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Düsteres Hollywood: Film Noir

Jochen Kürten
18. Dezember 2017

Dunkle Schatten, Schwarz-Weiß-Kontraste, zwielichtige Typen und eine Femme fatale - der Film Noir hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt. Filmklassiker werden wieder aufgelegt, ein neues Buch zieht Bilanz.

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Film Die Narbenhand von Frank Tuttle
Bild: koch media

"Für mehr als ein Jahrzehnt funktionierte Hollywood (…) mehr als Alptraumfabrik denn als Traumfabrik", schreibt der Filmpublizist Thomas Brandlmeier in seiner gerade erschienenen Untersuchung "Film Noir - Die Generalprobe der Postmoderne". Als Amerika in den Krieg eintrat und Stellung bezog gegen Nazi-Deutschland, begann das Jahrzehnt des Film Noir. Kein Zufall. Das Kino reagierte auf die Zeit. Viele Filme spiegelten die düstere weltpolitische Lage wider.

Film Noir: Spiegel der Welt im Verbrechen

Doch die Regisseure beschäftigten sich in ihren Werken oft nur indirekt mit dem Weltgeschehen, wie sie es etwa in Kriegsfilmen oder gesellschaftlich relevanten Dramen hätten machen können. Sie nahmen einen erzählerischen Umweg. Es waren Kriminalfilme und Thriller, Detektivstorys und Filme über Verbrecher und Verbrechen, in denen die Filmemacher in Hollywood das Zeitgeschehen mehr oder weniger verschlüsselt wiedergaben.

Buchcover Film noir: Die Generalprobe der Postmoderne von Thomas Brandlmeier (et+k)
Thomas Brandlmeier: "Der Film Noir greift die Ängste der Zeit auf"Bild: et+k

Zwei dieser Filme sind nun auch als DVD erschienen, Teil 24 und 25 einer umfangreichen Filmbibliothek zum Film Noir. Mit "Die Narbenhand" ("This Gun for Hire") liegt jetzt ein Klassiker des Film Noir aus dem Jahre 1942 wieder vor, "Die rote Schlinge" ("The Big Steal") von Don Siegel, später als Clint Eastwoods Hausregisseur bekannt geworden, ist eher ein Nebenwerk aus dem Jahre 1949. Beide Filme vereinen klassische Handlungs- und Stilmotive des Film Noir.

Ob der Begriff Film Noir nun für ein eigenes Genre steht oder lediglich eine Stil-Bezeichnung darstellt, darüber streiten Filmhistoriker seit einem halben Jahrhundert. Brandlmeier fasst diese Debatte in seinem neuen Buch zusammen und verweist auch auf das offenkundig ausdauernde Interesse der Kino-Experten in aller Welt gerade an diesem Sujet: "Nach jahrzehntelangen Diskursen über das Wesen des Film Noir sind viele Kombattanten sichtlich erschöpft."

Film Die Narbenhand von Frank Tuttle mit Veronica Lake inmitten von Polizeidarstellern
Veronica Lake in Frank Tuttles Film "Die Narbenhand" (1942)Bild: koch media

So ganz erschöpft können sie allerdings nicht sein, wofür Brandlmeiers aktuelles Buch ebenso steht wie die zahlreichen weiteren Veröffentlichungen zum Thema gerade aus der jüngeren Zeit. Der Film Noir, ob Genrespielart oder ästhetisches Stilmittel, ist noch heute eines der beliebtesten Formate des Kinos. Dafür stehen nicht zuletzt die vielen Werke nachfolgender Regiegenerationen, die sich mit dem Film Noir beschäftigt haben, als Hommage oder Noir-Variante.

Die Narbenhand: Auftragskiller und Femme fatale

Sieht man einen Film wie Frank Tuttles "Die Narbenhand" heute wieder, so lassen sich zahlreiche Stil- und Stoffmerkmale, mit denen sich Brandlmeier beschäftigt, sehr gut nachvollziehen. Es ist die Geschichte des skrupellosen Auftragsmörders Philip Raven (Alan Ladd), der selbst zum Gejagten wird. Eine schöne Frau (in der klassischen Femme fatale-Rolle: Veronica Lake) kommt ihm in die Quere und dann vollzieht sich vor den Augen der Zuschauer das, was man aus so vielen Arbeiten der Gattung kennt: eine labyrinthische Handlung, jede Menge zwielichtige Protagonisten treten auf, das Auflösen sämtlicher Gut- und Böse-Kriterien (auch bei den Hauptfiguren!), Brutalität und Poesie auf engstem Raum.

