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Erster Gipfel der BRIC-Staaten in Russland

18. Juni 2009

Die BRIC-Staaten haben bei ihrem Gipfel in Jekaterinburg ein diversifiziertes Weltwährungssystem sowie mehr Mitspracherechte bei IWF und UN gefordert. Die DW sprach mit Markus Jäger von Deutsche Bank Research.

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BRIC-Gipfel in JekaterinburgBild: AP

Deutsche Welle: Wie groß sind die Unterschiede zwischen den vier BRIC-Ländern Brasilien, Russland, Indien und China?

Deutsche Bank Research Mark Jaeger
Markus JägerBild: privat

Markus Jäger: Sehr groß. Wenn man sich beispielsweise Wirtschaftsgröße und Bruttosozialprodukt gemessen auf der Basis von Kaufkraftparitäten ansieht, dann ist China weit mehr als zweimal so groß wie Indien, mehr als dreimal so groß wie Russland und fast viermal so groß wie Brasilien. Chinas Volkswirtschaft ist größer als die anderen drei BRIC-Länder zusammengenommen! Auch was die Bevölkerungsgröße angeht, ist China beinahe zehnmal so groß wie Russland und sechsmal so groß wie Brasilien. Es gibt auch sehr große Unterschiede was das Pro-Kopf-Einkommen anbetrifft. Da haben Russland und Brasilien klar die Nase vorn. Russlands Pro-Kopf-Einkommen ist fast dreiMal so hoch wie das Chinas. Das sind große Unterschiede, die auch Implikationen für das zukünftige wirtschaftliche Wachstum haben. Was die zukünftige Wirtschaftsgröße anbetrifft, ist klar, dass China aufgrund der Tatsache, dass es schon jetzt eine viel größere Volkswirtschaft ist als die anderen BRICs und weiterhin viel stärker wachsen, also die anderen BRIC-Länder in den Schatten stellen wird. Es wird seinen Vorsprung, was die Größe der Volkswirtschaft betrifft, über die kurze und mittlere Frist weiter ausbauen.

Und wieso meinen Sie, dass Russland weniger Wachstumschancen hat als China?

Also ich glaube, die Frage müsste man anders herum stellen. Wieso wächst China so viel stärker als die anderen BRICs? Denn Russland, sowie auch Indien und selbst Brasilien, haben sehr gute Wachstumsraten in den letzten Jahren verzeichnet. Ein Teil der Antwort, wieso China viel schneller gewachsen ist und auch weiterhin stärker wachsen wird, hat unter anderem mit strukturellen Faktoren wie Demografie, Verstädterung, Investitionsverhalten und Öffnungsgrad der Wirtschaft zu tun. Zum Beispiel ist China auf Pro-Kopf-Basis ein ärmeres Land als Russland. Das macht es potenziell einfacher, schnelles Wirtschaftswachstum zu generieren, vorausgesetzt man verfolgt die richtige Wirtschaftspolitik. Auch wenn Sie sich die Verstädterung in den vier BRIC-Ländern ansehen, dann sehen Sie, dass sowohl Brasilien als auch Russland schon sehr verstädtert sind. Also in anderen Worten: Die überwiegende Mehrzahl der Russen und der Brasilianer leben schon in Städten. Ein relativ "einfaches" Wachstum kann man dadurch erreichen, dass man Arbeitskräfte aus dem landwirtschaftlichen Sektor in den städtischen Industriesektor, der von höherer Produktivität gekennzeichnet ist, integriert. Diese Art von Wachstum ist aufgrund des hohen Grades der Verstädterung in Russland und in Brasilien nicht mehr oder nur sehr viel schwieriger zu generieren. In Indien und China hingegen lebt immer noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung in ländlichen Gegenden. Insofern ist es sowohl für China als auch für Indien einfacher, Wirtschaftswachstum zu erzeugen als für Brasilien und Russland. Es gibt andere wichtige strukturelle Faktoren, die ebenfalls vor allem China zu den anderen drei BRIC-Ländern favorisieren. Dazu gehören Spar- und Investitionsverhalten, der Öffnungsgrad der Volkswirtschaft, unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen, Bildungssysteme etc.

Wenn man Ihrer Logik folgt, dann stellt sich heraus, dass es Sinn machen würde den Begriff BRIC durch ein BRI zu ersetzen?

Ja, da haben Sie Recht. Vielleicht sollten wir einfach von den BRI-Ländern sprechen und das C einfach rauslassen. Natürlich sind Brasilien, Indien und Russland sehr wichtige Länder, deren Gewicht in der Weltwirtschaft zunehmen wird. Das gilt auch in verschiedenem Ausmaße, was das politische Gewicht betrifft. Aber China ist wirklich "a class of its own" unter den BRICs. Wenn Sie heute Washington besuchen, ist klar, dass den Beziehungen mit den BRIC-Ländern wachsende Bedeutung beigemessen wird. Klar ist ein Land wie Russland aus Washingtons Sicht sehr wichtig, vor allem was strategische und politische Fragen anbetrifft. Ähnliches gilt auch für Indien. Aber im wirtschaftlichen Bereich ist ganz klar, dass China als das wichtigste Land angesehen wird - nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass China einen nicht insignifikanten Teil der amerikanischen Staatsschulden finanziert. Auch die Bedeutung des Handels und natürlich vor allem des bilateralen Handelsdefizits zwischen China und den USA sind von größerer wirtschaftlicher und letztlich auch politischer Bedeutung als die Bedeutung der bilateralen Handelsbeziehungen mit den anderen drei BRIC-Ländern. Es mag sein, dass das in der EU wieder anders aussieht. Für Brüssel ist die wirtschaftliche Entwicklung Russlands derzeit wahrscheinlich wichtiger als der Aufstieg Chinas. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass China schon heute die drei anderen BRIC-Länder weit in den Schatten stellt und seinen Vorsprung bezüglich seiner globalen wirtschaftlichen Bedeutung weiterhin ausbauen wird. Mittel- und langfristig wird dies auch von enormer politischer Bedeutung sein, und da stellt sich dann in der Tat die Frage, ob man das C in den BRIC nicht in eine separate Kategorie packen sollte.

Autor: Andrey Gurkov
Redaktion: Christina Hoewelhans / Markian Ostaptschuk