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Vorwahlchaos in Ägypten

Anne Allmeling24. April 2012

Einen Monat vor der Präsidentenwahl in Ägypten bleibt die Lage im Land unübersichtlich. Nach dem Ausschluss von zehn Kandidaten regt sich immer mehr Widerstand gegen den regierenden Militärrat.

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Demonstration am Jahrestag der Revolution auf dem Tahrir Platz in Kairo (Foto: reuters)
Demonstration am Jahrestag der Revolution auf dem Tahrir Platz in KairoBild: Reuters

Seit gut einem Jahr ist der Oberste Militärrat an der Macht, und mittlerweile scheint es, als habe er so gut wie alle Ägypter gegen sich aufgebracht: die revolutionäre Jugend vor allem, die wütend ist, weil die alten Eliten immer noch die Geschicke des Landes bestimmen. Aber auch die Älteren sind unzufrieden. Einer Umfrage zufolge sehnt sich die schweigende Mehrheit der Ägypter wieder nach einer autoritären Figur an der Staatsspitze - eine Folge von monatelangem Chaos im Land.

Selbst die Salafisten, die bei den Parlamentswahlen überraschend ein Fünftel der Wählerstimmen gewinnen konnten, sind aufgebracht: Ihr Kandidat wurde von der Präsidentenwahl ausgeschlossen. Die Muslimbrüder, die sich mit Kritik am Militärrat bislang zurückhielten, äußern inzwischen ebenfalls öffentlich ihr Unbehagen: Zum ersten Mal seit vielen Monaten standen sie am vergangenen Freitag wieder gemeinsam mit Liberalen und Jugendgruppen auf dem Tahrir-Platz, um unterschiedliche politische Reformen einzufordern.

Zehn Kandidaten disqualifiziert

Dabei hatten ursprünglich nur die liberalen Gruppen zu einer Demonstration aufgerufen. Sie wollen erreichen, dass bei der Präsidentenwahl am 23. und 24. Mai kein Kandidat aus der Ära Mubarak in das höchste Staatsamt gelangt. Die Wahlkommission hat bereits zehn von insgesamt 23 Kandidaten aus formalen Gründen disqualifiziert. Zugelassen hat die Kommission dagegen die Kandidatur mehrerer Politiker, die schon unter Mubarak hohe Ämter innehatten. Dazu zählen der frühere Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, der zehn Jahre lang Außenminister unter Mubarak war, und der letzte Regierungschef unter Mubarak, Ahmed Schafik.

Chairat al-Schater (Foto: Reuters)
Dem Muslimbruder Chairat al-Schater wurden Chancen auf das Amt des Präsidenten ausgerechnetBild: rtr

Von einer Kandidatur ausgeschlossen wurden der Muslimbruder Chairat al-Schater, weil er zu Mubaraks Zeiten mehrfach verurteilt worden war, sowie der Salafist Hasem Abu Ismail - weil die Behörden festgestellt hatten, dass seine Mutter mittlerweile die US-amerikanische Staatsbürgerschaft hat. Abu Ismail bestreitet das. Salafisten und Muslimbrüder beteiligten sich daraufhin kurzfristig an der Demonstration gegen den Militärrat.

"Dass mehrere Kandidaten schon vor dem Rennen um die Präsidentschaft disqualifiziert wurden, schadet dem islamistischen Lager am meisten", sagt Annette Ranko, Ägypten-Expertin des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Abu Ismail und al-Schater gehörten bislang zu den aussichtsreichsten Kandidaten. Die Muslimbrüder schicken nun ihren Ersatzmann Mohammed Mursi als Kandidaten ins Rennen. "Das ist ein geschickter Zug der Muslimbruderschaft", sagt Ranko. "Mursi ist erzkonservativ. Deswegen besteht die Möglichkeit, dass sich auch die salafistischen Wähler mit ihm identifizieren können."

Heimliche Kooperation?

Der Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni von der Freien Universität Berlin sieht in diesem Schachzug der Muslimbrüder ein Indiz dafür, dass sie mit dem Militärrat an einem Strang ziehen – zumindest dann, wenn es ihnen nutzt. "Die Muslimbrüder haben gesagt: Wir werden niemals einen eigenen Kandidaten aufstellen", sagt El-Aouni. "Und siehe da: Sie haben sogar zwei oder drei. Und sie sagen: Wir sind gegen den Militärrat, weil die Legitimation vom Volke her kommen muss. Aber sie tun nichts, was das Militär wirklich ärgern könnte."

Hasem Abu Ismail (Foto: dpa)
Der Kandidat der Salafisten, Hasem Abu Ismail, wurde aus formalen Gründen disqualifiziertBild: picture-alliance/dpa

Dass auch sie jetzt gegen das Militär demonstrierten, lässt El-Aouni nicht gelten. "Die Muslimbrüder taktieren und spielen ein doppeltes Spiel", sagt der Nahost-Experte, der in Tunesien geboren wurde und seit 40 Jahren in Deutschland lebt. "Sie haben sich im letzten Augenblick dafür entschieden, an der Freitagsdemonstration teilzunehmen, weil sie den Tahrir-Platz besetzt halten wollten. Sie wollten verhindern, dass die ägyptische Öffentlichkeit sieht, wie viele Leute gegen sie mobilisiert werden könnten. Durch ihre eigene Beteiligung haben sie das unmöglich gemacht."

Unterstützung aus Saudi-Arabien

Die Nähe zu den Salafisten kommt den Muslimbrüdern dabei offenbar zugute. "Die Muslimbrüder brauchen die Salafisten, um sich als moderat zu verkaufen", sagt der Politikwissenschaftler. "Die Salafisten spielen eine Alibi-Funktion für die Muslimbrüder. Deshalb erscheinen sie nur sporadisch, wenn die Muslimbrüder sie brauchen." Unterstützung erhielten die beiden islamistischen Gruppierungen außerdem von Saudi-Arabien. Das ist für El-Aouni eindeutig: "Am Freitag haben die Muslimbrüder zum ersten Mal saudische Fahnen gehisst – öffentlich. Der Tahrir-Platz war voll davon. Das heißt: Saudi-Arabien ist der Strippenzieher." Der Golf-Staat wolle seinen Einfluss in Ägypten ausweiten und das eigene Land vor einer Revolution schützen, meint El-Aouni. Die Islamisten in Ägypten profitierten von der finanziellen Unterstützung aus Saudi-Arabien.

Menschen stehen vor Fernsehgeräten, auf denen Abdel Moneim Abdul Futuh zu sehen ist (Foto: AP/dapd)
Aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat: Abdel Moneim Abdul FutuhBild: dapd

Zwei Islamisten zählt Annette Ranko zu den vier aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten: Mohammend Mursi, den Ersatzkandidaten der Muslimbrüder, und Abdel Moneim Abdul Futuh, der früher ebenfalls der Muslimbruderschaft angehörte, nun aber unabhängig von ihr kandidiert. Aber auch den beiden Mubarak-Weggefährten Amr Mussa und Ahmed Schafik rechnet Ranko Chancen aus.

Hamadi El-Aouni ist mit Blick auf die Präsidentenwahl wenig optimistisch. "Egal, wer Präsident wird – er wird kein Gewicht haben", sagt er. "Deshalb sprechen ägyptische Intellektuelle und Verfassungsrechtler immer öfter von der Option eines Präsidialrates. Das könnten vier Präsidenten sein, ein Vorsitzender und drei Stellvertreter, die vielleicht für ein Jahr das Land leiten – bis zu einer neuen Verfassung und wiederum neuen Wahlen."