Film Die Narbenhand von Frank Tuttle
Bild: koch media

Man muss nur einen Blick auf die Kapitelüberschriften bei Thomas Brandlmeier werfen, um zu verstehen, aus welchem Stoff der Film Noir geschnitzt ist: "Veränderte Geschlechterrollen, Verlust der amerikanischen Unschuld, Amnesie und Nachkriegsschock, Schizophrenie in Ehe und Liebe, Moralische Ambiguität, Antisoziale und defätistische Tendenzen, Paranoia, Entfremdung und Klaustrophobie, Ödipus und Elektra, Psychosomatische Motive, Fetischismus, Amnesie und Verdrängung, Waffenfetischismus und Nekrophilie, Fetischcharakter des Geldes", etc.

Noch Fragen? Die Welt ist kaputt, die Menschen sind in Not - diese Erkenntnis, von den Regisseuren und Drehbuchautoren in und nach den Jahren des Zweiten Weltkriegs auf Zelluloid gebannt, war naheliegend angesichts auch der eigenen Bedrohung.

Versteckte Botschaften als Reaktion auf das Weltgeschehen

Hollywood war zwar weit weg von den europäischen Kriegsschauplätzen, doch die USA konnten sich nicht mehr abwenden vom Weltgeschehen: "Die Vorbereitungen des Films begannen im August 1941, der Dreh fand zwischen dem 27. Oktober und dem 6. Dezember statt, mit zwei Tagen Nachdreh am 15. und 16.12. Dazwischen liegt ein schicksalhaftes Datum: Am 7. Dezember 1941 bombardierten die Japaner die amerikanische Flotte in Pearl Harbor", schreibt Frank Arnold im Booklet der DVD-Ausgabe von "Die Narbenhand". In Tuttles Film, der sich an eine Vorlage des britischen Romanciers Graham Greene anlehnt, ging es unter anderem um Giftgas - das von den Japanern aufgekauft werden soll!

Jane Greer und Robert Mitchum in "Die rote Schlinge"
Hat auch etwas von einer Screwball-Comedy: Jane Greer und Robert Mitchum in "Die rote Schlinge"

Nicht immer waren die Filmsettings so düster wie im Noir-Meisterwerk "Die Narbenhand". Don Siegels "Die rote Schlinge", zum Ende des Jahrzehnts entstanden und mit Robert Mitchum in der Hauptrolle prominent besetzt, war zwar auch eine Genrevariation in Sachen Verbrechen, Mord und Verfolgungsjagd (die vor allem auch an Originalschauplätzen im sonnengesättigten Mexiko entstanden), der Film kommt allerdings nicht gar so düster daher, mixt Abenteuer- mit Krimimotiven und weist auch ein paar humoristische Szenen auf. 

Robert Mitchum durfte trotz Drogendelikts im Film bleiben

Übrigens: Mitchum wurde während der Dreharbeiten festgenommen und angeklagt - wegen Drogenbesitzes. Für den Produzenten, den exzentrischen Milliardär Howard Hughes ein Unglück: "Für Hughes und RKO (die Produktionsfirma, Anm. d. Red.) sah das nach einer Katastrophe aus - schlechte Publicity in einem Klima moralischer Aufrüstung. Was dadurch verschärft wurde, dass Mitchum mit Filmen wie 'Crossfire' und 'Out of the Past' (beide 1947) zu den wichtigsten Stars des Studios geworden war. Sich von ihm zu distanzieren und ihn wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, hätte bedeutet, dass bereits abgedrehte, aber noch nicht aufgeführte Filme mit ihm auf längere Zeit totes Kapital wären. Also sicherte ihm Hughes volle Unterstützung zu und besorgte ihm einen prominenten Verteidiger", schreibt Frank Arnold.

Film Die rote Schlinge von Don Siegel

Heute geht Hollywood auf Nummer sicher, was der Fall Kevin Spacey zeigt, dessen Szenen gerade aus dem neuen Film von Ridley Scott komplett herausgeschnitten wurden. Mitchum durfte damals drin bleiben, die Hollywood-Anwälte hauten ihn raus. Heute hat in Hollywood der Faktor Traum wieder Priorität. Meisterlich düstere Dramen wie im Jahrzehnt des Film Noir entstehen im Hollywood von heute nur noch selten.

Die DVD-Ausgaben von "Die Narbenhand" und "Die rote Schlinge" sind beim Anbieter "Koch Media" als Folge 24 und 25 der Edition Film Noir erschienen. Thomas Brandlmeiers Buch "Film Noir - Die Generalprobe der Postmoderne" ist im Verlag "edition text + kritik" erschienen, 162 Seiten, ISBN 978-3-86916-599-8.