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Eklat bei Trauerfeier

12. Dezember 2006

Die chilenische Rechte hat den Tod des früheren Diktators Augusto Pinochet für eine überraschend selbstbewusste Demonstration ihrer Macht genutzt. Bei der Trauerfeier kam es zu einem Eklat.

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Marco Antonio Pinochet, Sohn des Ex-Diktators, mit Ehefrau und Tochter (Quelle: AP)
Marco Antonio Pinochet, Sohn des Ex-Diktators, mit Ehefrau und TochterBild: AP
Geschützlafette vor Pinochets Sarg (Quelle: AP)
Der Trauerzug - vom Militär begleitetBild: AP

Beobachter in Santiago äußerten sich überrascht über diese "Wiederkehr" der öffentlichen Begeisterung für Pinochet und sein rechtes Gedankengut. Es war die größte Demonstration für Pinochet seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie vor 16 Jahren. Niemals zuvor bekannten sich derart viele vor allem auch junge Chilenen in Freiheit zu der Gewaltherrschaft, die Pinochet nach dem Putsch am 11. September 1973 gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende errichtet und erst 17 Jahre später beendet hatte.

Zehntausende Menschen warteten stundenlang, um dem in der Offiziersschule in der Hauptstadt Santiago aufgebahrten früheren Despoten die letzte Ehre zu erweisen. Die Angehörigen und besonders treue rechte Anhänger des Generals im Ruhestand sorgten zudem bei der Trauerfeier am Dienstag für einen Eklat, der das demokratische Chile herausfordert.

Pinochet-Familie widersetzt sich Präsidentin Bachelet

Obwohl die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet ein Staatsbegräbnis in Absprache mit dem Chef der Streitkräfte, General Oscar Izurieta, ausdrücklich verboten hatte, funktionierten Familienmitglieder die Trauerfeier kurzerhand um. Ein Enkel legte über den Sarg eine Präsidentenschärpe und sagte bei einer nicht eingeplanten Rede, hier werde von "einem Präsidenten" Abschied genommen. Die von Bachelet entsandte Verteidigungsministerin Vivianne Blanlot wurde in dem Gotteshaus mit Buhrufen und Pfiffen bedacht.

Pinochet-Anhänger warten auf die Ankunft des Sarges (Quelle: AP)
Bild: AP

Vor dem Gebäude hatten sich etwa 4000 besonders treue Anhänger Pinochets versammelt. "Pinochet war kein Diktator, sondern ein Revolutionär, der Chile wahre Demokratie und Wohlstand gebracht hat", sagte ein 32-Jähriger. Journalisten, die zu aufdringlich nach den Menschenrechtsverbrechen Pinochets fragten, wurden beschimpft, angegriffen und mit Flaschen sowie anderen Gegenständen beworfen. Ein Foto von drei jungen Leuten, die am offenen Sarg mit zum Hitlergruß erhobenen Armen zu sehen waren, wurde in fast allen Zeitungen abgedruckt.

Der Tyrann ist tot, Allende lebt

Eine Frau hält ein Bild von Salvador Allende in Händen (Quelle: AP)
Allende-Anhänger demonstrieren gegen den Ex-Diktator PinochetBild: AP

Die Terror- und Willkürherrschaft, die Ausschaltung des Rechtsstaates und die gnadenlose Verfolgung aller Andersdenkenden wird auch heute noch von vielen Chilenen als hinnehmbarer Preis für die Durchsetzung politischer Ziele angesehen. Aber auch die Linke ist kaum zu dem Eingeständnis fähig, dass der Versuch Allendes, mit nur 36 Prozent der Stimmen in einem eher konservativen Land wie Chile mitten in der Vietnamkriegszeit und angesichts des Ost-West-Konflikts eine sozialistische Revolution durchzuboxen, höchst riskant war.

In der Innenstadt Santiagos ehrten unterdessen mehrere tausend Menschen den beim Pinochet-Militärputsch 1973 gestürzten sozialistischen Präsidenten Allende. Er hatte sich angesichts der ausweglosen Lage am selben Tag das Leben genommen. Auf Transparenten war zu lesen: "El tirano murió, Allende vive" (Der Tyrann ist tot, Allende lebt). (je)