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Daalder: "Putin ist das Problem"

Michael Knigge, München / sp7. Februar 2015

Moskau und die Separatisten in der Ukraine haben wenig Interesse an Verhandlungen, sagt der frühere US-Botschafter bei der NATO, Ivo Daalder. Im DW-Interview erklärt er, warum er Waffenlieferungen an Kiew befürwortet.

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Der Kreml in Moskau - Foto: Maxim Zmeyev (Reuters)
Bild: Reuters/M. Zmeyev

DW: Mister Daalder, wie bewerten Sie die Rede von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz?

Ivo Daalder: Die Rede ist die Fortsetzung des Leitmotives, das im vergangenen Jahr verkündet wurde: Deutschland soll eine führende Rolle in der Sicherheitspolitik übernehmen. Wir haben das damals von Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier gehört. Inzwischen wissen wir, was aus den Ankündigungen geworden ist. Wenn man sich die großen Problembereiche ansieht - insbesondere Problembereiche wie in der Ukraine - dann ist klar, dass Deutschland führt. Und zwar auf bedeutsame Art und Weise.

Ivo H. Daalder - Michael Schulz (imago)
Ivo H. DaalderBild: imago/M. Schulz

Ich bin mir nicht sicher, was mit "Führung aus der Mitte" gemeint ist. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass eine gute Führung wichtige Menschen zusammenbringt und den Weg zu einer gemeinsamen Politik ebnet. Deutschland hat dies beispielsweise in der Ukraine-Krise mehrfach getan.

Halten Sie die deutsche Ukraine-Politik für zufriedenstellend?

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine Schlüsselfigur, wenn es darum geht, die Europäer auf die Ernsthaftigkeit der Situation einzuschwören. Sie hat sehr deutlich gemacht, dass sie das Problem erkennt - es liegt in Moskau. Sie hat erkannt, dass es weniger um die Ukraine geht als um die Stoßrichtung der russischen Politik unter Präsident Putin. Merkel war in der Lage, die europäischen Verbündeten auf starke Sanktionen gegen Russland einzuschwören. Hier hat sie wahre Führungsqualität bewiesen.

Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande ist die Bundeskanzlerin zu Friedensverhandlungen mit Wladimir Putin nach Moskau gereist. Was halten Sie von dieser Initiative?

Wir wollen alle eine politische Lösung dieses Konflikts. Wir müssen einen Weg finden, die Eskalation der Gewalt der vergangenen Wochen zu stoppen. Auslöser dieser Entwicklung war, dass Russland eine große Zahl an Panzern, schweren Waffen und Truppen über die Grenze geschickt hat, um die Offensive der Separatisten zu unterstützen.

Ich befürworte jegliche politische Initiative aus Frankreich und Deutschland. Ich denke, wir müssen uns sehr klar darüber sein, was wir erreichen wollen. Wir wollen natürlich ein Ende der Gewalt. Das eigentliche Ziel ist aber, dass nicht mehr gegen grundlegende politische Regeln verstoßen wird, so wie im vergangenen Jahr. Die territoriale Integrität der Ukraine muss anerkannt werden. Die Ukraine muss souverän und unabhängig sein. Die finanzielle und militärische Unterstützung der Separatisten muss beendet werden. Und wir müssen uns auf die Grenzen der Ukraine konzentrieren und nicht auf irgendeine Demarkationslinie. Die Grenze zwischen Russland und der Ukraine muss geschlossen werden, damit niemand ohne Wissen und Zustimmung der Ukraine auf deren Territorium eindringen kann.

Glauben Sie, dass sich der Plan von Merkel und Hollande in die Tat umsetzen lässt?

Offen gesprochen bin ich nicht sehr optimistisch. Das militärische Moment ist aufseiten Russlands und der Separatisten. Und solange die Separatisten - aber auch Russland - glauben, sie können ihre Ziele mit militärischen Mitteln erreichen, besteht für sie keinerlei Notwendigkeit zu verhandeln.

