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Gesellschaft

BVG und Humor: "Einfach ein gutes Match"

Maximiliane Koschyk
16. Januar 2018

Ein Verkehrsunternehmen, das über seine Kunden witzelt, die Band U2 in die U-Bahn schickt und einen Turnschuh als Ticket verkauft? Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) funktioniert das. Warum, erklärt Peter Wittkamp.

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Deutschland BVG-Adidas-Sneaker in Berlin
Bild: Overkill

Seit Sonntagabend harren Hunderte in Berlin vor zwei Geschäften aus, um eines der wohl meistbegehrten Jahresabos eines öffentlichen Verkehrsbetriebes zu ergattern: einen Turnschuh für 180 Euro, limitiert auf 500 Exemplare, produziert vom Hersteller Adidas und gestaltet in den Farben der Sitzbänke der Berliner U-Bahn.

Vor einigen Jahren wäre eine solche Beliebtheit für das Unternehmen unvorstellbar gewesen. Als sie vor knapp vier Jahren erstmals in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook Konten eröffnete, schlug der BVG eine Welle aus Beschwerden und Frust entgegen. Heute zählen die Beiträge des Unternehmens zum Unterhaltsamsten, was das deutschsprachige Netz zu bieten hat. Die Deutsche Welle hat mit einem der Köpfe hinter den humorvollen Sprüchen gesprochen.

Deutsche Welle: Wann schauen Sie morgens das erste Mal bei Twitter rein?

Peter Wittkamp: Ich bin heute nicht zuständig, aber der Kollege wird jetzt so gegen 8.30 Uhr gerade anfangen. Im Grunde ist das relativ normales Community Management. Gut, so normal ist der Job wahrscheinlich noch gar nicht. Wir Social-Media-Redakteure betreuen die drei Kampagnen-Kanäle der BVG, die Facebook-Seite, den Instagram-Kanal und den Twitter-Kanal. Wir schauen uns an, was da geschrieben wird und reagieren darauf. Vor allem auf Twitter ist es ein sehr schneller und oft humorvoller Dialog mit den Leuten.

Wie kam es zu der Idee, Social-Media Redakteure und auch eine gute Portion Humor in ein städtisches Unternehmen wie die BVG zu holen?

Das hat sich einfach gefunden: Bei der BVG liegt ein bisschen Berliner Schnauze nahe, denn von allen Städten in Deutschland ist Berlin vielleicht die härteste oder rotzigste Stadt, da muss man nicht immer so gestelzt reden. Gleichzeitig fand es die BVG auch gut, mutiger zu agieren und ehrlicher und direkter zu ihren Kunden zu sein. Mit uns hatten sie dann Leute gefunden, die das genauso gesehen haben. Wir sind einfach ein gutes Match.

Sie sorgen mit ihren witzigen Sprüchen in sozialen Netzwerken und der Art, wie Sie mit den Kunden der BVG umgehen, immer wieder für positive Aufmerksamkeit. Gibt es aber auch Grenzen?

Definitiv. Wir überschreiten nie eine bestimmte Grenze: Rassismus, Sexismus, und über Leute lachen, denen es wirklich schlecht geht, so was machen wir nicht. Wenn wir witzig sind, dann immer mit Leuten, die das abkönnen und vielleicht auch einen Witz erwarten. Eine Faustregel ist: Wenn der Bus zwei Minuten zu spät kommt und darüber jemand twittert, dann kann man auch mal einen Witz machen und fragen: "Warum hast du deswegen dein Handy in die Hand genommen?" Wenn der Bus 20 Minuten zu spät kommt, dann ist das was anderes. Dann steht da jemand und muss vielleicht das Kind aus dem Kindergarten abholen oder zu einem Termin. Da kann man schon ein bisschen vorsichtiger reagieren. Und wenn jemand fragt, warum bei ihm seit zwei Tagen keine Busse mehr fahren, dann ist es vielleicht nicht der Augenblick, in dem er jetzt unbedingt einen Witz hören will.

Hat diese humorvolle Art die BVG und ihre Herangehensweise gegenüber den Kunden verändert?

