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Kampf um Anerkennung

Hans Michael Ehl27. November 2006

Privat kann ein Christ in der Türkei seine Religion meist frei ausüben. Der offizielle Status christlicher Kirchen ist dagegen weiter ungeklärt. Sie dürfen weder Gebäude besitzen noch geistliches Personal ausbilden.

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Außenansicht der orthodoxen Kirche St. Stefan in Istanbul
Die orthodoxe Kirche St. Stefan in IstanbulBild: AP

Die deutsche evangelische Gemeinde in Istanbul wollte einen Gas-Anschluss einrichten lassen, doch erst eine Schenkungsurkunde von 1857 sorgte dafür, dass der Antrag bearbeitet wurde. "Im Grundbuch der Stadt Istanbul steht kein Eigentümer für dieses Gebäude, weil die deutsche evangelische Gemeinde unter den gegebenen Umständen rechtlich nicht existent ist", sagt Pfarrer Holger Nollmann. Erst der Nachweis über diese osmanische Urkunde habe den Beamten dann so beeindruckt, dass er den Antrag überhaupt entgegengenommen hat.

In der offiziellen Sprachregelung der türkischen Regierung werden Christen in der Türkei in der privaten Ausübung ihrer Religion nicht behindert. Die christlichen Kirchen im Land haben aber vor allem Probleme, wenn es um die korporative Religionsfreiheit geht, also um die rechtliche Anerkennung christlicher Gemeinschaften.

Nur begrenzte Eigentumsrechte

Patriarch Bartholomäus I. im traditionellen Gewand
Patriarch Bartholomaios I.Bild: AP

Der Umstand, dass christliche Gemeinden in der Regel nicht als juristische Personen anerkannt werden, führt automatisch zu unsicheren Besitzverhältnissen. Die Gemeinde des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel mit Sitz in Istanbul Bartholomaios I. - Oberhaupt von rund 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit - muss immer wieder vor Gericht gehen, um eine Rückgabe konfiszierter Grundstücke oder Gebäude zu erzwingen. Bisher seien die Anstrengungen des Patriarchats aber immer erfolglos geblieben, erklärt Metropolit Meliton Karas. "Wir haben innerhalb von 50 Jahren etwa 8000 Grundstücke verloren, wir sind vor Gericht gegangen und haben alle Prozesse verloren." Ehemals ertragreiche Klöster und Kirchen würden jetzt von der staatlichen Stiftungsdirektion genutzt, so Meliton weiter.

Anfang November hat das türkische Parlament in Ankara ein neues Stiftungsgesetz beschlossen. Danach können religiöse Gemeinschaften zwar Grundbesitz zurückfordern, der von staatlichen Stellen konfisziert wurde, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Besitz inzwischen nicht an Dritte veräußert wurde - doch das ist in den meisten Fällen bereits geschehen.

Einschränkungen bei der Ausbildung

Außenansicht der christlichen Dorfkirche in Bsorino (süd-östliche Türkei) - sie wurde vor 1400 Jahren errichtet
Tiefe christliche Wurzeln - diese Dorfkirche in Bsorino (süd-östliche Türkei) wurde vor 1400 Jahren erbautBild: AP

Für die christlichen Gemeinden ist es zudem schwierig, eine Arbeitserlaubnis für ausländische Geistliche zu erhalten. "Der Patriarch muss - so die türkische Rechtslage - ebenso wie die Bischöfe, die ihn wählen, türkischer Staatsbürger sein, aber Nachwuchs aus dem eigenen Land bleibt aus", erklärt Meliton Karas. Man habe den türkischen Ministerpräsidenten per Brief und mündlich gebeten, das nächste Oberhaupt unter allen zum Patriarchat gehörenden Bischöfen wählen zu können. "Die Verantwortlichen könnten dem Gewählten dann die türkische Nationalität geben. Aber wir haben bis heute keine Antwort bekommen." Das griechisch-orthodoxe Priesterseminar auf der Insel Heybeli im Marmara-Meer wurde 1971 geschlossen, somit besteht keine Möglichkeit, Priester in der Türkei auszubilden.

Potenzial für diskriminatorische Praktiken

Neben solchen und ähnlichen organisatorischen Problemen sehen sich Christen Diskriminierungen im Alltag gegenüber. In der Türkei enthalten noch immer viele Personaldokumente verpflichtende Angaben zur Religionszugehörigkeit. Für ehemalige Angestellte christlicher Kirchen sei es aus diesem Grund schwer, eine neue Beschäftigung zu finden, erläutert Felix Körner, Mitglied der Jesuitengemeinschaft in der türkischen Hauptstadt Ankara. "Das Atmosphärische ist nicht gesetzlich greifbar. Es herrscht Misstrauen gegenüber denen, die als die anderen wahrgenommen werden. Obwohl sie - die Christen und auch die Juden - immer integraler Bestandteil der türkischen Gesellschaft waren."