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Stellvertreterkrieg

Spencer Kimball/ar17. August 2012

Nachdem der Friedensplan der Vereinten Nationen gescheitert ist, wird im Syrienkonflikt der Ruf nach einer Flugverbotszone lauter. Aber der Westen zögert weiterhin, militärisch zu intervenieren.

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Syrisches Kampfflugzeug am Himmel (Foto: dapd)
Bild: dapd

Seit Kofi Annan als Syrien-Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zurückgetreten ist, diskutieren die NATO-Mitgliedsstaaten darüber, ob Militärgewalt eingesetzt werden soll, um eine Flugverbotszone über Syrien einzurichten und durchzusetzen. Das wurde auch am Wochenende deutlich: Während ihres Besuchs in Istanbul sagte die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, dass sowohl Washington als auch Istanbul verstärkt über das Pro und Kontra einer solchen Intervention nachdächten.

"Es ist eine Sache, über alle möglichen Handlungsoptionen zu reden", sagte Clinton nach ihrem Treffen mit Außenminister Davutoglu am Samstag. "Aber man kann nun mal ohne vorhergehende gründliche Analysen keine guten Entscheidungen treffen. Und wir teilen nicht nur die Frustration, sondern auch den Ärger und die Wut des syrischen Volkes über das, was das Regime von Baschar al-Assad ihm weiterhin antut."

US-Außenministerin Hillary Clinton (Foto: picture-alliance/dpa)
Pro oder Kontra Flugverbotszone: US-Außenministerin Clinton muss abwägenBild: picture-alliance/dpa

Für Ian Lesser, Direktor des "Transatlantic Center" des German Marshall Fund in Brüssel ist klar, dass die Flugverbotszone ein immer größeres Thema werden wird: "Die Notfallpläne, die zur Diskussion stehen, werden immer umfangreicher, und die Debatte über angemessene Reaktionen wird sich noch ausweiten und auch das Thema der Flugverbotszone enthalten", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Zurückhaltung im Westen

Doch nach den zehn Jahre währenden militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und Irak zögert der Westen bei dem Gedanken an eine weitere Intervention. "Das liegt auch daran, dass in den USA die Präsidentschaftswahl ansteht, und daran, dass sich Europa inmitten einer sehr ernsten Währungskrise befindet", sagte Fadi Hakura, Türkei-Experte des britischen Politik-Instituts Chatham House, der DW. "Deshalb denke ich, dass die momentane Lage es den westlichen Mächten und ihren regionalen Partnern nicht erlaubt, ohne einen entsprechenden Auftrag des UN-Sicherheitsrats eine Flugverbotszone einzurichten."

Allerdings haben im Sicherheitsrat die ständigen Mitglieder China und Russland bereits drei Mal ihre Veto-Macht ausgespielt und Resolutionen blockiert, die das Assad-Regime unter Druck hätten setzen sollen. China und Russland haben auch deutlich gemacht, dass sie sich jeglichen diplomatischen Anstrengungen, in Syrien ähnlich vorzugehen wie in Libyen, entgegen stellen werden. "Es wird sehr schwer werden, ein Mandat des Sicherheitsrats zu erwirken, weil die Chinesen und die Russen das weiterhin blockieren werden", sagt Ian Lesser, "und so bleibt nur die Möglichkeit, ohne ein belastbares internationales Mandat in Syrien einzugreifen. Aber die Begeisterung für diese Option hält sich doch in sehr engen Grenzen."

Der UN-Sicherheitsrat in New York (Foto: Reuters)
Konnte keine Syrien-Resolution verabschieden: der UN-SicherheitsratBild: Reuters

Die Blockade im Sicherheitsrat, meint Lesser, kompliziere die Dinge zwar, sei aber "nicht notwendigerweise ein limitierender Faktor". Die USA und ihre Verbündeten seien durchaus in der Lage, ohne ein UN-Mandat in Syrien einzugreifen - genau, wie sie es im Kosovo getan hätten. Doch das beantworte nicht die grundlegende Frage, was so eine militärische Intervention überhaupt bezwecken solle. "Es gibt diese große Frage: Was soll eine militärische Intervention erreichen? Und die Antwort auf diese Frage ist nicht klar", sagt Lesser und gibt zu bedenken: "Das syrische Militär ist jedenfalls sehr viel leistungsfähiger als das libysche Militär."

