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Clintonmania

Daniel Scheschkewitz21. Juni 2004

"My Life“- Mein Leben, unter diesem Titel veröffentlicht der frühere US-Präsident Bill Clinton seine Memoiren. Mit einer Erstauflage von 1,5 Millionen Exemplaren dürfte das Buch zu einem Renner werden.

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An Clintons Buch kommt derzeit keiner vorbei, noch nicht einmal Präsident Bush. Um sich lange Lobeshymnen auf seinen Amtsvorgänger zu ersparen, brachte es Bush bei einem Empfang für die Clinton-Familie im Weißen Haus letzte Woche so auf den Punkt: "Er war fünfmal Gouverneur von Arkansas und der erste Bürger dieses Staates, der Präsident wurde. Er war der Erste in der Demokratischen Partei nach Roosevelt, dem es gelang, zweimal ins Weiße Haus einzuziehen. Ich könnte mehr über ihn erzählen, aber das kann man ja alles in guten Buchläden landauf, landab demnächst selbst nachlesen.“ Und in den Buchläden freut man sich auf ein dickes Geschäft.

Sachbuch der Superlativen

Die Erstauflage von 1,5 Millionen Exemplaren und der stolze Verkaufspreis von 30 US-Dollar versprechen Einiges. Clinton selbst durfte immerhin 12 Millionen Dollar als Vorab-Honorar einstreichen. Dafür rührt der Ex-Präsident dann auch kräftig selbst die Werbetrommel. Talkshowauftritte hier, Fernseh- und Radiointerviews dort: egal welchen Knopf man drückt - Clintons Comeback in den Medien ist total. Und der Darling der US-Medien weiß, was der Markt begehrt: klitzekleine Neuigkeiten über die Monica Lewinsky-Affäre, züchtig garniert mit einem Schuss moralischer Selbstkritik. Auf die Frage des CBS-Journalisten Dan Rather, wie es zu dem berühmtesten aller Seitensprünge kam, zeigte Clinton in einem der vielen Interviews geradezu therapeutische Einsicht: "Ich glaube, ich tat es aus einem der denkbar schlechtesten Gründe. Einfach, weil ich es konnte. Das ist wohl der moralisch unhaltbarste Beweggrund, den ein Mensch haben kann.“

Nach Monica auf die Couch

Clinton berichtet in seinem fast tausend Seiten dicken Buch, er habe nach dem Geständnis der Affäre gegenüber seiner Ehefrau Hillary mindestens zwei Monate lang auf der Couch nächtigen müssen. Die Affäre hätte ihn beinahe Amt und Ehe gekostet. Familien- und Einzeltherapien kitteten eine Ehe, von der böse Zungen behaupten, Hillary habe sie nur deshalb nicht aufgekündigt, weil sie selber noch Präsidentin werden will. Jetzt ziehen die Marketingstrategen in den Chefetagen von Clintons Buchverlag alle Register der Werbekunst. In kleinen Häppchen veröffentlichte man kurze, vom Autor selbst vorgelesene Auszüge, die Appetit auf mehr machen sollen.

Verkaufshysterie im Harry Potter-Stil

Die Buchläden in Washington, New York und anderen Großstädten Amerikas öffnen mitten in der Nacht, um am Dienstag auf einen Ansturm vorbereitet zu sein, der Clintons "My Life“ als Verkaufschlager in die Kategorie eines Harry Potter- Romans befördern soll. Am Morgen darauf greift Clinton dann im 'Big Apple’ selbst zum Füllfederhalter, um die ersten Verkaufsexemplare von Präsidentenhand zu signieren. Zwei Monate gehört Clinton dem Verlag - alle Öffentlichkeitstermine sind generalstabsmäßig geplant. Auch im Ausland. Im Juli wird die deutsche Ausgabe erscheinen. Dann will Clinton auch in Deutschland auf Buchtournee gehen.

Imageproblem für Kerry

Derweil versucht sich Bush-Herausforderer John Kerry, dessen eigener Wahlkampf bei den Medien bislang nur Langeweile auslöste, im Glanz des großen Kommunikators zu sonnen. Kaum ein Auftritt, bei dem Kerry in diesen Tagen nicht auf das politische Erbe Bill Clintons verweist. Clinton ist heute 57, beim Ausscheiden aus dem Amt war er gerade mal 54. John Kerry ist 60. Mit seiner steifen und altväterlichen Art wirkt er im Vergleich zu Clinton jedoch beinahe doppelt so alt. Ein politischer Witz drückt es noch brutaler aus. Bill Clinton beim Kartoffelschälen zuzusehen sei allemal spannender als Kerry reden zu hören. Ob Clintons Biographie tatsächlich hält was die Medienkampagne verspricht, bezweifeln Insider allerdings. Reich an Publicity, jedoch arm an Gehalt, so schätzen Experten Clintons "My Life“-Offenbarungen ein. Dem Verkaufserfolg wird das wahrscheinlich keinen Abbruch tun. Clinton selbst hat es in diesen Tagen so ausgedrückt: "Ich weiß nicht, ob ich ein gutes Buch geschrieben habe, aber meine Lebensgeschichte, die hat es in sich.“