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China und die Folgen: Was darf Auswärtige Kulturpolitik?

15. April 2011

Erregte Debatte - der Künstler Ai Wei Wei ist verhaftet. Und Deutschland zeigt weiter seine Mega-Ausstellung in China. Da stellt sich die Grundsatzfrage: Was darf Auswärtige Kulturpolitik?

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Das Chinesische Nationalmuseum (Copyright: DW-TV Kultur 21)
Nationalmuseum in Peking

Es hatte alles so schön angefangen. Dass die drei größten deutschen Museen eine Mega-Ausstellung ausgerechnet zur "Kunst der Aufklärung" im Chinesischen Nationalmuseum zeigen durften, war eine kulturpolitische Sensation, in jahrelanger Arbeit vorbereitet. Und die beteiligten Direktoren aus Dresden, Berlin und München achteten peinlich genau darauf, sich auf ihre Arbeit im Dienste der Kultur zu beschränken: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Politik zu machen", hieß es noch kurz vor der Ausstellungseröffnung.

Kultur in der politischen Auseinandersetzung

Und nun das. Nachdem der international renommierte Künstler Ai Wei Wei kurz nach Beginn der Mega-Schau verhaftet wurde, ist die schöne Kultur mitten in der politischen Auseinandersetzung gelandet. Allerdings nicht in China, wo das Publikuminteresse an der Schau bislang eher spärlich ist, sondern in Deutschland.

Architekturentwurf des National Museum of China © CABR Architectural Design Institute, GMP International
Stein des Anstoßes: Die deutsche Ausstellung zur Kunst der Aufklärung im Chinesischen Nationalmuseum geht trotz der Verhaftung Ai Wei Weis weiterBild: CABR Architectural Design Institute, GMP International

Hier nämlich ist eine Debatte entbrannt, die sich nicht nur um die Ausstellung dreht, sondern auch um die grundsätzliche Frage, was Kulturpolitik tun darf, soll oder muss - in Ländern, deren Regierungen sich weder um Menschenrechte noch um Kunstfreiheit scheren. Denn auch in anderen Fällen ist zu entscheiden, wie viel Dialog, wie viel Abgrenzung es denn sein soll. Wo immer sich Diktaturen gerne mit ausländischer Prominenz schmücken, gerät man schnell in die Schusslinie, sobald man sich dort kulturpolitisch engagiert.

"Kulturboykott absurd"

Roberto Ciulli zum Beispiel ist Intendant des Theaters an der Ruhr, das in Deutschland entschieden für multikulturelles Theater und internationale Kooperationen steht. Immer wieder hat Ciulli in Ländern wie Iran, Irak oder Tunesien gearbeitet. Sich von dort zurückzuziehen, käme für ihn niemals in Frage. "Jede Art von Boykott geht auf die Kosten der Menschen, nicht des Regimes", sagt er. Besonders absurd erscheint ihm ein kultureller Boykott: "Mit Theater, Museen oder Ausstellungen kommen wir direkt an die Menschen heran. Wir sind beispielsweise seit zwölf Jahren im Iran aktiv, egal, was da politisch los ist. Und seit zwölf Jahren haben wir die Möglichkeit, mit der Gesellschaft dort in einen Dialog zu kommen."

Roberto Ciulli, Intendant des theatersd an der Ruhr (Foto: picture-alliance / KPA/Gado)
Im Iran aktiv: Roberto CiulliBild: picture-alliance / KPA

Im geschützten Raum des Theaters sind tatsächlich immer Gespräche möglich, die kein Regime verhindern kann. Über Politik und Kunst, über Freiheiten und alternative Lebensentwürfe. Dass sich die iranische Regierung damit brüsten könnte, dass der prominente Intendant aus Deutschland zu einem offiziellen Festival anreist, fürchtet Ciulli nicht: Künstler und Publikum, sagt er, hungern nach Kultur aus dem Westen. Ihm ist es sogar gelungen, Lorcas Drama "Bernarda Albas Haus", ein Aufschrei gegen religiöse und gesellschaftliche Unterdrückung, mit iranischen Schauspielerinnen in Teheran zu inszenieren – der iranischen Zensur zum Trotz. Für Publikum und Künstlerinnen ein vehementes politisches Statement.

Vorsicht in der Nähe der Macht

Bernd M. Scherer, Intendant Haus der Kulturen der Welt, Berlin (Foto: Peter Adamik)
Distanz zur Macht: Bernd M. SchererBild: Peter Adamik

Doch ein Balanceakt ist fast immer zu leisten, wenn man Kooperationen mit unfreien Ländern anstrebt. Bernd M. Scherer leitet das Berliner Haus der Kulturen der Welt, das zu den wichtigsten Plattformen des Kulturaustauschs in Deutschland zählt. Er fordert ein klares Bewusstsein dafür, mit wem man es in der Kulturpolitik zu tun hat: "Es ist überhaupt die erste Frage, ob man einen Dialog auf einer offiziellen Ebene anstrebt. In dem Moment, wo ich mich in die direkte Atmosphäre der staatlichen Macht begebe und nicht mehr differenziert auf der Ebene von Künstlern agiere, sind die Gefahren der politischen Einflussnahme natürlich bedeutend größer." Sein Credo lautet daher, den direkten Kontakt zu den Künstlern zu suchen, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, was politisch sinnvoll und möglich ist – auch um sie vor Repressionen im eigenen Land zu schützen.

