1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dürftige Bilanz des deutschen Zuwanderungsgesetzes

Sandra Hofmann 19. März 2006

Nach erbittertem Streit zwischen der damaligen Rot-Grünen Regierung und der Opposition trat im Januar 2005 das so genannte Zuwanderungsgesetz in Kraft. Die erhoffte Einwanderung qualifizierter Migranten blieb jedoch aus.

https://p.dw.com/p/87Hl
Der IT-Experte Amit Kulkarni kam mit der GreencardBild: dpa - Fotoreport

Wer als ausländische Spitzenkraft zur Arbeit nach Deutschland kommen will, braucht vor allem eines: Durchhaltevermögen. "Die Einstellungszusage ging an das deutsche Konsulat in Indien, weiter zum deutschen Arbeitsamt und der Ausländerbehörde und schließlich zurück nach Indien zur deutschen Botschaft. Alles in allem hat es dreieinhalb Monate gedauert", erzählt der indische IT-Spezialist Sandeep Gamath. Mehr als drei Monate für die Erteilung eines Arbeitsvisums - für Gamath ist das eindeutig zu lang.

Deutsche Absolventen fehlen

Gamath arbeitet für die Düsseldorfer Niederlassung einer indischen Software-Firma und weiß: Wenn qualifizierte Bewerber auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zu finden sind und der Bedarf mit ausländischen Spitzenkräften aufgrund bürokratischer Hürden nicht kurzfristig gedeckt werden kann, gehen mitunter wichtige Aufträge verloren. "Kunden warten nun mal nicht drei Monate", sagt Gamath. "Hochqualifiziertes Personal sollte verfügbar sein, wenn es die Kundenbedürfnisse erfordern - und zwar schnellstmöglich"

Debatte über EU Verfassung im Bundestag Angela Merkel
Die CDU setzte Restriktionen im Zuwanderungsgesetz durchBild: AP

Dass Deutschland hoch qualifizierte Einwanderer braucht, weiß Renate Klüsener vom DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst). Sie sorgt sich um den Nachwuchs an deutschen Universitäten "Natürlich haben wir Bedarf an ausländischen Spitzenkräften." Bei der Doktorandenförderung etwa sei zu beobachten, dass es für manche Fachbereiche überhaupt nicht mehr ausreichend deutsche Absolventen gebe. "In den Naturwissenschaften, Biowissenschaften und teilweise Ingenieurwissenschaften fehlt uns der Nachwuchs." Und auch Klaus Schuldes von der Bonner Agentur für Arbeit kann nicht von der Hand weisen "dass absehbar für gewisse Qualifikationen uns sozusagen das Bewerberpotenzial auszugehen droht."

Einwanderungsknick durch neues Gesetz

Im Wettlauf um die besten Köpfe lässt es der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu gemächlich angehen. Ein Fehler, meint der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz: "Die Leute tun uns einen Gefallen wenn sie zu uns kommen - nicht umgekehrt." Er will jetzt das Zuwanderungsgesetz der damaligen rot-grünen Bundesregierung nachbessern, das im Januar 2005 in Kraft trat. Die konservative Opposition hatte aus Furcht vor zu starker Zuwanderung restriktive Regelungen durchsetzen können.

Der Grund für Wiefelspütz' Änderungswünsche: Die Bilanz, ein Jahr nach Einführung des neuen Gesetzes. Die Zahl eingewanderter Spitzenkräfte hat sich im Vergleich zur vorherigen Regelung, der "Greencard" mehr als halbiert. "Bei Höchstqualifizierten konkurrieren wir mit vielen anderen Ländern", erklärt Wiefelspütz. "Und wenn dann nur einige Hundert nach dem neuen Recht zu uns kommen, dann ist das ein Indiz dafür, dass wir zu ängstlich, zu bürokratisch die Regelungen geschaffen haben." Schnell und unbürokratisch ging die Einreise im Zuge des New-Economy-Booms mit der Greencard: Qualifizierte Bewerber aus dem Ausland mussten auf ihre Arbeitserlaubnis gerade mal eine Woche warten. Eingeführt wurde das Arbeitsvisum nach US-Vorbild im Jahre 2000 - von der rot-grünen Regierung unter Altbundeskanzler Schröder. "Wir sind dazu bereit, jene Card zu geben, die in America "Green" heißt - bei uns würde sie halt "red-green" heißen", scherzte Schröder damals.

