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Chinas Allmacht über seine Bürger

Christoph Ricking 4. Mai 2012

Mit Willkürmaßnahmen gegen Dissidenten verstößt China gegen seine eigenen Gesetze. Ein Beispiel dafür bietet der Umgang mit dem Bürgerrechtler Chen Guangcheng.

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Bild: AP

Seit 1999 steht das Wort "Rechtsstaat" in der chinesischen Verfassung. In Artikel fünf heißt es: "Die Volksrepublik China praktiziert eine auf Gesetze gestützte Regierung und errichtet einen sozialistischen Rechtsstaat." Im Umgang mit politisch Andersdenkenden setzt dieser sozialistische Rechtsstaat jedoch nach wie vor auf Willkür.

Der blinde Bürgerrechtler Chen Guangcheng hat dies am eigenen Leib zu spüren bekommen. 2006 verurteilte ihn ein Gericht zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe wegen angeblicher Untergrabung der Staatsgewalt. Nach der Entlassung aus der Haft 2010 kam er jedoch nicht frei. Die Behörden stellten ihn und seine Familie unter Hausarrest. Mehrere hundert Sicherheitskräfte hatten den blinden Bürgerrechtler rund um die Uhr überwacht. Mehrfach verprügelten ihn die Wachleute. In einer Nacht- und Nebelaktion floh Chen in die US-Botschaft in Peking und löste damit eine diplomatische Krise zwischen den USA und China aus. Vergangene Woche (02.05.2012) verließ er die Botschaft, offenbar unter massivem Druck der chinesischen Behörden. Drei Tage später signalisierte die Regierung in Peking, dass sie einer Ausreise in die USA zustimmen könnte.

Der chinesische Strafverteidiger und Menschrechtsanwalt Zhang Sizhi wirft den chinesischen Behörden Willkür vor. "Im Fall Chen Guangcheng, vom Gerichtsprozess bis zur aktuellen diplomatischen Krise, haben gewisse Beamte eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, die sowohl verfassungswidrig als auch gesetzwidrig sind."

Hausarrest ohne Gesetzesgrundlage

Besonders oft stellen die chinesischen Behörden politische Gegner unter Hausarrest. Dissidenten, die unter Hausarrest stehen, dürfen ihre Wohnung nur unter Polizeischutz verlassen. Zwar gibt es in der chinesischen Strafprozessordnung eine juristische Grundlage für Hausarrest, jedoch nur in ganz engen Grenzen. Nur wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht und ein Ermittlungsverfahren läuft, sei Hausarrest als eine Art milde Untersuchungshaft nach chinesischem Gesetz möglich, erklärt Björn Ahl, Experte für chinesisches Recht an der Universität Köln. "Hausarrest, wie er durchgeführt wird gegenüber politischen Dissidenten, beispielsweise dass Einkaufen und so weiter immer nur mit Polizeischutz stattfinden kann, diese Schikanen sind vom Strafprozessrecht nicht gedeckt." Mit anderen Worten: Chen Guangcheng wurde ohne gesetzliche Grundlage fast zwei Jahre lang gefangen gehalten.

Das Haus von Chen Guangcheng in der chinesischen Provinz Shandong
Chen Guangchengs Haus steht lange unter strenger Beobachtung.Bild: YouTube

Sippenhaft

Die willkürliche Gefangennahme betrifft nicht nur die Dissidenten selbst, sondern auch ihre Familien. Chen stand gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern unter Hausarrest. Auch die Ehefrau des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, Liu Xia, steht seit 2010 unter der ständigen Aufsicht der Behörden. "Das ist eine Art Sippenhaft", sagt Björn Ahl. "Im Vorgehen gegen Dissidenten oder gegen Andersdenkende sind die Einschüchterung der Familie oder auch die Bedrohung des Einzelnen leider normale Vorgehensweisen. Dafür gibt es natürlich keinerlei rechtliche Grundlage."

Chen Guangcheng, links, verlässt die US-Botschaft in Peking.
Chen Guangcheng verließ letzte Woche die US-Botschaft und wurde in ein Krankenhaus gebracht.Bild: dapd

Chen fordert Untersuchung

Chen Guangcheng hat mittlerweile die Regierung in Peking aufgefordert, die für seinen illegalen Hausarrest verantwortlichen Behörden in der Provinz Shandong zur Rechenschaft zu ziehen. "Die Zentralregierung muss beweisen, dass sie nicht hinter meiner Behandlung in Shandong stand", sagte Chen am Mittwoch (9.5.2012) der Nachrichtenagentur AFP. Sollte die Regierung in Peking keine Untersuchung einleiten, würden alle glauben, dass sie den Hausarrest angeordnet habe, so Chen.

Noch im März auf der Jahresversammlung des Nationalen Volkskongresses hatte Ministerpräsident Wen Jiabao die Notwendigkeit politischer Reformen und von Rechtsstaatlichkeit betont.