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PolitikNahost

Christinnen weltweit beten für Frieden im Nahen Osten

29. Februar 2024

Auf der ganzen Welt beten an diesem Freitag christliche Frauen für die Menschen in den Palästinensergebieten. Nur in Deutschland werden veränderte Texte genutzt - es waren Antisemitismusvorwürfe laut geworden.

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Sally Azar | Ordination in der Erlöserkirche in Jerusalem
Pastorin Sally Azar in der Erlöserkirche in JerusalemBild: Andrea Krogmann

Sonntagsgottesdienst in der lutherischen Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem. Pastorin Sally Azar, eine Palästinenserin, leitet die Gebete für die kleine Gemeinde, die im Kreis um den Altar des protestantischen Gotteshauses sitzt.

An diesem Freitag wird Azar als Geistliche einen Gottesdienst zum "Weltgebetstag der Frauen" abhalten. Der erstmals 1927 gefeierte Tag von Christinnen aller Kirchen findet jeweils am ersten Freitag im März in 150 Ländern weltweit statt. An diesem Tag werden überall die gleichen Liturgien und Gebete verwendet. Und von Jahr zu Jahr verfassen immer Frauen aus einem anderen Land die Texte. In diesem Jahr hat das Palästinensische Nationalkomitee den "Weltgebetstag der Frauen" vorbereitet. 

Die palästinensische Pastorin Sally Azar im Priestergewand
Sally Azar, erste ordinierte Geistliche der lutherischen Christen im Heiligen LandBild: Taina Krämer/DW

"Ich bin in der Kirche hier aufgewachsen und habe immer an den Gottesdiensten zum Weltgebetstag teilgenommen. Er ist mir ans Herz gewachsen - was für ein toller Tag für Frauen! Es ist eine Ehre, diese Tradition aufrechtzuerhalten", sagt Azar der DW. Die 27-Jährige aus Ostjerusalem ist die erste Pfarrerin überhaupt, die in der evangelisch-lutherischen Gemeinde des Heiligen Landes ordiniert wurde.

Darstellung der christlichen Präsenz

Der Weltgebetstag konzentriert sich auf die Sorgen, Hoffnungen und Anliegen von Frauen. Damit stellt er die weltweit größte ökumenische Veranstaltung christlicher Laien dar.

"Für viele palästinensische Frauen war es sehr wichtig, dass der Weltgebetstag die christliche Präsenz im Heiligen Land thematisiert. Und er zeigt das Leid, das die Frauen hier wegen der Besatzung durchleben", sagt Azar. "Es wird auch in der Liturgie thematisiert, in der sich alle nach Frieden sehnen und alle Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen."

Azar wird oft als Vorreiterin für Frauen in der Region beschrieben. "Ich bin erst vor knapp einem Jahr als Geistliche ordiniert worden. Das ist für die Menschen hier immer noch ziemlich neu", sagt sie. Eine der kleineren Herausforderungen sei die Frage, wie sie als Pfarrerin auf Arabisch richtig anzusprechen ist. Aber es geht noch um mehr: Während es bei der evangelisch-lutherischen Kirche Frauen als Geistliche gibt, kennen die meisten anderen Gemeinschaften im Heiligen Land, etwa die griechisch-orthodoxe oder die römisch-katholische Kirche, dies nicht. "Die religiösen Repräsentanten haben ganz offen darüber gesprochen, unterstützen es aber natürlich nicht", sagt Azar. "Zumindest gehen sie respektvoll damit um."

Der Krieg

Das diesjährige Thema des Weltgebetstages "... durch das Band des Friedens", ein Zitat aus dem Epheserbrief im Neuen Testament, fand laut Azar bei vielen großen Anklang. Das konkrete Thema des jeweiligen Gebetstages wird Jahre vorher bestimmt - ebenso wie das Nationalkomitee, das die Texte für die weltweiten Gottesdienste ausarbeitet. Der aktuelle Konflikt verleiht seiner Botschaft jedoch noch mehr Dringlichkeit.