Ich weiß, dass die Personalabteilung es deutlich leichter hat, Mitarbeiter zu finden, weil die potenziellen Mitarbeiter auf einmal sagen: "Hey BVG, cooler Laden." Das ist ein Effekt, der ins Unternehmen reinwirkt. Es gibt auch viele Mitarbeiter, die es gut finden, dass alles ein bisschen lockerer ist und auch mal zurückgeschossen wird. Wir müssen uns auf Twitter auch derbe Beleidigungen anhören. Bis zu dieser Kampagne war es so, dass da eigentlich nicht viel zurückgeschossen wurde, aber jetzt machen wir das. Das ist für einige Mitarbeiter auch schön, die sagen: Das müssen wir uns jetzt seit 20 Jahren anhören und endlich antwortet da mal jemand darauf, und dann auch noch humorvoll.

Peter Wittkamp - Social-Media-Redakteur bei der BVG
Peter Wittkamp, Social-Media-Redakteur bei der BVGBild: Eylül Aslan

Die BVG bringt heute einen Turnschuh heraus, den sie gemeinsam mit Adidas entworfen hat und der auch als Ticket gilt. Seit Sonntagabend sollen schon einige für diesen Schuh Schlange stehen. Wäre das vor Ihrer Kampagne möglich gewesen?

Da muss zwischen den sogenannten Sneaker-Freaks und der BVG doch ein wenig unterscheiden, auch wenn sich hier zwei Themen sehr gut ergänzen. Man könnte vermutlich auch einen Deutsche-Welle-Sneaker mit Adidas machen und auf 100 limitieren, die Leute würden euch den Laden einrennen. Es gibt diese Sneaker-Sammler, die wissen, dass diese Schuhe gesammelt werden und dass man sie auch weiterverkaufen kann. Dadurch, dass man noch ein Jahresticket dranhängt, ist es ganz rund und sorgt dann für noch mehr Hype.

Marketing lebt vom Hype, das hat auch der jüngste Ikea-Katalog gezeigt, bei dem ein inbegriffener Schwangerschaftstest für Aufregung sorgt. Ist diese Art des kuriosen Marketings ein neuer Standard?

Im Ikea-Fall ist es so, dass man als Schwangere mit seinem Urin über eine Anzeige leicht pinseln kann und dann wird ein neuer Preis sichtbar. Aber wird vielleicht nur ein Bruchteil der Leute machen, und dann aus dem Interesse heraus, ob das wirklich funktioniert. Diese Marketing-Aktionen leben nicht davon, dass die Leute mitmachen, sondern dass darüber berichtet wird. Grundsätzlich ist Marketing schon seit Jahrzehnten so: Wenn du eine gute Idee hast, dann mach sie - und es wird darüber berichtet. Das würde ich nicht als neuen Trend auffassen.

Gibt es ein Unternehmen oder eine Marke, für die Sie gerne mal arbeiten möchten?

Ich finde es immer langweilig, wenn eine Marke schon so viel erreicht hat - wenn Nike sagen würde: Lieber Peter Wittkamp, magst du nicht einen Spot für uns drehen? Und dann steht man erstmal da und denkt: Wow. Aber Nike hat schon so viele Spots gemacht, und wenn man sich die anschaut, dann denkt man nur: Das haben die schon gemacht, das haben sie schon gemacht, ah, das haben die auch schon gemacht. Und fragt sich: Was soll ich da jetzt noch machen? Ich finde es immer spannender, wenn das Unternehmen einen leicht ramponierten Ruf hat oder noch nie stark um Aufmerksamkeit geworben hat. Also ein guter deutscher Mittelständler, der sagt: Wir wollen etwas Cooles machen. Denn wenn man nicht viel zu verlieren hat, dann hat man auch gleichzeitig sehr viel zu gewinnen. Das finde ich immer spannender als die ganz großen Namen.

Peter Wittkamp ist freiberuflicher Autor, Marketing-Experte und unter anderem für die BVG und die ZDF-Sendung "Heute Show" als Social-Media-Redakteur tätig.