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CDU/CSU: Verloren und doch gewonnen

20. Oktober 2009

Trotz des zweitschlechtesten Wahlergebnisses ihrer Geschichte: CDU und bayerische CSU haben in ihrer Fraktion jetzt mehr Ageordnete. <i>Teil 2 unserer Serie über die Fraktionen im neuen Deutschen Bundestag</i>

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Porträt Volker Kauder lachend im Bundestag (Foto: AP)
Volker Kauder leitet die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.Bild: AP

Johannes Singhammer hat Grund zur Freude. Im fünften Anlauf hat der 56-Jährige den Bundestags-Wahlkreis München-Nord erobert. Zuletzt war das der einzige Wahlkreis in Bayern, den die SPD noch halten konnten. Doch der bisherige sozialdemokratische Wahlkreisabgeordnete Axel Berg hat 8,2 Prozent Stimmenanteil verloren. Zwar hat auch Singhammer verloren, aber nur 4,5 Prozent, und damit hatte er hauchdünn die Nase vorn.

Johannes Singhammer hält eine Rede im Bundestag (Foto: Lichtblick)
Johannes SinghammerBild: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Für Singhammer war das doppeltes Glück. Bisher war der CSU-Politiker nämlich, obwohl es im Wahlkreis nie geklappt hatte, immer über die Landesliste in den Bundestag eingezogen - aber das wäre diesmal nicht möglich gewesen. Denn die Landesliste "zog" diesmal nicht. Normalerweise entscheidet die Zweitstimme der Wähler darüber, welche Partei wie viele Abgeordnete in den Bundestag schickt. Entsprechend ihrem Zweitstimmen-Anteil entsendet jede Partei zunächst ihre erfolgreichen Wahlkreisbewerber ins Parlament und füllt dann ihr Kontingent mit Bewerbern von der Vorschlagsliste auf.

Ein ganzer Landstrich fehlt

Nun hat aber die CSU bei den Zweitstimmen fast sieben Prozent verloren, gleichzeitig jedoch - mit den Erststimmen - sämtliche bayerischen Wahlkreise erobert. Das sind drei mehr, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zugestanden hätten, weshalb natürlich kein CSU-Bewerber von der Landesliste mehr zum Zuge kam.

Parteilogos von CDU und CSU

Solche Überhangmandate - also überschüssige Direktmandate - hat auch die CDU in mehreren Bundesländern erobert. Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion trotz eines insgesamt schlechteren Wahlergebnisses nun mehr Abgeordnete als zuvor. Denn wie in München-Nord hat die Union vielerorts, selbst wo sie selbst verloren hat, die Sozialdemokraten überrundet, die noch mehr verloren haben.

Eine der Folgen ist, dass die CDU nun erstmals in einem großen Landstrich überhaupt keinen Abgeordneten mehr stellt, nämlich in Nordhessen. Weil die SPD dort ihre Wahlkreise verteidigen konnte, die CDU aber im übrigen Hessen fast alle Wahlkreise erobert hat, kam von den nordhessischen Christdemokraten, die sonst über die Landesliste in den Bundestag kamen, niemand mehr zum Zuge. Für die Union, die auf ihre Verankerung in der Fläche des Landes großen Wert legt und bei der Vergabe von Posten, etwa in Bundestags-Gremien, immer sehr den Regionalproporz achtet, eine ganz neue Erfahrung.

Die Bayern sind immer noch die Stärksten

Johannes Singhammer und seine bayerischen CSU-Freunde haben noch aus einem anderen Grund Glück. Nach ihrem Einbruch bei der Wahl war schon gemunkelt worden, dass die CSU nun in der gemeinsamen Fraktion nicht mehr wie gewohnt auftrumpfen könne. Schließlich hat erstmals seit fast 60 Jahren ein CDU-Landesverband, Nordrhein-Westfalen, mehr Stimmen erringen können als die CSU in Bayern. Tatsächlich aber hat die CSU-Landesgruppe immer noch einen Abgeordneten mehr als die CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen. Denn in NRW hat die SPD so viele Wahlkreise halten können, dass für die CDU kein Überhangmandat heraussprang.

Porträt Peter Ramsauer (Foto: DW)
Peter Ramsauer, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe in der Unions-Fraktion

Neben den Landesgruppen, die in der sehr föderalistisch organisierten Union stets eine große Rolle spielen, ist die Konkurrenz von Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel ein Charakteristikum der CDU/CSU-Fraktion. Der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe, Gerald Weiß, hat nicht mehr für den Bundestag kandidiert, weshalb die Gruppe demnächst einen neuen Vorsitzenden wählen muss. Vier Bewerber stehen zur Wahl, alle von der CDU, weil die CSU traditionell in allen Fraktionsgremien den ersten Stellvertreter stellt.

Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel formieren sich

Wie stark die Arbeitnehmergruppe und andere Interessengruppen in der Fraktion sein werden, steht noch nicht fest. Die Neuen müssen sich erst noch erklären, und diesmal ist fast ein Drittel der Fraktion neu. Das sind ungewöhnlich viele, weil eben zahlreiche bisherige Listen-Abgeordnete nicht mehr zum Zug kamen, während gleichzeitig viele Wahlkreis-Bewerber erstmals den Einzug ins Parlament schafften. Der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe, Stefan Müller von der CSU, ist aber zuversichtlich, dass seine Gruppe stärker wird als in der letzten Wahlperiode.

Er wird das auch brauchen können, denn in der neuen Koalition mit den Liberalen wird es der Arbeitnehmerflügel der Union schwerer haben als im Bündnis mit den Sozialdemokraten, seine Interessen durchzusetzen. Das sieht auch der Vorsitzende des Unternehmerflügels in der Fraktion, Michael Fuchs so. Allerdings will er nicht auftrumpfen. "Wir wollen ja keine Politik gegen die Arbeitnehmer machen", sagt Fuchs, "sondern Politik für die Wirtschaft. Denn wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gut".

Tatsächlich haben Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel in der Union auch bisher nicht nur gegeneinander, sondern oft genug auch miteinander gearbeitet. So sind die steuerpolitischen Vorschläge, mit denen die Union in die Koalitionsverhandlungen mit der FDP gegangen ist, von beiden Gruppen gemeinsam erarbeitet worden. Es ist geradezu ein Erfolgsgeheimnis der Union, dass ihr immer wieder der Ausgleich zwischen den verschiedenen Flügeln und regionalen Interessen gelingt. Wohl nicht zuletzt deshalb stellt sie immer noch die stärkste Kraft im Deutschen Bundestag.

Autor: Peter Stützle

Redaktion: Dеnnis Stutе