Regionaler Stellvertreterkrieg

Während die westlichen Länder noch die Risiken einer militärischen Intervention abwägen, verstärken die regionalen Mächte bereits ihr Engagement im syrischen Bürgerkrieg. Der syrischen Opposition zufolge unterstützen Iran und die schiitische Hisbollah-Miliz aus dem Libanon das Assad-Regime aktiv mit militärischen Mitteln. Ihrerseits sollen dafür die sunnitisch-dominierten Golfstaaten Saudi-Arabien und Katar angeblich die Rebellen mit Waffen versorgen. Die Türkei indes hat den Kämpfern der Freien Syrischen Armee auf ihrem Gebiet Zuflucht gewährt.

"Der Konflikt in Syrien steht mittlerweile für eine Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten, ihren Partnern in der Golfregion, der Türkei, Ägypten, Jordanien und den meisten anderen nordafrikanischen Ländern auf der einen Seite und Russland, China, Iran und dem Regime in Syrien auf der anderen Seite", meint der Türkei-Experte Hakura. Die sunnitischen Staaten im Nahen Osten würden das Ende des Assad-Regimes gerne beschleunigen. Wenn die syrischen Verbündeten Irans ausgeschaltet würden, so die Überlegung, bräche das die Allianz zwischen Iran, Syrien und Hisbollah.

Grenzüberschreitung

Das Reyhanli Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze (Foto: Reuters)
Sollte sich die humanitäre Situation z.B. in den Flüchtingslagern in der Türkei deutlich verschlimmern, könnte das die westlichen Mächte zum Eingreifen bringenBild: Reuters

Bislang haben sich westliche Mächte wie die USA und Großbritannien darauf beschränkt, die syrische Opposition mit Kommunikationsgeräten zu unterstützen. Experten wie Fadi Hakura zufolge sollen diese helfen, die schwachen und chaotischen Kommandostrukturen der Rebellen zu stärken und zu zentralisieren. Mit Waffen hingegen hat der Westen die Rebellen bislang nicht versorgt - auch aus Sorge, dass islamistische Fundamentalisten die Reihen der Rebellen infiltrieren.

Sowohl die britische Zeitung "The Guardian" als auch die amerikanische Website "Long War Journal" berichteten, dass militante Gruppen wie die Al-Nusra-Front mit der säkularen Freien Syrischen Armee kooperierten. Angeblich unterhält die Front Verbindungen zu Gruppen, die der Terrororganisation Al Kaida nahe stehen und die selbst während der US-Besatzung des Iraks entstanden. Doch trotz aller Vorsicht gibt es offenbar gewisse Grenzen, deren Überschreitung eine militärische Einmischung des Westens in den syrischen Bürgerkrieg provozieren könnte.

So meint der Politikwissenschaftler Lesser, dass Washington wahrscheinlich eingreifen würde, falls das Assad-Regime chemische Waffen einsetzen sollte oder solche Waffen in die Hände islamistischer Gruppen fallen sollten. Auch wenn sich die humanitäre Krise derart drastisch zuspitzen sollte, dass Nachbarländer Syriens davon destabilisiert würden, könnte das eine Koalition westlicher Länder dazu bringen, einzugreifen.

Außerdem spielt eine Rolle, dass sich der syrische Bürgerkrieg und das daraus resultierende Flüchtlingsdrama an der Grenze zu einem NATO-Mitglied abspielen - der Türkei. "Wenn die Türkei von syrischen Truppen angegriffen wird, könnte der Bündnisfall eintreten, in dem die anderen NATO-Mitglieder gemäß Artikel 5 gehalten sind, einen Angriff auf eines ihrer Mitglieder als Angriff auf die Gemeinschaft zu verstehen", erklärt Lesser. "Ich halte das zwar nicht für wahrscheinlich, aber unvorstellbar ist es auch nicht. Und eines darf man nicht vergessen: Syrien ist, genau wie Ägypten, ein Land, das absolut zentral ist für die Zukunft des Nahen Ostens. Hier geht es um sehr viel."