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"Charlie Hebdo" provoziert mit Sonderausgabe

6. Januar 2016

Mit einer Sonderausgabe erinnert das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" an den Anschlag islamistischer Terroristen vor knapp einem Jahr. Das provokative Cover ruft bereits vor dem Erscheinen Kritik hervor.

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Titel Schriftzug des Satiremagazins "Charlie Hebdo" (Foto: picture-alliance/dpa/MAXPPP)
Bild: picture-alliance/dpa/MAXPPP

Die Titelseite des Sonderhefts präsentiert Gott als Täter: Auf der Zeichnung von Zeitungschef Laurent Sourisseau, alias Riss, ist ein blutverschmierter, bärtiger Gott mit einer umgehängten Kalaschnikow zu sehen, dazu der Text: "Ein Jahr danach: Der Mörder ist noch immer auf der Flucht."

"Für uns kommt Selbstzensur nicht in Frage"

Die Sonderausgabe folgt damit der Tradition des Blattes: Beißende Religionskritik war und ist Programm bei "Charlie Hebdo". Die Satirezeitung sieht sich als Speerspitze im Kampf gegen religiösen Fundamentalismus und für die Laizität. Das brachte dem Blatt und seinen Machern in der Vergangenheit eine Reihe von Prozessen und Drohungen ein.

Ein Grafito auf dem ehemaligen Redaktionsgebäude von "Charlie Hebdo" zeigt die getöteten Zeichner Honore, Wolinski, Cabu, Charb und Tignous (v. l.) (Foto: picture-alliance/abaca/A. Apaydin)
Ein Grafito zeigt die getöteten Zeichner Honore, Wolinski, Cabu, Charb und Tignous (v. l.)Bild: picture-alliance/abaca/A. Apaydin

"Für uns kommt Selbstzensur nicht in Frage, sonst haben sie gewonnen", betonte "Charlie Hebdo"-Finanzdirektor Eric Portheault ein Jahr nach dem Anschlag in Paris. Am 7. Januar 2015 hatten zwei Islamisten die Redaktionsräume der für ihre Mohammed-Karikaturen bekannten Satirezeitung gestürmt und mit Kalaschnikow-Schnellfeuerwaffen das Feuer eröffnet. Die Attentäter töteten zwölf Menschen, unter ihnen die bekannten Zeichner Stéphane Charbonnier (Charb), Jean Cabut (Cabu), Bernard Verlhac (Tignous), Philippe Honoré und Georges Wolinski. Bei Folgeanschlägen von Islamisten starben in Paris bis zum 9. Januar fünf weitere Menschen.

Vatikan-Zeitung kritisiert Sonderausgabe

In der französischen Hauptstadt strömten damals trauernde Menschen zum Place de la République, der Solidaritätsspruch "Je suis Charlie" ging um die Welt. Die eine Woche nach den Anschlägen herausgebrachte Ausgabe der überlebenden Karikaturisten wurde fast acht Millionen Mal verkauft - ein Rekord in der französischen Pressegeschichte. Die Zahl der Abonnenten des wöchentlich erscheinenden Satiremagazins stieg in kurzer Zeit von 10.000 auf mehr als 200.000. Aktuell verkauft "Charlie Hebdo" etwa 100.000 Zeitungen pro Woche, davon etwa 10.000 außerhalb Frankreichs. Die Sonderausgabe zum Jahrestag des Attentats erscheint als Doppelausgabe mit 32 statt 16 Seiten in einer Auflage von einer Million Exemplaren.

Solidaritätsbekundung nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" im Januar 2015: Menschen halten Plakate mit der Aufschrift "Je suis Charlie" in die Höhe (Foto: picture-alliance/abaca/A. Apaydin)
Solidaritätsbekundung nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" im Januar 2015Bild: picture-alliance/dpa

Doch bereits vor dem Erscheinen des Sonderhefts am heutigen Mittwoch wurde das provokante Cover kritisiert. Die Zeitung verletze die Gefühle der Gläubigen unabhängig von deren Religion, hieß es in einem Kommentar der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano". Hinter der "trügerischen Fahne eines kompromisslosen Laizismus" vergesse "Charlie Hebdo" einmal mehr, dass religiöse Führer egal welchen Glaubens immer wieder dazu aufriefen, Gewalt im Namen der Religion zu verurteilen. "Gott zu nutzen, um Hass zu rechtfertigen, ist echte Gotteslästerung, wie Papst Franziskus mehrfach gesagt hat", hieß es weiter.

"Charlie Hebdo"-Gedenktafeln in Paris enthüllt

Derweil veröffentlicht Reporter ohne Grenzen (ROG) zum Jahrestag des Attentats einen 32-seitigen Bericht mit dem Titel "Dschihad gegen Journalisten". ROG wirft islamistischen Gruppierungen die gezielte Verfolgung kritischer Journalisten vor. Der sogenannte "Islamische Staat" (IS) bezeichne kritische Journalisten offen als militärische Ziele und stelle sie auf eine Stufe mit feindlichen Kämpfern, erklärte der Geschäftsführer der deutschen Sektion von ROG, Christian Mihr, in Berlin.

Frankreichs Präsident Francois Hollande enthüllt eine Gedenktafel am ehemaligen Redaktionsgebäude von "Charlie Hebdo" (Foto: Reuters/B. Tessier)
Präsident Hollande enthüllt eine Gedenktafel am ehemaligen Redaktionsgebäude von "Charlie Hebdo"Bild: Reuters/B. Tessier

In Paris wurde bereits am Dienstag der Opfer der Anschläge vom Januar 2015 gedacht. Staatschef François Hollande enthüllte drei Gedenktafeln zu Ehren der Toten am früheren Sitz der "Charlie Hebdo"-Redaktion sowie an zwei weiteren Anschlagsorten. Gemeinsam mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo gedachte Hollande jeweils für einige Minuten der Opfer.

"Charlie Hebdo" fühlt sich im Stich gelassen

Die rund 20-köpfige Redaktion von "Charlie Hebdo", die inzwischen in einem neuen Gebäude unter geheimer Adresse arbeitet, fühlt sich nach den großen Solidaritätsbekundungen inzwischen dennoch wieder allein gelassen als Verfechterin des freien Wortes. "Wir fühlen eine himmelschreiende Einsamkeit: Niemand macht, was wir machen, und verteidigt republikanische Werte wie die Laizität bis zum Ende", beklagte Finanzdirektor Portheault. "Niemand schließt sich uns in diesem Kampf an, denn er ist gefährlich. Man kann sterben."

ww/jj (afp, dpa, epd)