Sie gehören zu den Autoren eines Berichts, der eine Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine angestoßen hat. Konterkariert das nicht die diplomatischen Bemühungen von Merkel und Hollande?

Ich habe zwar gehört, dass die Bundeskanzlerin und der französische Präsident das denken, aber meine Sicht ist eine andere: Kriege wie dieser enden entweder durch den Sieg einer Seite über die andere oder durch Verhandlungen. Momentan gewinnt eine Seite gegen die andere. Russland hat daher keinen Bedarf zu verhandeln. Derzeit ist jeder Vermittlungsversuch gescheitert, weil die Separatisten und die Russen glauben, sie können ihre Ziele militärisch erreichen.

Mit Waffenlieferungen an die Ukraine - und wir sprechen hier von Abwehrsystemen - können wir diese Ansicht Russlands und der Separatisten ändern und damit Raum für Verhandlungen schaffen. Die Auffassung, dass militärischer Druck und Diplomatie gegensätzliche Pole sind, dass es nur das eine oder das andere geben kann, ist unrealistisch. Sie können sich vielmehr ergänzen. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan hat einst gesagt: Diplomatie ohne Gewalt ist möglich - aber es ist wesentlich einfacher, wenn sie mit militärischen Mitteln unterstützt wird. Und ich denke, dies trifft hier zu.

Kritiker des Reports halten Ihnen vor, dass Waffenlieferungen an die Ukraine zu einem umfassenden Krieg in der Ukraine oder sogar in Europa führen könnten.

Bis dahin wären es einige große Schritte. Der norwegische Verteidigungsminister hat betont, dass wir erstmals seit dem Kalten Krieg oder vielleicht sogar seit 1945 wieder eine russische Aggression in der Mitte Europas sehen. Dies beinhaltet die gewaltsame Verschiebung von Grenzen durch die Annexion der Krim 2013. Die Ukraine wird angegriffen. Was wir vorgeschlagen haben, erlaubt der Ukraine, sich selbst zu verteidigen und nicht, dass die NATO direkt Seite an Seite mit dem Land kämpft. Es bedeutet nicht, dass die USA militärisch mit eigenen Truppen intervenieren, sondern ein Land unterstützen, das angegriffen wird. Es geht nicht um Eskalation. Es geht um die fundamentalen Regeln des internationalen Systems, auf dessen Werten Europa basiert. Putin hat diese Regeln verletzt.

Spalten die unterschiedlichen Ansätze zu Waffenlieferungen für die Ukraine die USA und Europa?

Wir sind gefestigte Demokratien und wir führen vernünftige politische Diskussionen. Das gilt für die USA ebenso wie für Deutschland und die europäischen Länder. Wir stimmen miteinander in dem Ziel überein, einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen, der die politische und territoriale Unabhängigkeit der Ukraine garantiert. Es geht um eine Ukraine, die eigenständig entscheiden kann, ob sie sich nach Westen, Osten, Norden oder Süden orientieren oder einfach dort bleiben will, wo sie sich befindet. Darin sind wir uns einig. Wir sind uns auch einig: Russland ist das Problem. Putin ist das Problem. Und ökonomische Sanktionen spielen eine wichtige Rolle, mit diesem Problem umzugehen. Wir sind uns alle einig, dass Diplomatie ein fundamentaler Bestandteil der Bemühungen ist, die uns zum gewünschten Ergebnis führen.

Die Situation in der Ukraine beunruhigt uns alle. Aber allein dass wir hier auf der Münchner Sicherheitskonferenz darüber diskutieren, halte ich für wichtig. Das erlaubt uns zu entscheiden, welche Politik klug ist. Anstatt immer "nein" zu allem zu sagen, ist eine ernsthafte Debatte über die gemeinsame Vorgehensweise vermutlich der klügste Schritt.

Ivo Daalder war von 2009 bis 2013 der NATO-Botschafter der Vereinigten Staaten. Während der Präsidentschaft von Bill Clinton war er Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) der USA.

Das Interview führte Michael Knigge.