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Darf Bulgarien seine "Patrioten" schützen?

Emiliyan Lilov22. Juli 2006

Bulgarien steht kurz vor dem EU-Beitritt, doch die Frage nach der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ist noch lange nicht gelöst. Noch wird um den Zugang zu Akten der ehemaligen Staatssicherheit gestritten.

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Kurz vor der EU-Mitgliedschaft: Die Stasi-Akten der kommunistischen Vergangenheit sind noch nicht veröffentlichtBild: AP

Warum die Archive des Inlandsgeheimdienstes auch 17 Jahre nach der Wende nicht geöffnet worden sind, erklärt die niederländische Europa-Abgeordnete der Grünen, Els de Groen, so: "Sehr schnell nach der Wende kamen die alten Eliten wieder zurück, haben neu gegründete Nicht-Regierungs-Organisationen infiltriert und den Demokraten - Leuten ohne Erfahrung und sehr oft ohne Mittel - ihren Einfluss genommen." Was de Groen besonders zynisch findet: im Westen hätten viele Leute mit diesen alten kommunistischen Eliten zusammengearbeitet - und würden auch heute noch mit ihnen zusammenarbeiten.

Was sind ehemalige Patrioten?

In Bulgarien werden mit den Akten der ehemaligen Staatssicherheit "Darzhavna Sigurnost" immer noch Menschen erpresst - oder zumindest versucht zu erpressen. Das müsse endlich aufhören, fordert der bulgarische Innenminister Rumen Petkov. Der Sozialist vertritt jedoch die Auffassung, dass die Akten ehemaliger "Patrioten" nicht geöffnet werden sollten: "Was sagt der Staat denjenigen, die für das Innenministerium und damit für den Staat arbeiten oder gearbeitet haben? Verhalten wir uns ihnen gegenüber korrekt oder sind wir jederzeit bereit, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen? Müssen wir mit diesen Leuten sagen, dass wir sie heute nicht mehr brauchen?"

Georgi Petkanov, Rumen Petkov
Rumen Petkov (rechts) ist gegen die Veröffentlichung von Akten bulgarischer "Patrioten"Bild: EU

Seiner Meinung nach müsse man sich die Frage stellen, ob diejenigen Menschen, die Terroristen bekämpften, und diejenigen, die politische Spitzel waren, tatsächlich in eine Kategorie gehören. Für den bulgarischen Innenminister ist das nicht der Fall. Schließlich, so Petkov, sei es erforderlich, zwischen den nationalen Interessen und dem Interesse des einzelnen Bürgers zu unterscheiden.

Schutz der Opfer, nicht der Täter

In anderen ehemaligen sozialistischen Ländern stellt man derartige Überlegungen nicht an. Auch bei der Diskussion um die Öffnung der Geheimdienst-Archive der ehemaligen DDR unterscheidet man nicht zwischen "guten" und "schlechten" Stasi-Mitarbeitern.

Das habe seinen Grund, sagt der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Stasi-Archive und jetzige Vorsitzende des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie", Joachim Gauck: "Viele inoffizielle Mitarbeiter der Auslandsabteilung haben eben nicht nur Spionage-Abwehr gemacht, sondern zum Beispiel auch DDR-Dissidenten im Westen ausspioniert. Sie haben im Grunde das gemacht, was andere Stasi-Mitarbeiter im Inland gemacht haben: gegen Demokraten, gegen Bürgerrechtler und andere Menschen gearbeitet. Das ist doch keine patriotische Tat, sondern das im
Grunde Unterstützung von Repression."

Alle Archive öffnen

Gaucks Appell an die bulgarischen Behörden und den Innenminister lautet daher: alle Archive öffnen und nicht zwischen "patriotischen" und "nicht-patriotischen" Mitarbeitern unterscheiden. Sonst brauche man in Bulgarien zumindest ein unabhängiges Gremium, das zur Einsicht in die "patriotischen" Geheimdienst-Akten berechtigt sei.

Auch Alexander Kaschamov von der Nicht-Regierungs-Organisation "Programm - Zugang zur Information" fordert ein unabhängiges Gremium: Das solle aber den gesamten Prozess der Akten-Öffnung leiten. Insgesamt müsse bei den gesetzlichen Grundlagen der Schutz der Opfer - und nicht der Täter - im Vordergrund stehen.