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Cummings: Maiduguri hat riesige Symbolkraft

Hilke Fischer5. September 2014

Die Angst geht um, dass die Terrorgruppe Boko Haram die Millionenstadt Maiduguri angreift. Nigerias Armee wird die Islamisten allein nicht besiegen können, sagt der Sicherheitsexperte Ryan Cummings im DW-Interview.

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Bombenanschlag in Maiduguiri in Nigeria Foto: dpa - Bildfunk
In Maiduguri ist es in der Vergangenheit schon oft zu Bombenanschlägen gekommenBild: picture-alliance/dpa

DW: Vor wenigen Tagen hat Boko Haram die Stadt Bama im Bundesstaat Borno eingenommen - viele fürchten, dass das nächste Ziel der Terrorgruppe Maiduguri sein wird, die mehr als eine Million Einwohner zählende Hauptstadt des Bundesstaates. Glauben Sie, dass Boko Haram in der Lage ist, die Stadt einzunehmen?

Ryan Cummings: Das ist sehr schwer vorherzusagen. Es sind sehr viele Soldaten in Maiduguri stationiert. Das Problem ist aber, dass Boko Haram mehrere Fronten eröffnet hat. Sie könnten auf verschiedenen Wegen nach Maiduguri kommen und es der Armee dadurch sehr schwer machen. Für die Sicherheitskräfte könnte es sehr kompliziert werden, Maiduguri zu verteidigen, wenn Boko Haram sie von mehreren Stellen aus angreift.

Was würde es bedeuten, wenn Maiduguri an Boko Haram fällt?

Entscheidend wird sein, ob es Boko Haram gelingt, die Stadt unter ihrer Kontrolle zu behalten. Sie haben meiner Meinung nach nicht die operative Fähigkeiten, eine so große Stadt zu halten. Wenn Maiduguri an Boko Haram fallen sollte, dann können wir davon ausgehen, dass eine Reihe von Gegenangriffen gestartet werden, um die Stadt aus den Händen der Gruppe zu befreien. Maiduguri ist relativ weit von den Hochburgen von Boko Haram entfernt, die sich entlang der Grenze zu Kamerun befinden sollen. Es wird also nicht leicht für sie sein, weitere Kräfte und Ressourcen nach Maiduguri zu bekommen, um der Offensive der Regierung etwas entgegenzusetzen. Aber selbst eine kurzzeitige Einnahme der Provinzhauptstadt durch Boko Haram wäre ein riesiger symbolischer Sieg für die Terrorgruppe.

Bis vor kurzem setzte die Terrorgrupe auf Guerilla-Taktik, jetzt erobern die Kämpfer Städte mit Militärfahrzeugen. Wie konnte Boko Haram so stark werden?

Boko Haram hat sich weiterentwickelt, sowohl in Bezug auf die Organisationsstruktur, als auch was die Finanzierung, das Material und die Ausbildung angeht, die den Kämpfern zur Verfügung stehen. Boko Haram ist nicht mehr nur ein nigerianisches Problem. Die Gruppe hat sich nach Kamerun ausgebreitet und es gibt Hinweise, dass sie außerdem im Tschad und im Niger aktiv ist. Wir dürfen Boko Haram nicht als eine geschlossene Einheit verstehen. Es gibt mehrere Fraktionen, die in unterschiedlichen Teilen Nigerias oder den Nachbarstaaten aktiv sind und alle unterstehen einer anderen Kommandostruktur. Es gibt Fraktionen, die besser organisiert, trainiert oder ausgestattet sind als andere. Das Problem ist, dass die Regierungen der Nachbarstaaten Nigerias stark genug gegen die Gruppe vorgegangen sind. Dadurch konnte Boko Haram zum Beispiel den Norden Kameruns nutzen, um Kämpfer zu rekrutieren und auszubilden und um Angriffe auf nigerianischem Staatsgebiet zu planen. Leider darf die nigerianische Armee Boko Haram nur innerhalb der Landesgrenzen bekämpfen. Wann immer Nigeria eine Großoffensive gestartet hat, haben die Terroristen sich in die Nachbarländer zurückziehen können.

Ryan Cummings Foto: Ryan Cummings
Ryan Cummings vom Nigeria Security NetworkBild: privat

Was muss getan werden, um Boko Haram aufzuhalten? Muss die Kooperation Nigerias mit den Nachbarstaaten stärker ausgebaut werden?

Definitiv. Die nigerianische Armee wird Boko Haram allein nicht besiegen können. Das liegt vor allem daran, dass sich ihre wichtigsten Einflussgebiete nicht mehr in Nigeria befinden, sondern im Kamerun. Die nigerianische Regierung muss militärisch mit den Nachbarländern zusammenarbeiten. Das ist zu einem gewissen Maße bereits der Fall, aber es sind weit weniger Soldaten dafür im Einsatz, als ursprünglich geplant. Internationale finanzielle und logistische Unterstützung würde dabei helfen, beispielsweise die der USA, Frankreichs oder Großbritanniens. Es muss eine koordinierte und großflächige Offensive gegen Boko Haram geben, um die von der Terrorgruppe kontrollierten Gebiete zurückzuerobern. Damit könnte es gelingen, Boko Haram zumindest an den Verhandlungstisch zu bekommen. Das Problem ist, dass die Gruppe im Moment so stark expandiert, dass sie es gar nicht nötig hat, mit der nigerianischen Regierung zu verhandeln.

Aber das allein würde auch nur eine kurzfristige Lösung sein. Für einen langfristigen Frieden muss die Politik die sozioökonomischen Probleme des Nordostens angehen. Die weit verbreitete Armut müsste angegangen werden, genau wie die Korruption. Es fehlen Jobs für die jungen Menschen. Im Norden herrscht die Annahme vor, dass sich die Regierung nur um den reichen und überwiegend christlichen Süden kümmert.

Welche Rolle spielt die lokale Bevölkerung im Kampf gegen Boko Haram?

Eine ganz entscheidende - von ihr hängt der Erfolg des Anti-Terror-Kampfes ab. Die Armee muss es schaffen, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Sie sind die besten Informanten und Beobachter, sie sind das Frühwarnsystem bei Angriffen. Das Problem ist, dass die Armee im Kampf gegen den Terror selbst genauso viele Menschenrechtsverletzungen begangen hat, wie Boko Haram. Das Misstrauen der Bevölkerung ist deshalb groß - sowohl gegenüber den Terroristen, als auch gegenüber der eigenen Armee. Das erschwert den Kampf gegen den Terror. Um erfolgreich zu sein, braucht das Militär die Unterstützung der Bevölkerung und die bekommt sie nur, wenn sie ihm vertrauen kann und es sich für die Gemeinschaften stark macht, die von der Gewalt durch Boko Haram betroffen sind.

Ryan Cummings arbeitet für den südafrikanischen Sicherheitsberater red.24 und ist Teil des Nigeria Security Networks.