Trendwende durch Greencard

Allein innerhalb der ersten Monate kamen mehr als 10.000 IT-Experten ins Land. Doch im Zuge der so genannten Dotcom-Krise brach der Neue Markt zusammen und ausländische Softwarespezialisten waren nicht mehr gefragt. Als Flop möchte Klaus Schuldes von der Agentur für Arbeit die Greencard dennoch nicht bezeichnet wissen, denn sie läutete eine wichtige Trendwende ein. "Dieses Verfahren hat erstmalig mit der Philosophie des deutschen Arbeitsgenehmigungsrechts gebrochen, das bis dahin galt", sagt er. "Das würde ich flapsig so bezeichnen wollen: Die beste Arbeitsgenehmigung ist die, die nicht erteilt wird. Man hat also 2000 das erste Mal ein einladendes Arbeitsgenehmigungsverfahren formuliert."

Im Januar 2005 wurde die Greencard durch das neue Zuwanderungsgesetz abgelöst. Dies eröffnet hochqualifizierten Drittstaatlern zwar grundsätzlich den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt - doch als einladend lassen sich die Regularien nicht bezeichnen - gerade was die Familien eingewanderter Spitzenkräfte angeht. "Die Frau eines Arbeitskollegen hatte einen tollen Job bei einer multinationalen Bank in Indien. Sie hat sogar den Master of Business and Administration", erzählt der indische IT-Experte Sandeep Gamath. "Aber in Deutschland darf sie nicht arbeiten. Ihre Aufenthaltsgenehmigung ist an ihren Mann gebunden - mit diesem Visum darf sie selbst nicht arbeiten."

Lieber in ein anderes Land

Bevor die hochqualifizierte Ehefrau einer Spitzenkraft jahrelang in Deutschland auf ein Arbeitsvisum wartet, ziehen lieber beide bei nächster Gelegenheit in ein anderes Land, in dem auch die Frau arbeiten darf. Und das ist noch dazu häufig sehr viel einfacher als der Weg in die Bundesrepublik. "Ich habe zwei Jahre lang in England gearbeitet", sagt Gamath. "Meine Papiere waren in zwei, drei Wochen bearbeitet und meine Frau durfte arbeiten mit ihrem Visum." Auch spiele die Sprache eine Rolle, wenn Experten lieber nach England oder Nordamerika auswanderten als nach Deutschland: "Wenn wir die Kollegen fragen: Willst Du nicht nach Deutschland kommen? Dann sagen sie: Nein, ja, vielleicht. Fragen wir: Willst Du in die USA? Oder England? Dann sagt niemand nein."

Bis es soweit ist, dass auch zu Deutschland keine Spitzenkraft mehr Nein sagen kann, ist es noch ein weiter Weg, meint Sergej Frank, Partner bei Kienbaum und internationaler Personalberater. "Das ist so wie wenn Sie jemanden in ein Haus einladen und es tropft nicht rein, das ist schon mal gut, aber wir haben noch keine Heizung. Nun ist das Haus durchaus attraktiv, wie Deutschland attraktiv ist", sagt Frank. "Aber man muss noch ein bisschen was machen, um zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass die Leute mehr Enthusiasmus zeigen, mit guten Ideen, guten Konzepten den Standort Deutschland voranzubringen."

Der Innenpolitiker Wiefelspütz sieht an dieser Stelle allerdings die Politik und nicht die Wirtschaft in der Pflicht. "Unsere deutschen Unternehmen haben da glaube ich weniger Nachholbedarf. Unsere Bürokratien haben Nachholbedarf. Und darüber müssen wir in den nächsten Wochen reden. "