Zu Werten stehen, sich nicht verstecken

Um Kontakte mit der staatlichen Macht kommt man beim Goethe-Institut, dem größten Akteur der Auswärtigen Kulturpolitik in Deutschland, überhaupt nicht herum. Allein die Organisation von Deutschland-Jahren – wie zuletzt etwa in Vietnam, wo zahlreiche Dissidenten inhaftiert sind – ist ohne Aktionen auf höherer politischer Ebene gar nicht möglich. Dennoch sieht man bei "Goethe" Möglichkeiten, auch mit repressiven Regierungen umzugehen, die sich gerne mit Auslands-Kultur schmücken.

Björn Luley, Leiter des Goethe-Instituts Damaskus (Copyright: Goethe-Institut Damaskus)
Zu Werten stehen: Björn LuleyBild: Goethe-Institut Damaskus

Björn Luley etwa, Direktor des Goethe-Instituts Damaskus, hat seit vielen Jahren Erfahrungen auf diesem heiklen Parkett. Seiner Ansicht nach kann man den Wunsch nach internationaler Anerkennung von Regimes "ruhig befriedigen, wenn das Gastland sich entsprechend beteiligt". Etwa, wenn es um große internationale Ausstellungen geht. Allerdings nur unter einer Bedingung: "So etwas sollte man zum Anlass nehmen, Äußerungen von sich zu geben, in denen man die Werte hochhält, für die man steht und die in solchen Gastländern oft mit Füßen getreten werden. Für diese muss man geradestehen und sich nicht hinter irgendwelchen diplomatischen Freundlichkeiten verstecken!" Gerade das aber haben beim Auftritt der deutschen Museen in China viele vermisst.

Präsenz zeigen und Position beziehen, lautet die Devise beim Goethe-Institut. Ein Rückzug aus problematischen Ländern, so Björn Luley, sei nicht sinnvoll, sondern könnte sogar kontraproduktiv sein. "Ich glaube, dass die Möglichkeit, Druck auszuüben, nicht so furchtbar groß ist, und ich weiß auch nicht, ob es unbedingt so klug ist. Aber ich glaube, man kann mit Phantasie, mit ein bisschen Witz, mit einer sehr guten Vernetzung mit Partnern in den Ländern sehr vieles erreichen."

Der Künstler Ai Weiwei steht am Freitag in seinem Kunstwerk "Rooted Upon", das aus Baumstämmen besteht. (Foto: Tobias Hase dpa/lby +++(c) dpa - Report+++)
Seine Verhaftung brachte die Debatte in Gang: Ai Wei Wei, hier mit seiner Arbeit "Rooted Upon" 2009 in MünchenBild: picture alliance/dpa

Vernetzung vor Ort

Und so setzt "Goethe" auch weiterhin auf Kontakte mit der lokalen Kulturszene und auf langfristige, oft mühsame Basis-Arbeit. Schnelle Ergebnisse sind davon nicht zu erwarten, aber es kann auch nicht die Aufgabe deutscher Kulturpolitik sein, Revolutionen anzuzetteln oder Umstürze zu initiieren. Wie viel und was von den Werten, die per Kulturarbeit transportiert werden können, überhaupt angenommen wird und in die Entwicklung von Zivilgesellschaften einfließt, ist letztlich immer eine Angelegenheit der Partner vor Ort.

Absurde Debatte?

Von der Debatte indessen, die durch die China-Ausstellung nun losgetreten wurde, sieht man sich beim Goethe-Institut bestätigt in der Politik, Geld verstärkt in dauerhafte Entwicklungen fließen zu lassen statt in glanzvollen Kultur-Export, den im Zweifel autoritäre Regierungen instrumentalisieren könnten. Doch man darf auch einmal fragen, wie sinnvoll überhaupt die erregte deutsche Debatte zur Auswärtigen Kulturpolitik ist - angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen mit einem Land wie China. "Während wir darüber sprechen, inwieweit Kultur sich manipulieren oder benutzen lässt, vergessen wir, dass in all diesen Ländern mit viel Geld Geschäfte gemacht werden", moniert Theatermann Roberto Ciulli. "In der Kultur werden offiziell – in Relation gesehen - nicht mal Pfennige investiert in diesen Ländern. Es müsste genau umgekehrt sein! Man muss unbedingt dafür kämpfen, dass viel mehr in die Kultur investiert wird, damit wir viel präsenter sind in diesen Ländern - und viel weniger mit der Wirtschaft!"

Autorin: Aya Bach
Redaktion: Petra Lambeck