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Chinas Sorge um den kleinen Bruder

Fank Sieren28. Mai 2014

Nicht nur im Westen schaut man wegen der Proteste und des Militärputsches besorgt nach Thailand. Auch China hat ein vitales Interesse an Stabilität in Bangkok, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Thailand Militärputsch 24.05.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Thailand kommt nicht zur Ruhe. Zuerst protestierte die Mittelschicht des Landes monatelang gegen Regierungschefin Yingluck Shinawatra. Korruption warfen die Demonstranten ihr und ihrer Regierung vor. Und, dass sie nur eine Marionette ihres Bruders Thaksin Shinwarta sei, dem schon vor Jahren abgesetzten und nun im Exil lebenden ehemaligen Ministerpräsidenten. In den vergangenen Tagen überschlugen sich dann die Ereignisse: Zuerst setzte das Oberste Gericht Yingluck Shinawatra ab. Als immer noch keine Ruhe einkehrte, putschte das Militär die gesamte Regierung aus dem Amt und übernahm selbst die Macht. Obwohl die Junta Demonstrationen verbot, gingen auch gestern noch Menschen auf die Straße. Rothemden, also Anhänger der nun abgesetzten Regierung, gegen die Gelbhemden der Opposition, gegen das Militär. Jeder gegen jeden. Die Lage in Thailand ist unübersichtlich wie schon lange nicht mehr.

Stornierungswelle bei Thailand-Reisen

Man sollte zwar meinen, dass die Thailänder nach 19 Militärputschen und unzähligen ruppigen Regierungswechseln in den vergangenen 80 Jahren im Ausnahmezustand geübt sind oder ihn zumindest einfach ignorieren. Doch diesmal ist die Lage vertrackter, sind die Fronten unübersichtlicher. Deshalb blickt die Region derzeit besonders genau nach Bangkok – speziell China. Dabei geht es nicht um die vielen chinesischen Touristen, die nun um ihren Urlaub bangen. Reiseanbieter berichten bereits von einer Stornierungswelle von über zwanzig Prozent bei Reisen nach Thailand. Es geht um mehr. Spitzt sich die Lage in Thailand weiter zu, steht für China eines seiner wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Bündnisse in Asien auf dem Spiel.

Peking zankt sich zurzeit mit so ziemlich jedem seiner Nachbarn. Sei es Japan, mit dem Peking wegen einer Inselgruppe im Ostchinesischen Meer rangelt, seien es Vietnam oder die Philippinen, mit denen Peking regelmäßig wegen ungeklärter Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer aneinander gerät. Keiner der Nachbarn würde bei allen Meinungsverschiedenheiten so weit gehen und den Kontakt zum übermächtigen China abreißen lassen – zu wichtig ist es für die Wirtschaft aller Länder in der Region. Doch freundlich geht man nicht miteinander um. Thailand ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Seit Jahrzehnten ist das Verhältnis beider Länder vergleichsweise unbelastet und China ist sowohl der größte Importeur als auch Exporteur des Landes.

Thailands Eliten haben chinesische Wurzeln

Dass es so gut läuft, hat einen einfachen Grund: Man hält zusammen, weil man eine Familie ist. In Thailand lebt die größte chinesische Gemeinde außerhalb Chinas. Rund 9,4 Millionen Chinesen haben sich im Land niedergelassen, 14 Prozent der Bevölkerung. Fast jeder zweite Thailänder hat chinesische Wurzeln. Und viele dieser Thai-Chinesen sind äußerst erfolgreiche Geschäftsleute, weil sie von alten Beziehungen in ihre Heimat profitieren. 80 Prozent der in Thailand notierten Börsenunternehmen werden von Thai-Chinesen kontrolliert. Rund 90 Prozent der thailändischen Wirtschaftsleistung werden durch Unternehmen erbracht, die gerade einmal 50 chinesisch-stämmigen Familien gehören.

Die Thailänder mit chinesischen Wurzeln bilden also die wirtschaftliche Elite des Landes, und Peking weiß das zu nutzen. Thailand soll für China ein zentraler Knotenpunkt im Handel mit den Staaten in Südostasien werden. Schnellzugstrecken von China nach Bangkok und von dort in die Länder der Region sind bereits in Bau oder in Planung, damit Chinas Waren schnell in den Süden transportiert werden können.

Reis als Mittel der Politik

Doch große Infrastrukturprojekte und ein stabiler Handel sind nur möglich, wenn die politischen Rahmenbedingungen im Land stimmen. Und dass China in den letzten Monaten wegen der Proteste in Thailand zunehmend beunruhigt ist, lässt sich an einer bemerkenswerten Reaktion Pekings ablesen: Die jüngst abgesetzte Regierung hatte nicht nur mit Demonstrationen zu kämpfen, sie hatte sich auch am Reismarkt verspekuliert. Über Jahre kaufte sie den Bauern im Land den Reis zu stabilen Preisen ab und lagerte ihn ein. Yingluck Shinawatra wollte sich damit bei den Bauern beliebt machen und den Reis später auch noch mit Gewinnen auf dem Weltmarkt verkaufen. Doch der Plan ging nicht auf. Die Preise fielen. Als letzter Retter sollte Peking einspringen und Thailand 1,2 Millionen Tonnen Reis abkaufen.

Doch entgegen ihrer ursprünglichen Zusage im Februar überlegten es sich die Chinesen anders. Natürlich war für Peking da längst absehbar, dass Yingluck Shinawatra die Proteste nicht unter Kontrolle kriegen würde und ihr Amt bald los wäre. Peking wollte sich nicht von der folgenden Regierung vorwerfen lassen müssen, sich in die inneren Angelegenheiten Thailands eingemischt zu haben. Und sei es nur aus innenpolitisch taktischen Gründen. Denn egal, wer nun auf Yingluck folgt - weder das Militär, noch Rot- oder Geldhemden sind grundsätzlich schlecht auf China zu sprechen. Denn für die politische Elite des Landes gilt ähnliches wie für die wirtschaftliche: Sie ist quer durch alle Parteien von Thai-Chinesen geprägt. Auch Yingluck Shinawatra und ihr Bruder Thaksin stammen aus einer chinesischen Familie. Für Peking heißt das also: Es spielt keine Rolle, wer als nächstes die Regierungsgeschäfte in Bangkok übernimmt. Wichtig ist nur, dass es passiert und die Stabilität nach Thailand zurückkehrt. Dafür kann ein wichtiges Reisgeschäft sehr nützlich sein.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.