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Die Welt "dazwischen"

Wolfgang Dick
2. Juli 2017

Die Weltreisenden Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier haben fast vier Jahre die Welt bereist. Nur zu Fuß, per Anhalter und Schiff. Die Doku "Weit" zeigt jetzt ihre Erlebnisse. Der Film entwickelt sich zum Kinohit.

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Weltreise Patrick und Gwen
Patrick und Gwen mit ihrem Sohn - hier in den Pyrenäen Bild: WeitGbR

Ein LKW bleibt auf dem Weg ins Pamir-Gebirge in einem Fluss stecken. Die Achse ist gebrochen. Nichts geht mehr. Gwendolin und Patrick sitzen neben dem Fernfahrer, der sie gerne mitgenommen hat. Allen ist der Schreck ins Gesicht geschrieben. Sollte die Reise hier zuende sein? Die Kinozuschauer fiebern gebannt mit. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Der Film "Weit" zeigt auch immer wieder Menschen, die fassungslos am Straßenrand stehen bleiben, denn sie können einfach nicht verstehen, warum zwei Deutsche bei Wind, Kälte und Regen stundenlang im Nirgendwo auf das nächste Auto warten. So auch ein Bauer auf seinem Esel in der kasachischen Wüste.

Als Gwen, wie sie ihr Partner Patrick liebevoll nennt, dem älteren Mann dann auch noch in Ruhe die nächsten Reiseziele nennt, blickt er so ungläubig, dass der ganze Kinosaal losbrüllt vor Lachen. Bei anderen Passagen des Films haben Zuschauer Tränen in den Augen. In Pakistan stehen die beiden Weltreisenden Gebäuderuinen mit bröckelnden Hotelaufschriften gegenüber. In den Kisten eines Schuppens vergammeln Postkarten mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen. Eigentlich sollten Touristen hierher kommen. Es kam stattdessen der 11. September 2001. Pakistan wurde zum Inbegriff von Terror und Tod. Viele Menschen in der Bergregion von Pakistan verloren ihre Jobs und ihre Perspektive. Sie erzählen Gwen und Patrick, wie es ihnen heute geht. Ein Ziegenhirte, früher mal Bergführer, schenkt den beiden zwei Edelsteine, die er in den Bergen gefunden hat. Einfach, weil sich das Paar für ihn und seine Familie interessierte und sich Zeit nahm.   

Pakistan

Ein gelebter Traum

Fast vier Jahre lang hatten Gwen und Patrick ihre Reise mit zwei kleinen Kameras dokumentiert. Eigentlich wollten sie nur ihren Familien zeigen, was sie alles erlebt hatten. Nach ihrer Rückkehr schnitten und vertonten sie ihre Aufnahmen und gaben ihrem Film den Titel "Weit". Dann passierte, womit niemand gerechnet hatte. Vor elf Wochen startete der Film "Weit" im Freiburger Arthousekino "Friedrichsbau". Mit drei bis vier Vorstellungen am Tag. Ausverkauft. Ludwig Amman, einer der Kino-Geschäftsführer, kann es kaum fassen, als sich sogar Schlangen vor den Kassen bilden. Das spricht sich herum. Seit Anfang Juni läuft der Film nun in rund 50 Kinos in Deutschland. 

Junge und alte Menschen wollen einfach sehen, was sie sich selbst noch nicht trauen oder was sie in ihrem Leben schlicht verpasst haben. Ein mutiges Abenteuer. Einfach los - ohne groß nachzudenken. "Wir haben wirklich nicht so lange vorbereitet. Wir waren viel zu neugierig auf diese Welt", erzählt Gwen und blickt Patrick an. Der erklärt, warum die beiden im Frühjahr 2013 nur zu Fuß los sind. Von Freiburg immer Richtung Osten. "Wir wollten nicht irgendwo hinfliegen, sondern ganz bewusst Schritt für Schritt ein Gefühl für die Welt und ihre Entfernungen entwickeln. Einfach sehen, wie sich mit den Landschaften auch die Menschen verändern." Gwen ergänzt: "Wir wollten einfach für die menschlichen Begegnungen Zeit haben. Deshalb mussten wir uns langsam bewegen. Außerdem sagt ein indianisches Sprichwort, wenn du zu schnell reist, kommt die Seele nicht hinterher." Also ging es per Anhalter los. Abends dann nach dem Kochen im Freien ab ins Zelt. 

Weltreise Patrick und Gwen
Auch eine einfache Suppe am Straßenrand wirkte wie ein Festmahl Bild: WeitGbR

Vertrauen wird belohnt

Inzwischen reisen die beiden von Kino zu Kino und stellen sich nach den Vorstellungen immer den Fragen des Publikums. Und die Zuschauer lassen sich nicht lange bitten. Ganz vornean geht es immer um die Kosten einer solchen Reise. "Wir haben zwischen 25 und 30.000 Euro für die fast vier Jahre ausgegeben. Da war alles inklusive", sagt Gwen und fügt an, Zuhause hätten sie mehr gebraucht. Man habe vor der Reise gespart und auf der Reise auch gejobbt. "Das kann doch alles nicht gefahrlos gewesen sein. Habt ihr das aus dem Film weggelassen?" fragt eine Frau. Nein, antwortet Patrick ganz ruhig. Man habe nicht einfach nur Glück gehabt, sondern eher kein Pech erfahren, meint er. Gwen übernimmt: "Wir haben ja kein Drehbuch gehabt. Wir haben einfach nur gefilmt, was uns passiert ist. Deshalb steckt da soviel Wahrheit drin." Die Besucher scheinen das zu spüren. Manche bestätigen, sie würden nach einer Nachrichtensendung sehr bedrückt sein. Nach diesem Film aber würden sie sich sehr wohl fühlen. Gwen und Patrick freuen sich.  

