfang von 740 Millionen Euro soll bis zu zwei Millionen bedürftigen Kindern zugute kommen. Es sieht unter anderem Zuschüsse für Schulmaterial, Mittagessen in Schule und Kita sowie Freizeitaktivitäten vor. Die Verwaltung des Programms soll 135 Millionen Euro kosten.

Warnung vor Klagewelle

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe von außen mit Schild (Archivfoto: ap)
Im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe könnte das Thema Hartz-IV bald erneut landenBild: AP

Unmittelbar vor den abschließenden Beratungen des Bundestages zur Reform des Arbeitslosengelds II warnen Juristen vor einer Klagewelle gegen die neuen Regelungen. Mittlerweile seien so viele verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, "dass mit Sicherheit eine ganze Reihe neuer Verfahren bei den Gerichten eingehen wird", sagte Hans-Peter Jung, Vorsitzender des in Essen ansässigen Bundes Deutscher Sozialrichter, der "Süddeutschen Zeitung".

Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert sagte der "Frankfurter Rundschau", er gehe davon aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht über kurz oder lang wieder mit den Hartz-IV-Leistungen beschäftigen werde. Der neue Satz von 364 Euro im Monat für Erwachsene sei weder transparent berechnet worden noch realitätsgerecht. Borchert hatte mit seiner Rechtsprechung wesentlichen Anteil daran, dass die bisherigen Regelsätze vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurden.

Autor: Martin Muno (dpa, dapd, epd, afp)

Redaktion: Dirk Eckert / Martin Schrader