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Furiose Neufassung

25. Februar 2012

Das Buch ist 700 Jahre alt und kann noch immer schockieren. Kurt Flasch zeigt in seiner furiosen Neufassung von Dantes Meisterwerk, wie anders die Menschen damals dachten - und wie ähnlich sie uns dennoch sind.

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Der italienische Schriftsteller Dante Alighieri (1265-1321) in einem undatierten Stich. Dantes "Göttliche Komödie" zählt zu den Klassikern der Weltliteratur. Die Geschichte ist schon siebenhundert Jahre alt und wird doch immer wieder neu aufgelegt. Der Mainzer Philosophiehistoriker Kurt Flasch präsentiert sie jetzt in einer Neuübersetzung, begleitet von einem um neue Dante-Leser werbenden Kommentarband. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Man stelle sich nur einmal vor, die "Komödie" sei nicht im 14. Jahrhundert geschrieben worden, sondern wäre das Buch eines heutigen Schriftstellers. Dann könnten wir in drastischen Worten lesen, wie ein Gutteil der heutigen Staats-, Wirtschafts- und Kirchenführer in der Hölle und im Fegefeuer alle möglichen Qualen erlitten. Und der Autor würde im Einzelfall begründen, warum diese "Promis" zu Recht dort säßen. Politische, philosophische oder theologische Betrachtungen und detaillierte, nahezu splatter-artige Folterszenen würden sich im Erzählfluss munter ablösen.

Ein solches Gedankenexperiment zeigt, wie skandalös die "Göttliche Komödie" – wie sie später genannt wurde – lange Zeit gewesen sein muss. Noch Goethe sprach von Dantes "widerwärtiger, oft abscheulicher Großheit." Da urteilt Dante Alighieri, ein einfacher Schreiberling, über die Fürsten und Päpste seiner Zeit. Gott und Teufel führen das Urteil aus. Und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – wird das Buch seit knapp 700 Jahren gelesen. Nun liegt die "Commedia" in einer neuen zweibändigen Prachtausgabe vor. Der Historiker Kurt Flasch hat sie frisch übersetzt und um einen ausführlichen Einführungsband ergänzt. Flasch lädt die Menschen des 21. Jahrhunderts in die komplexe Gedankenwelt des Mittelalters ein. "Dies ist kein Buch für Dante-Spezialisten, sondern für Dante-Freunde und solche, die prüfen, ob sie es werden wollen", schreibt er gleich zum Auftakt seines Einführungsbandes.

Vor der Moderne – nach der Antike

Selbst für uns moderne, säkulare Menschen kann die Lektüre immer noch schockierend sein: "Die Commedia ist so extrem, so phantastisch, exzessiv, unvergleichlich und politisch, ungezähmt und ungeniert vor-bürgerlich", schreibt Flasch, "sie kehrt das gewöhnliche Vorstellen und Denken so gründlich um, dass sie zwar missachtet, aber nicht mehr vergessen werden kann". Inhaltlich bleibt die Lektüre auch nach knapp 700 Jahren eine Herausforderung. Flasch will sie uns zumindest formal erleichtern, indem er die rund 14.000 Verse in eine moderne Prosa übersetzt, in der etwa das Wort "merda" nicht vornehm mit Fäkalien, sondern direkt mit Scheiße übersetzt wird.

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Kurt Flasch und seine Bearbeitung der CommediaBild: S. Fischer Verlag/Barbara Klemm

Dabei ist die Handlung im Prinzip einfach: Dante durchreist Hölle und Fegefeuer, um schließlich im Paradies bei Gott und seiner großen verstorbenen Liebe Beatrice anzukommen. Begleitet wird er vor allem vom römischen Schriftsteller Vergil. Allein das Unverständnis, das Dante angesichts des Umstands zeigt, dass dieser großartige Autor zum Aufenthalt in der Hölle verdammt ist, weil er ungetauft gestorben ist, zeigt, dass er mit seinem Geist schon am Rand der Moderne angelangt ist, während sein Körper noch im Mittelalter verharrt. Und es ist diese Spannung zwischen dem durchaus beschützenden Kosmos einer ganzheitlich-christlichen Weltsicht und dem Wunsch, dessen Grenzen mit den Mitteln der Vernunft zu überschreiten, die die Lektüre für uns aufgeklärte Leser so faszinierend macht.

Bemerkenswert sind auch die zugrundeliegenden moralischen Normen. In Dantes Augen ist der Verrat an Freunden die verwerflichste Untat; viel schlimmer etwa als jedwede Gewalttat. Hier ist Dante noch ganz verwurzelt in einem aristotelischen Denken, in dem geistige Laster übler sind als körperliche. Töten kann schließlich auch ein Tier, doch zu einem Verrat wäre es niemals fähig.

Wissen, das Verwirrung stiftet

Wie Vergil den immer wieder völlig orientierungslosen Dante leitet, so hilft Flasch dem heutigen Leser, sich nicht zu verirren. Denn verirren kann man sich in fast jedem der hundert Gesänge. Die Commedia erzählt zwar vordergründig nur die phantastische Geschichte einer Reise durchs Jenseits, doch zugleich ist sie ein Abbild des historischen, literarischen, philosophischen und theologischen Wissens des beginnenden 14. Jahrhunderts. Ein Wissen, das selbst gebildeten Lesern unserer Zeit nicht zur Verfügung steht. So wird die Höllenstrafe für Odysseus von Dante unter anderem damit begründet, dass der Held Homers die Säulen des Herkules – also die Meerenge von Gibraltar – ohne Erlaubnis der Götter durchschifft habe. Flasch erläutert, dass just zur Entstehungszeit der Commedia die ersten Schiffsreisen auf den offenen Atlantik unternommen wurden und Sinn oder Unsinn eines solchen Abenteuers damals sicherlich ein Thema war.

Am Ende des Buches stellt der Leser erstaunt fest, dass wir modernen Menschen im Grunde in der gleichen Situation sind wie seinerzeit Dante: Wir versuchen, geistig frei zu sein und sind doch in unserem Denken von einer jahrhundertealten Tradition geprägt. Und auf einmal erscheint uns Dante sehr nah.

Autor: Martin Muno
Redaktion: Gabriela Schaaf

Dante Alighieri "Commedia". Zwei Bände im Schuber.
Band 1: Commedia in deutscher Prosa. Von Kurt Flasch
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Band 2: Kurt Flasch "Einladung, Dante zu lesen"
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S. Fischer Verlag, 415 und 319 Seiten, 98 Euro