Wo es denn dann am gefährlichsten gewesen sei, wird gefragt. "In Südamerika". Gwen schiebt einen Tipp dazu hinterher: Wichtig sei, dass, wenn man überfallen werde, man alles herausgebe: "Das ist dann besser, als den Helden zu spielen". "Wo hat es euch denn am besten gefallen?" will ein junger Mann wissen. Patrick: "Sibirien war toll. Diese Weite und Ruhe. Da wäre ich gerne länger geblieben." Gwen: "Ich fand Georgien schön. Dahin habe ich Heimweh. Die Menschen dort waren sehr herzlich." Die wunderbaren Begegnungen mit den Menschen in der Welt bewegen die Zuschauer. Plötzlich fragt jemand: "Sind denn die Menschen eurer Erfahrung nach eher schlecht oder eher gut?" Gwen darauf: "Eher gut. Die meisten Menschen wollen auch mit Krieg und Terror nichts zu tun haben. Sie wollen einfach nur leben, für ihre Familien da sein und glücklich werden." Was für die Reise das Wichtigste gewesen sei, wollen immer alle wissen. "Zu vertrauen", antwortet Gwen. "Unser Vertrauen ist immer zurückgegeben worden." Einige Zuschauer stellen danach keine Fragen, sondern bedanken sich nur. "Schön, dass ihr mal zeigt, wie ähnlich wir Menschen uns auf der ganzen Welt doch sind."

Weltreise Patrick und Gwen
Einfaches Schulrussisch oder Gesten mit Händen und Füßen reichten aus, um sich prima zu verstehenBild: WeitGbR

Erfahrungen im Iran

Wie sehr besonders junge Menschen unter restriktiven Regimen nach Kontakten in die Welt hungern, wird Gwen und Patrick im Iran klar. Dort bieten Studenten Couchsurfing an, obwohl darauf hohe Strafen stehen. In einem Kameraschwenk zeigen die beiden eine Wohnung, in der viele Besucher in Schlafsäcken liegen. Darunter Schweden, Franzosen, Engländer. Die Eltern des jungen Iraners, der all diese Menschen eingeladen hatte, sind nicht begeistert. Um ihm Ärger zu ersparen, machen Gwen und Patrick den Eltern ein Gastgeschenk. Schwarzwälder Kirschkuchen in der Dose. Spaß hatten dann alle, wenn die Iraner versuchten, "Schwarzwälder Kirschkuchen" auszusprechen.

Gwen und Patrick erleben im Iran, wie viele Regeln fallen, sobald die Türen zu den Häusern verschlossen sind. Es gibt Partys, es wird getanzt. Und es wir auch getrunken. "Manche brauen sogar ihr eigenes Bier, indem sie Hefe in Limonade stecken und ein paar Tage in der Ecke stehen lassen", erzählt Gwen. Warum das Regime zu solchen Aktivitäten ein Auge zudrückt, dazu hat Gwen ihre eigene Theorie: "Vielleicht wollen die so verhindern, dass es eine Revolution von unten gibt".

Weltreise Patrick und Gwen
Gwen und Patrick erleben, dass Glaubensfragen für Freundschaften keine Rolle spielenBild: WeitGbR

Deutsche Bürokratie kennt keine Weltreise

Die Rückkehr sei sehr emotional gewesen, erzählen beide Weltreisenden. Aber auch skurril. Denn es galt, sich auch wieder bei den Behörden zurückzumelden. Nicht von der Welt, sondern von Österreich. Das kam so: Bei Reisebeginn hatten Gwen und Patrick sich bei den Behörden abmelden wollen. Auf dem Meldeamt habe der Beamte damals nur gemeint, er bräuchte die Angabe eines Landes, in das die beiden ziehen würden. "Wir machen eine Weltreise", hatten die beiden entgegnet. Wir haben keine Ahnung, in welche Länder wir kommen werden." Der Beamte bedauert. Er müsse ein Land in den Akten angeben. Dann geben Sie doch Österreich ein, bat Patrick: "Leider gibt es in der Bürokratie keine Option: Verzogen wegen Weltreise."

Was von der Weltreise bleibt

Da ist natürlich Bruno. Der gemeinsame Sohn von Gwen und Patrick. Er wird 2015 in Mexiko geboren. Abgebrochen wird die Reise nicht. "Was für ein Privileg, als Vater und Mutter das Kind aufwachsen zu sehen und jeden Tag bei ihm zu sein. Zuhause wäre das neben einem Job nicht gegangen." Die Reise hat das Paar zusammengeschweißt. "Wir haben uns prima ergänzt", meint Patrick und schaut Gwen tief in die Augen. "Sie war die total Spontane, die meine Pläne völlig umgestalten konnte, aber so auch wunderbare Begegnungen möglich gemacht hat. Mir haben eher Organisationsarbeiten wie die Visa-Versorgung Spaß gemacht. Das hat gut zusammengepasst." Gwen grinst.

Was die Reise die beiden gelehrt hätte, wollen Kinozuschauer häufig wissen. Gwen dazu: "Wenn man so lange aus dem Rucksack lebt, dann merkt man, mit wie wenig man glücklich sein kann. Erfahrungen sind wertvoller als Dinge. Dinge sind vergänglich. Die Momente aber, die wir erleben durften, kann uns niemand mehr wegnehmen."