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Politik

"Cumhuriyet"-Prozess: Nebulöse Vorwürfe

24. Juli 2017

In der Türkei hat der Prozess gegen 17 Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet" begonnen. Er stützt sich auf Anklagen wie die angebliche Unterstützung "terroristischer Organisationen". Es ist ein Testfall für die Justiz.

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Türkei Polizei vor Tageszeitung Cumhuriyet
Bild: picture-alliance/dpa/T. Bozoglu

Prozess beginnt gegen 17 Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet"

Die Strafen könnten drastisch ausfallen. Zwischen siebeneinhalb und 43 Jahren Haft drohen den Mitarbeitern der Zeitung "Cumhuriyet", die sich nun vor Gericht verantworten müssen. Wofür, ist nur ungefähr bekannt. Die Anklageschrift, die den 17 Beschuldigten im April vorgelegt wurde, wirft ihnen - so die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu - die Unterstützung von "terroristischen Organisationen" vor. Genannt werden zwei: die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Konkretere Anklagepunkte - etwa, wie diese Unterstützung ausgesehen haben soll - nennt Anadolu nicht.

Worauf die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe stützt, lässt der Fall von Ahmet Sik erahnen. Der investigativ arbeitende Journalist wurde Ende Dezember 2016 verhaftet. Die Staatsanwaltschaft begründete das unter anderem mit Twitterbotschaften, die Sik gepostet hatte. Sie versuchten, so meldete Anadolu, "den Ruf der Türkei, ihre rechtlichen Institutionen, ihre militärische und Sicherheitsorganisation" zu schädigen.

Das Beispiel Ahmet Sik

Dabei hatte Ahmed Sik vorwiegend Fragen gestellt und auf Widersprüche in der Regierungspropaganda hingewiesen. In einigen Tweets griff er etwa den Fall des russischen Botschafters in der Türkei, Andrej Karlow, auf. Karlow wurde am 19. Dezember 2016 von einem dschihadistisch motivierten ehemaligen Polizisten erschossen. Nach Darstellung der Regierung war er ein Anhänger der Gülen-Bewegung. Auf Twitter stellte Sik die Frage, wie sich dann erkläre, dass der Attentäter auch Polizist war.

Cumhuriyet 2016 Proteste
Solidarität mit den Journalisten von "Cumhuriyet"Bild: Cumhuriyet

Sik griff auch die Verhaftung des Schauspielers, Regisseurs und Politikers Sirri Süreyya Önder auf. Dieser saß für die oppositionelle pro-kurdische Partei HDP im türkischen Parlament. Gemeinsam mit dem ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der Türkei, Yalcin Akdogan, veröffentlichte er eine Erklärung zu einer möglichen Lösung des Kurdenkonflikts. Danach wurde der Abgeordnete wegen des Vorwurfs verhaftet, eine Terrororganisation zu unterstützen. Siks Schlussfolgerung: "Wenn Süreyyas Tat als Verbrechen angeklagt wird, sollte es dann nicht mehrere Verdächtige geben, angefangen mit jenen, die im (Präsidenten-)Palast sitzen?"

Bereits 2011 und 2012 hatte Sik ein Jahr im Gefängnis verbracht. Sein Vergehen damals: Er hatte den Einfluss der Gülen-Bewegung im Staatsapparat kritisiert - genauso, wie Erdogan es heute tut. Nur: Damals waren Erdogan und Gülen noch dicke Freunde.

Die Regierung der Lüge überführt

Deutschland lit.Cologne Veranstaltung Verfolgung in der Türkei
Im deutschen Exil: Ex-Chefredakteur Can DündarBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Angeklagt sind in dem jetzigen Prozess unter anderem der Chefredakteur von "Cumhuriyet", Murat Sabuncu, sowie dessen Vorgänger Can Dündar, der derzeit im Exil in Deutschland lebt. In der Anklageschrift heißt es, die Linie von "Cumhuriyet" habe sich "radikal verändert", nachdem Dündar die Chefredaktion übernommen habe. Seitdem habe die Zeitung Ziele der "terroristischen Organisationen" unterstützt.

Dündar war bereits in einem vorherigen Prozess zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dündar und der Hauptstadtkorrespondent der Zeitung, Erdem Gül, waren der angeblichen Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen angeklagt. "Cumhuriyet" hatte im Mai 2015 Bilder veröffentlicht, die die Durchsuchung mehrerer LKWs zeigen, die auf dem Weg von der Türkei nach Syrien waren. In den Wagen befand sich, versteckt hinter humanitären Hilfsgütern, Kriegsmaterial, das mutmaßlich an die syrische Opposition geliefert werden sollte. Die Regierung hatte zuvor geleugnet, dass der Konvoi Waffen befördere. Die Fotos belegten das Gegenteil. "Das sind die Waffen, von denen Erdogan behauptet, sie existierten nicht", hatte "Cumhuriyet" die Fotos übertitelt.

"Unerschrockener Journalismus"

Der Prozess gegen Dündar und Gül wurde international stark kritisiert. "Selbst dem größten Zyniker dürfte es schwerfallen, bei diesem Prozess nicht auf der Seite Can Dündars zu stehen", kommentierte Daniel Heinrich für die DW. Denn "Can Dündar und Erdem Gül haben das gemacht, wozu sie als kritische Journalisten verpflichtet sind: Sie haben ein Schlaglicht auf die fragwürdige Rolle der türkischen Regierung im Syrien-Konflikt geworfen."

Der stellvertretende Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Mahmut Tanal, erklärte gegenüber der DW: "Bisher erfolgte erst eine Zeugenaussage. Danke der eklatanten Beispiel, die der Angeklagte in seiner Aussage anführte, ist die Anklage wie ein Ballon geplatzt. Das zeigt, dass es sich um ein politisches Verfahren, nicht um einen legalen Prozess handelt. Und es ist klar, dass das Ziel die Tageszeitung 'Cumhuriyet' ist. Mit anderen Worten, das Ziel ist der Journalismus."

Die bekannte türkische Journalistin Banu Güven sagte der Deutschen Welle: "Also, was wir hier erleben, ist eigentlich Unsinn. Das ist ein politisches Verfahren. Das Verfahren zeigt uns, dass eigentlich leider kein Rechtsstaat mehr in der Türkei vorhanden ist."

 

Die Frauen der inhaftierten türkischen Journalisten

Das Verfahren hat bereits im Vorfeld für erhebliche Kritik gesorgt. "Die Zeitung 'Cumhuriyet' steht symbolisch für den mutigen Einsatz der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien in der Türkei. Eine Verurteilung wäre ein verheerendes Signal und eine Schande für die türkische Justiz", sagte etwa Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen (ROG). Auf der jährlichen ROG-Rangliste der Pressefreiheit nimmt die Türkei derzeit Rang 151 von 180 Plätzen ein.

Im September 2016 war "Cumhuriyet" mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Right Livelihood Award Stiftung hatte mitgeteilt, "Cumhuriyet" erhalte den Preis "für ihren unerschrockenen investigativen Journalismus und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Meinungsfreiheit trotz Unterdrückung, Zensur, Gefängnis und Morddrohungen". Die Stiftung kritisierte die Festnahmen jetzt als Beleg dafür, "dass das Regime nicht zögert, kritische, abweichende Stimmen zu unterdrücken".

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika