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Bürgerkrieg droht

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos18. Dezember 2006

Der Konflikt zwischen der Fatah und Hamas schadet auch Israel, sagt der israelische Politikwissenschaftler Shmuel Sandler. Mit einer Einigung der Palästinenser rechnet er nicht mehr. Ein Bürgerkrieg ist möglich.

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Ein bewaffneter Hamas-Anhänger in Gaza-Stadt
Ein Hamas-Anhänger in Gaza-StadtBild: AP

DW-WORLD.DE: Was erwarten Sie wird als nächstes zwischen der radikalen Hamas und der gemäßigten Fatah geschehen?

Shmuel Sandler: Wenn die beiden Organisationen jetzt keine Verständigung finden, wovon ich ausgehe, dann werden wir womöglich einen Bürgerkrieg bekommen. Es ist sehr schwierig vorauszusagen. Bisher war ein Bürgerkrieg das schlimmste zu erwartende Szenario. Und beide Organisationen hatten bislang einiges dafür getan, dass es nicht eintritt. Aber ich weiß nicht, wie die Hamas und Fatah nun weitermachen wollen, nachdem, was passiert ist. Die Hamas kann aus ideologischen Gründen Israel nicht anerkennen und die Fatah kann die Hamas nicht akzeptieren.

Sie halten Neuwahlen wie von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angekündigt für nicht realistisch?

In einer wirklich demokratischen Gesellschaft akzeptieren alle Seiten die Spielregeln einer Wahl. In den Palästinensergebieten ist die Möglichkeit zu verlieren jedoch sehr schwerwiegend. Wenn bei einer Neuwahl die Fatah gewinnt, wird die Hamas sagen, 'wir haben aber vorher gewonnen'. Der Fatah geht es jetzt ähnlich, weil sie meint, der Sieg der Hamas Anfang des Jahres war eine Katastrophe für die palästinensische Gesellschaft und will das Wahlergebnis nicht anerkennen.

Welche negativen Folgen hatte es bisher für Israel, dass die Hamas und Fatah noch keine gemeinsame Regierung gebildet haben?

Das ist derzeit eine eigenartige Situation, ein Nullsummen-Spiel, denn die Fehler der Palästinenser sind zu unserem Nachteil. Sie leiden und können keine stabile Gesellschaft aufbauen. Das bedeutet Chaos und das ist nicht immer gut für uns in Israel. Kurzfristig bedeutet Chaos in der palästinensischen Gesellschaft zwar, dass die Palästinenser mit sich selbst beschäftigt sind und uns nicht angreifen. Aber langfristig hilft es uns auch nicht, wenn sie keine stabile Regierung bilden können. Israel hat keinen Verhandlungspartner in den Palästinensergebieten.

Welche Lösung des Konflikts zwischen den Palästinensern wäre für Israel am Besten?

Wenn die Palästinenser eine stabile und realistische Regierung bilden, die erkennt, welche Grenzen sie hat in dem, was sie erreichen kann. Es gibt derzeit eindeutig eine Hamas-Regierung, die glaubt, sie könne nicht nur die Grenzen von 1967, sondern sogar von 1948 wieder erlangen. Aber mit dieser Regierung redet niemand.

Würden Sie eine Palästinenserregierung mit Beteiligung der Hamas akzeptieren?

Natürlich. Aber religiöse Bewegungen wie die Hamas können ihre Werte und Sichtweisen nicht ändern, sie kommen von einer überirdischen Macht. Wenn die Hamas Israels Existenzrecht anerkennt, kann ich auch die Hamas anerkennen. Aber ich rechne nicht damit, dass das passiert.

Wie soll sich die israelische Regierung im Moment verhalten: Sollte sie weiterhin Abbas von der Fatah unterstützen oder besser gar nichts tun?

Es ist kompliziert. Israel will Abbas helfen, aber jede Unterstützung von uns kann ihm auch schaden. Weil die Hamas sagen würde, er sei ein israelischer Agent. Darum denke ich, im Moment ist es das beste, wenn sich die israelische Regierung zurückhält.

Hat der israelische Regierungschef Ehud Olmert überhaupt irgendeinen Plan, wie er mit den Palästinensern umgehen soll?

Olmert hatte einen Plan, aber der hat nirgendwohin geführt. Er wollte den unilateralen Ansatz seines Vorgängers Ariel Scharon fortsetzen. Aber das ist seit dem jüngsten Libanon-Konflikt nicht mehr realistisch. Zwei einseitige Rückzüge - aus dem Gazastreifen und aus dem Libanon - haben uns nur eine Fortsetzung der Gewalt gebracht. Israels Öffentlichkeit würde kein weiteres einseitiges Vorgehen der Regierung mehr akzeptieren. Einen neuen Plan hat Olmert noch nicht, darum ist er in Schwierigkeiten. Seine gesamte Wahl war auf dem unilateralen Ansatz aufgebaut, und der ist ihm nun um die Ohren geflogen.

Professor Shmuel Sandler
Bild: Bar-Ilan University

Shmuel Sandler ist israelischer Analyst des israelisch-palästinensischen und des israelisch-arabischen Konflikts. Er ist Professor für Politikwissenschaften an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan nahe Tel Aviv und Forschungsbeauftragter am Begin-Sadat-Zentrum für Strategische Studien (BESA), das der Universität angeschlossen ist. Das BESA ist ein Thinktank für Strategie- und Sicherheitsfragen für Israel und den Nahen Osten.