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Chance vertan

Cornelia Rabitz10. September 2004

Am 10. September ist in Hamburg der diesjährige "Petersburger Dialog" zwischen Deutschen und Russen zu Ende gegangen. Im Schatten des Terrors wurde das Treffen den Erwartungen nicht gerecht. Cornelia Rabitz kommentiert.

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Cornelia Rabitz
Cornelia Rabitz

Die Tragödie von Beslan, die brisante Lage im Kaukasus und die Debatte um die Bekämpfung des Terrorismus lagen wie ein schwarzer Schatten über dem diesjährigen Petersburger Dialog. Vor vier Jahren war die Veranstaltung von Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder als Forum der deutsch-russischen Verständigung ins Leben gerufen worden - jetzt waren beide aufgrund der aktuellen Ereignisse nicht gekommen. Sie veröffentlichten stattdessen eine gemeinsame Erklärung, in der sie den internationalen Terrorismus verurteilten und eine stärkere Zusammenarbeit auf diesem Gebiet ankündigten.

Mit der Abwesenheit der beiden Spitzenpolitiker hatte der Dialog von vornherein an Glanz, an Bedeutung und an öffentlicher Wirkung eingebüßt. Dennoch hätte gerade deshalb die Chance bestanden, in Hamburg frei und offen über bilaterale Probleme zu diskutieren. Diese Chance wurde weitgehend vertan. Deutsche und Russen fanden in der Hansestadt plötzlich keine gemeinsame Sprache mehr. Die Atmosphäre war geprägt von Vorwürfen und Rechtfertigungen, von Gereiztheit und Beschwichtigungen. Dabei hatten die Veranstalter offenkundig auf einen harmonischen Austausch der Argumente und Ideen gesetzt - aber der Dialog entpuppte sich als schwierig, auch zwischen Menschen, die einander prinzipiell wohl gesonnen sind.

Viele russische Teilnehmer sind - wie ihr Präsident Wladimir Putin - wütend auf den Westen. Kritische Fragen zur russischen Politik werden als Angriff empfunden. Bedenken als Mangel an Solidarität. Es gibt und gab auch in Hamburg massive Vorwürfe an die Adresse westlicher - gerade auch deutscher - Medien. Antirussische Feindseligkeit hält man ihnen vor, Nachsichtigkeit gegenüber dem Terror, mangelndes Mitgefühl mit den Opfern. Beweise für all dies blieb man freilich in Hamburg schuldig. Die Tatsachen widersprechen diesen Behauptungen ohnehin. Es hat in Deutschland nach der Geiselnahme von Beslan eine Welle der Betroffenheit und Hilfsbereitschaft gegeben. Sicherlich, ein wenig mehr Einfühlungsvermögen und etwas weniger Selbstgerechtigkeit hätte man sich von manchen westlichen Medien oder Politikern zuweilen gewünscht in den letzten Tagen. Nicht alles, was über und nach Beslan geschrieben und gesagt wurde, war immer fair und vorurteilsfrei. Dennoch: Dem russischen Ansinnen, dass der Westen nun gefälligst den Mund zu halten habe, muss entschiedener Widerstand entgegengesetzt werden. Beim Petersburger Dialog war der Widerspruch kraftlos.

Nicht ausreichend gewürdigt blieb auch die brisante Ankündigung Russlands, künftig weltweit Präventivschläge gegen Terroristen durchzuführen - eine beunruhigende Erklärung, die zeigt, dass Wladimir Putin sich auf eine politische Lösung des Kaukasuskonflikts nicht einlassen will und vorrangig auf militärische Stärke setzt. Wenn er verkündet, dass seinem Land von Terroristen der Krieg erklärt worden sei, so klingt das bedrückend bekannt. Auch die USA haben schon so argumentiert. Und gehandelt. Wir wissen, wie viele Opfer diese Politik gefordert hat.

Der Petersburger Dialog wird nun seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Ist er lediglich ein schmückendes Beiwerk zu offiziellen, bilateralen Konsultationen? Ist er ein PR-Instrument der Russland-Politik des Bundeskanzlers? Oder ein kritisches Forum, in dem Defizite offen diskutiert werden?

Wenn man den Anspruch erhebt, auch die russische Zivilgesellschaft zu stärken, darf man die aktuellen Entwicklungen nicht verschweigen: die zunehmend autoritären Züge der Putinschen Politik, die Einschränkungen der Pressefreiheit, die rechtsstaatlichen Mängel. Benennt der Petersburger Dialog dies freilich offen, so wird er in der derzeitigen Lage wohl nur noch wenige Gesprächspartner in Russland finden. Es gab Stimmen in Hamburg, die genau dies forderten: Chancen zu ergreifen und jene Gesellschaftskräfte in Russland zu stärken, die für Freiheit und Menschenrechte eintreten und gerade darum die Unterstützung des Westens benötigen.