Im von Hamas-Terroristen am 7. Oktober überfallenen Kibbutz Beeri liegen rund 20 zum Teil blutige Leichensäcke auf einer Wiese.
Nach dem Hamas-Terror-Anschlag vom 7. Oktober liegen die Toten auf einer Wiese im Kibbutz BeeriBild: JACK GUEZ/AFP

Die palästinensischen Gemeinden arbeiteten seit gut zwei Jahren an der Liturgie und den Gebeten und reichten bereits im vorigen Jahr ihre Beiträge ein. Dann kam der 7. Oktober, kamen die mörderischen Hamas-Angriffe im Süden Israels, bei denen Terroristen rund 1200 Menschen töteten und mehr als 240 Geiseln nahmen. Israel startete eine militärische Vergeltungskampagne und versprach, die Hamas zu besiegen, die von den USA, der EU und anderen als Terrororganisation eingestuft wird.

Fast fünf Monate später werden immer noch etwa 130 israelische Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums wurden bislang mehr als 30.000 Palästinenser getötet und weite Teile des Küstengebiets unbewohnbar gemacht.

Nach dem 7. Oktober wurden in Deutschland Antisemitismusvorwürfe im Zusammenhang mit den palästinensischen Liturgie- und Gebetstexten laut. Kritik kam vor allem vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Er sprach von "falschen und tendenziös politischen Aussagen“ in der Vorlage, die „im Zusammenhang als antisemitisch zu klassifizieren" seien. Dabei ging es beispielsweise darum, dass das Leid auf israelischer Seite nicht explizit genannt worden sei.

Azar sagt dazu: "Das zu sehen, war ziemlich verletzend. Weltweit waren es allein die Deutschen, die dann die Liturgie verändert haben. Sie sagten, sie wollten die Dinge kontextualisieren und ändern", sagt Azar. Kontext hinzuzufügen, das sei eine Sache. Aber für viele gingen die Änderungen an den Texten im Deutschen zu weit, berichtet die Pastorin. "Es fühlte sich an, als würde uns jemand sagen, wie man betet und welche Worte wir verwenden sollen, um unsere Situation und unsere Gefühle zu beschreiben."

Unterstützung aus Deutschland

Trotz der Kontroverse betonen Azars Kolleginnen in Deutschland ihre Solidarität mit den Frauen in den palästinensischen Gebieten. "Wir stehen selbstverständlich zum Weltgebetstag und gehören zur weltweiten Gebetskette in rund 150 Ländern", sagt Ulrike Göken-Huismann, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Komitees des Weltgebetstags der Frauen, der DW.

Ulrike Göken-Huismann, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Komitees des Weltgebetstags der Frauen
Ulrike Göken-Huismann, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Komitees des Weltgebetstags der FrauenBild: Kay Herschelmann/kfd

Angesichts der Ereignisse am 7. Oktober habe man "vorsichtig und behutsam" die vorgesehenen Texte angepasst. So wurde im Deutschen der Blick auf Israel geweitet. Es gibt nun eine eigene Fürbitte für die Opfer des Nahost-Konflikts auch auf israelischer Seite. Frauen in deutschen Kirchengemeinden hätten das positiv aufgenommen, erläutert Göken-Huismann unter Verweis auf Rückmeldungen per Mail oder in Telefongesprächen. "Und wir stehen solidarisch an der Seite der christlichen Frauen in Palästina."

Die Chefin des deutschen Komitees berichtet auch von Zoom-Konferenzen und Gesprächen mit Pastorin Azar. Zwischenzeitlich sei das Verhältnis "nicht so einfach" gewesen. Nun seien aber wohl beide Seiten überzeugt, dass es wichtig sei, wenn in möglichst vielen Gemeinden in Deutschland am 1. März Gottesdienste gefeiert würden und "diese Stimmen aus Palästina hörbar gemacht werden". Denn angesichts der kriegerischen Eskalation im Gazastreifen werde von der sonstigen Situation in palästinensischen Orten nur selten gesprochen.

Gebete für die Leidenden

Die lutherische Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem
Auch hier beten am Freitag Frauen: die lutherische Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem Bild: Taina Krämer/DW

Auch in Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland finden am Freitag mehrere Gebetsgottesdienste statt. Aber hier wird nicht jeder teilnehmen können. Seit dem 7. Oktober ist es laut Azar für Palästinenser und Palästinenserinnen noch schwieriger geworden, heilige Stätten zu erreichen und einander zu treffen. Generell mussten Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland seit jeher bei den israelischen Behörden eine Einreiseerlaubnis nach Jerusalem beantragen.

Angesichts der Situation sei die Feier des Weltgebetstages der Frauen in diesem Jahr besonders wichtig, sagte Azar und sagte, man denke "an alle Zivilisten, die unter dem Krieg leiden. Wir haben Gebete für die aktuelle Situation hinzugefügt."

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin