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Christus – Provokation durch Überzeugung

31. Mai 2014

Jesus prägt die Geschichte der Menschheit, den geistig-kulturellen Fortschritt. Und zwar auch für Nichtglaubende. So jedenfalls die Überzeugung von Pater Eberhard von Gemmingen von der katholischen Kirche.

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Italien Kunst Fresco Fra Angelico die Bergpredigt in Kloster San Marco Florenz
"Selig die Armen, selig die hungern nach Gerechtigkeit, selig die Friedfertigen..." Die Bergpredigt, Fresco von Fra AngelicoBild: cc

Die historische Kraft von Religion

Christen glauben, dass Christus der Herr der Welt und ihrer Geschichte ist. Ist solcher Glaube nur ein blinder Glaube gegen allen Anschein? Oder gibt es im Lauf der Weltgeschichte Zeichen dafür, dass Christus tatsächlich eine Rolle in der Geschichte spielt? Oder ist die Fragestellung unerlaubt? Müsste es blinder Glaube sein, der keinerlei Bestätigung in dem sucht, was man sieht?

Vor zwei Tagen haben wir die Aufnahme Jesu in das Reich des Vaters gefeiert – landläufig Christi Himmelfahrt genannt. Daran schließt sich gut die Frage an: Ist nun mit ihm alles aus oder hat er die Welt verändert? Ist er wenigstens moralisch gegenwärtig. Meine Antwort: Christus ist präsent, er prägt Geschichte.

Der Glaubende kann mit einem wachen Blick für den Gang der Welt sehen, dass Christus die Geschichte der Menschheit wesentlich mitbestimmt. Ich möchte dies erklären. Wir müssen sogar hinter Christus zurückgehen, ins Alte Testament. Ich glaube, Historiker können feststellen, dass etwa die zehn Gebote, der Dekalog ein großer kultureller Fortschritt der Menschheit darstellt. Du sollst nicht töten, du sollst die Ehe nicht brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst Vater und Mutter ehren. Das sind Normen, die einen geistig-kulturellen Fortschritt der Menschheit aufzeigen. Der Glaube an den Gott der Juden schlägt sich in historischem, kulturellem Fortschritt nieder. Die zehn Gebote haben die Weltgeschichte entscheidend mitgeprägt.

Oder der Übergang des Glaubens von Götzenbildern zu dem Gott, den man nicht sehen kann, weil er Geist ist, ist ein geistig-kultureller Fortschritt. Glaube schlägt sich in Geistesgeschichte nieder.

Und dann die historische Gestalt Jesu. Der Mann aus Nazareth hat die alttestamentlichen Normen verschärft. Er lehrt: Schon der Gedanke zu töten, zu stehlen, die Ehe zu brechen, ist Sünde. Und Jesus verschärft: Selig die Armen, selig die hungern nach Gerechtigkeit, selig die Friedfertigen. Für diese Überzeugung stirbt Jesus. Und auch im Sterben weicht er nicht von seinen Normen ab. Er stirbt für sie, für seinen Anspruch, für seine Ethik. Dieses Tun Jesu steht in der Welt. Und Jesu Tun provoziert in gewisser Weise, es reizt zum Nachdenken, auch zum Widerspruch. Er provoziert nicht nur seine Zeitgenossen, er provoziert Menschen durch alle Zeiten, die nach ihm diese Erde betreten, die nachdenken.

Jesus ist eine Provokation für Menschen, die denken. Man kann sein Tun verdrängen, versuchen, es zu vergessen, ihn zu ignorieren. Aber wenn man wach in die Geschichte der Menschheit hineinschaut, dann muss man – meiner Ansicht nach – eben doch zugeben. Dieser Provokateur prägt durch sein Leben die Geschichte, prägt Weltgeschichte. Nach ihm ist es nicht so wie vorher. Der Mensch, der in seinem Handeln von dem abweicht, was er behauptet, muss sich von ihm anschauen lassen. So wird Jesus zum moralischen Richter. Nicht dass Jesus richtet, aber das Tun des Menschen richtet den Tuenden. Der Täter richtet sich selbst. So führen Wege von Jesus Christus, vom Golgothahügel bis an die Grenzen der Erde. Ich denke: auf diese Weise ist Jesus Christus auch heute mitten in einer Welt, die ihn scheinbar nicht kennt, präsent. Seine Worte und sein Leben und Sterben sind gegenwärtig, prägen Geschichte, prägen Weltgeschichte.

Und jeder Mensch, der Jesus folgt und ihm zu folgen versucht, prägt in wesentlich schwächerer Form eben auch Geschichte. Denken wir an Mutter Teresa, an Roger Schütz, an Erzbischof Romero, an Nelson Mandela. Überzeugte und darin provozierende Christen hinterlassen eine Spur in der Geschichte, auch wenn sie es nicht merken und nicht wissen. Christus lebt in ihnen und Christus prägt auch durch sie Geschichte. Der Glaube jedes Menschen an Jesus Christus ist geschichtsbildend. Christus ist durch ihn gegenwärtig und ändert die Geschichte. Er lebt mitten unter uns – auch heute.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Pater Eberhard von Gemmingen SJBild: picture-alliance/ ZB

Zum Autor: Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.